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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Erbitterung der Deutschen.
Wird unser Siegszug denn zur Flucht?
Ganz Frankreich höhnt uns nach.
Und Elsaß, du entdeutschte Zucht,
Höhnst auch! O ärgste Schmach!

Im Rheinischen Mercur donnerte Görres mit der ganzen Wildheit
seines Jacobinerzornes wider das Basiliskenei, das der gallische Hahn
gelegt und die deutsche Einfalt ausgebrütet hat. Die Erbitterten wollten
die so nahe liegenden Gründe des großen Mißlingens nicht sehen, schoben
alle Schuld auf Hardenbergs Schwäche und auf die "deutsche Uneinigkeit",
welche fortan ein stehender Klagepunkt in den Beschwerden der enttäusch-
ten Patrioten bleiben sollte. Und doch hatten der König wie seine Staats-
männer ihre Schuldigkeit im vollen Maaße gethan und bei den Ministern
der Mittelstaaten treue Unterstützung gefunden. Nicht die Deutschen waren
uneinig gewesen, sondern Oesterreich war von Deutschland abgefallen.
Jene alte habsburgische Hauspolitik, welche so oft deutsche Reichslande
gegen kaiserliche Erblande an die Fremden dahingegeben, hatte diesmal,
da für das Haus Lothringen nichts Wünschenwerthes zu erwerben stand,
die Deutschen einfach im Stiche gelassen.

Es war aber der Fluch des friedlichen Dualismus, daß die preußische
Regierung fortan von der öffentlichen Meinung für die Sünden Oester-
reichs verantwortlich gemacht wurde und, um nur den theuren Bundes-
genossen nicht zu kränken, grundsätzlich unterließ sich selber vor der
Nation zu rechtfertigen. Und wie frech und schamlos log diese Hofburg
jetzt dem deutschen Volke ins Angesicht! Gentz, der nachgerade jeden sitt-
lichen Halt verlor, versicherte im Oesterreichischen Beobachter mit dreister
Stirn, niemals hätte zwischen den großen Mächten irgend eine Mei-
nungsverschiedenheit über die Friedensbedingungen bestanden, und schloß
feierlich: wäre dem nicht so, "dann haben wir das Publicum aus Unwis-
senheit oder geflissentlich falsch berichtet!" War es zu verwundern, wenn
einer solchen Politik gegenüber die Sprache der Patrioten täglich heftiger
ward und Görres wüthend schrieb: "Wie die Vendomesäule ein fortwäh-
rendes Zeichen unserer Schande ist, so soll im Rheinischen Mercur die
fortwährende Protestation des Volks gegen alles Halbe und Schlechte
niedergelegt werden, damit die Nachwelt erkenne: die Zeitgenossen waren
damit nicht einverstanden!"

Der unglückliche Friede verbitterte nicht nur die Stimmung der
Nation dermaßen, daß dem jungen Deutschen Bunde von Haus aus
auch nicht ein Schimmer freudiger Hoffnung entgegenstrahlte. Er för-
derte auch die während des Krieges erwachsene Selbstüberschätzung des
Volks; darüber war ja gar kein Streit, daß "das Volk" Alles ungleich
herrlicher hinausgeführt hätte als die Diplomaten. Die Massen der Na-
tion kehrten bald wieder allen politischen Gedanken den Rücken; sie wen-
deten sich den schweren Sorgen des Haushalts zu um in treuer Arbeit

Erbitterung der Deutſchen.
Wird unſer Siegszug denn zur Flucht?
Ganz Frankreich höhnt uns nach.
Und Elſaß, du entdeutſchte Zucht,
Höhnſt auch! O ärgſte Schmach!

Im Rheiniſchen Mercur donnerte Görres mit der ganzen Wildheit
ſeines Jacobinerzornes wider das Baſiliskenei, das der galliſche Hahn
gelegt und die deutſche Einfalt ausgebrütet hat. Die Erbitterten wollten
die ſo nahe liegenden Gründe des großen Mißlingens nicht ſehen, ſchoben
alle Schuld auf Hardenbergs Schwäche und auf die „deutſche Uneinigkeit“,
welche fortan ein ſtehender Klagepunkt in den Beſchwerden der enttäuſch-
ten Patrioten bleiben ſollte. Und doch hatten der König wie ſeine Staats-
männer ihre Schuldigkeit im vollen Maaße gethan und bei den Miniſtern
der Mittelſtaaten treue Unterſtützung gefunden. Nicht die Deutſchen waren
uneinig geweſen, ſondern Oeſterreich war von Deutſchland abgefallen.
Jene alte habsburgiſche Hauspolitik, welche ſo oft deutſche Reichslande
gegen kaiſerliche Erblande an die Fremden dahingegeben, hatte diesmal,
da für das Haus Lothringen nichts Wünſchenwerthes zu erwerben ſtand,
die Deutſchen einfach im Stiche gelaſſen.

Es war aber der Fluch des friedlichen Dualismus, daß die preußiſche
Regierung fortan von der öffentlichen Meinung für die Sünden Oeſter-
reichs verantwortlich gemacht wurde und, um nur den theuren Bundes-
genoſſen nicht zu kränken, grundſätzlich unterließ ſich ſelber vor der
Nation zu rechtfertigen. Und wie frech und ſchamlos log dieſe Hofburg
jetzt dem deutſchen Volke ins Angeſicht! Gentz, der nachgerade jeden ſitt-
lichen Halt verlor, verſicherte im Oeſterreichiſchen Beobachter mit dreiſter
Stirn, niemals hätte zwiſchen den großen Mächten irgend eine Mei-
nungsverſchiedenheit über die Friedensbedingungen beſtanden, und ſchloß
feierlich: wäre dem nicht ſo, „dann haben wir das Publicum aus Unwiſ-
ſenheit oder gefliſſentlich falſch berichtet!“ War es zu verwundern, wenn
einer ſolchen Politik gegenüber die Sprache der Patrioten täglich heftiger
ward und Görres wüthend ſchrieb: „Wie die Vendomeſäule ein fortwäh-
rendes Zeichen unſerer Schande iſt, ſo ſoll im Rheiniſchen Mercur die
fortwährende Proteſtation des Volks gegen alles Halbe und Schlechte
niedergelegt werden, damit die Nachwelt erkenne: die Zeitgenoſſen waren
damit nicht einverſtanden!“

Der unglückliche Friede verbitterte nicht nur die Stimmung der
Nation dermaßen, daß dem jungen Deutſchen Bunde von Haus aus
auch nicht ein Schimmer freudiger Hoffnung entgegenſtrahlte. Er för-
derte auch die während des Krieges erwachſene Selbſtüberſchätzung des
Volks; darüber war ja gar kein Streit, daß „das Volk“ Alles ungleich
herrlicher hinausgeführt hätte als die Diplomaten. Die Maſſen der Na-
tion kehrten bald wieder allen politiſchen Gedanken den Rücken; ſie wen-
deten ſich den ſchweren Sorgen des Haushalts zu um in treuer Arbeit

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[789/0805] Erbitterung der Deutſchen. Wird unſer Siegszug denn zur Flucht? Ganz Frankreich höhnt uns nach. Und Elſaß, du entdeutſchte Zucht, Höhnſt auch! O ärgſte Schmach! Im Rheiniſchen Mercur donnerte Görres mit der ganzen Wildheit ſeines Jacobinerzornes wider das Baſiliskenei, das der galliſche Hahn gelegt und die deutſche Einfalt ausgebrütet hat. Die Erbitterten wollten die ſo nahe liegenden Gründe des großen Mißlingens nicht ſehen, ſchoben alle Schuld auf Hardenbergs Schwäche und auf die „deutſche Uneinigkeit“, welche fortan ein ſtehender Klagepunkt in den Beſchwerden der enttäuſch- ten Patrioten bleiben ſollte. Und doch hatten der König wie ſeine Staats- männer ihre Schuldigkeit im vollen Maaße gethan und bei den Miniſtern der Mittelſtaaten treue Unterſtützung gefunden. Nicht die Deutſchen waren uneinig geweſen, ſondern Oeſterreich war von Deutſchland abgefallen. Jene alte habsburgiſche Hauspolitik, welche ſo oft deutſche Reichslande gegen kaiſerliche Erblande an die Fremden dahingegeben, hatte diesmal, da für das Haus Lothringen nichts Wünſchenwerthes zu erwerben ſtand, die Deutſchen einfach im Stiche gelaſſen. Es war aber der Fluch des friedlichen Dualismus, daß die preußiſche Regierung fortan von der öffentlichen Meinung für die Sünden Oeſter- reichs verantwortlich gemacht wurde und, um nur den theuren Bundes- genoſſen nicht zu kränken, grundſätzlich unterließ ſich ſelber vor der Nation zu rechtfertigen. Und wie frech und ſchamlos log dieſe Hofburg jetzt dem deutſchen Volke ins Angeſicht! Gentz, der nachgerade jeden ſitt- lichen Halt verlor, verſicherte im Oeſterreichiſchen Beobachter mit dreiſter Stirn, niemals hätte zwiſchen den großen Mächten irgend eine Mei- nungsverſchiedenheit über die Friedensbedingungen beſtanden, und ſchloß feierlich: wäre dem nicht ſo, „dann haben wir das Publicum aus Unwiſ- ſenheit oder gefliſſentlich falſch berichtet!“ War es zu verwundern, wenn einer ſolchen Politik gegenüber die Sprache der Patrioten täglich heftiger ward und Görres wüthend ſchrieb: „Wie die Vendomeſäule ein fortwäh- rendes Zeichen unſerer Schande iſt, ſo ſoll im Rheiniſchen Mercur die fortwährende Proteſtation des Volks gegen alles Halbe und Schlechte niedergelegt werden, damit die Nachwelt erkenne: die Zeitgenoſſen waren damit nicht einverſtanden!“ Der unglückliche Friede verbitterte nicht nur die Stimmung der Nation dermaßen, daß dem jungen Deutſchen Bunde von Haus aus auch nicht ein Schimmer freudiger Hoffnung entgegenſtrahlte. Er för- derte auch die während des Krieges erwachſene Selbſtüberſchätzung des Volks; darüber war ja gar kein Streit, daß „das Volk“ Alles ungleich herrlicher hinausgeführt hätte als die Diplomaten. Die Maſſen der Na- tion kehrten bald wieder allen politiſchen Gedanken den Rücken; ſie wen- deten ſich den ſchweren Sorgen des Haushalts zu um in treuer Arbeit

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 789. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/805>, abgerufen am 29.03.2024.