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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 2. Belle Alliance.
konnten war die Niederlage von Belle Alliance. Rache für Waterloo!
-- dies blieb für Jahrzehnte der Schlachtruf des französischen Volkes.
Diesem Gedanken entsprangen die Revolution von 1830, die Kriegs-
drohungen von 1840 und die Wiederherstellung des Kaiserreiches, bis
dann nach einem halben Jahrhundert der alte Herzenswunsch in einem
wüsten Eroberungskriege sich entlud und der deutsche Sieger die Unter-
lassungssünden von 1815 endlich sühnte.

So blieb das Verhältniß zwischen den beiden Nachbarvölkern auf
Jahrzehnte hinaus krankhaft unsicher und gespannt. Die Deutschen em-
pfingen die Kunde von dem faulen Frieden mit bitterem Zorne. So
recht im Namen seines Volkes rief Blücher: "Preußen und Deutschland
steht trotz seiner Anstrengungen immer wieder als der Betrogene vor der
ganzen Welt da" -- worauf er dann abermals seinen Ingrimm gegen
die Diplomatiker aussprach und zornig fragte, wie lange denn "diese
sonderbare Versammlung von Unterthanen, die ihre eigenen Monarchen
beherrschen," noch bestehen solle. In ihrer naiven Unkenntniß der po-
litischen Verhältnisse hatten viele Deutsche alles Ernstes gehofft, in Paris
würden nicht nur die alten Grenzen des Vaterlandes wieder hergestellt,
sondern auch die Gebrechen der Bundesverfassung geheilt werden. Schenken-
dorf wollte die Hoffnung nicht aufgeben, daß man den Erben der Leopolde
und Ferdinande, der die deutsche Krone so kaltblütig verschmähte, nun doch
zwingen könnte, sich mit dem alten Purpur zu bekleiden. Der treue Mann
konnte die Stunde gar nicht erwarten, da das versteinerte Birnengesicht
des Kaisers Franz wieder mit dem Reife der Karolinger geschmückt würde,
und sang:

O sei denn endlich weiser,
Du Herde ohne Hirt,
Und wähle schnell den Kaiser
Und zwing' ihn daß er's wird!

Welche Entrüstung nun unter diesem teutonischen Geschlechte, als sich
ergab, daß Alles beim Alten blieb, daß die Kaiserherrlichkeit begraben war,
daß Rappoltsweiler und Oberehnheim wieder Ribeauville und Obernay
heißen, daß die alten schönen Heimathlande deutscher Gesittung wieder
von dem Schlamme wälscher Verbildung überfluthet werden sollten, um
vielleicht für immer darin zu versinken! In tausend deutschen Herzen
hallte die Klage des Dichters wieder:

Doch dort an den Vogesen
Liegt ein verlornes Gut.
Da gilt es, deutsches Blut
Vom Höllenjoch zu lösen!

Und was am tiefsten verwundete: dieselben verlorenen deutschen Länder,
denen man die Freiheit hatte bringen wollen, frohlockten über den diplo-
matischen Erfolg des Auslandes. In heller Verzweiflung rief Rückert:

II. 2. Belle Alliance.
konnten war die Niederlage von Belle Alliance. Rache für Waterloo!
— dies blieb für Jahrzehnte der Schlachtruf des franzöſiſchen Volkes.
Dieſem Gedanken entſprangen die Revolution von 1830, die Kriegs-
drohungen von 1840 und die Wiederherſtellung des Kaiſerreiches, bis
dann nach einem halben Jahrhundert der alte Herzenswunſch in einem
wüſten Eroberungskriege ſich entlud und der deutſche Sieger die Unter-
laſſungsſünden von 1815 endlich ſühnte.

So blieb das Verhältniß zwiſchen den beiden Nachbarvölkern auf
Jahrzehnte hinaus krankhaft unſicher und geſpannt. Die Deutſchen em-
pfingen die Kunde von dem faulen Frieden mit bitterem Zorne. So
recht im Namen ſeines Volkes rief Blücher: „Preußen und Deutſchland
ſteht trotz ſeiner Anſtrengungen immer wieder als der Betrogene vor der
ganzen Welt da“ — worauf er dann abermals ſeinen Ingrimm gegen
die Diplomatiker ausſprach und zornig fragte, wie lange denn „dieſe
ſonderbare Verſammlung von Unterthanen, die ihre eigenen Monarchen
beherrſchen,“ noch beſtehen ſolle. In ihrer naiven Unkenntniß der po-
litiſchen Verhältniſſe hatten viele Deutſche alles Ernſtes gehofft, in Paris
würden nicht nur die alten Grenzen des Vaterlandes wieder hergeſtellt,
ſondern auch die Gebrechen der Bundesverfaſſung geheilt werden. Schenken-
dorf wollte die Hoffnung nicht aufgeben, daß man den Erben der Leopolde
und Ferdinande, der die deutſche Krone ſo kaltblütig verſchmähte, nun doch
zwingen könnte, ſich mit dem alten Purpur zu bekleiden. Der treue Mann
konnte die Stunde gar nicht erwarten, da das verſteinerte Birnengeſicht
des Kaiſers Franz wieder mit dem Reife der Karolinger geſchmückt würde,
und ſang:

O ſei denn endlich weiſer,
Du Herde ohne Hirt,
Und wähle ſchnell den Kaiſer
Und zwing’ ihn daß er’s wird!

Welche Entrüſtung nun unter dieſem teutoniſchen Geſchlechte, als ſich
ergab, daß Alles beim Alten blieb, daß die Kaiſerherrlichkeit begraben war,
daß Rappoltsweiler und Oberehnheim wieder Ribeauvillé und Obernay
heißen, daß die alten ſchönen Heimathlande deutſcher Geſittung wieder
von dem Schlamme wälſcher Verbildung überfluthet werden ſollten, um
vielleicht für immer darin zu verſinken! In tauſend deutſchen Herzen
hallte die Klage des Dichters wieder:

Doch dort an den Vogeſen
Liegt ein verlornes Gut.
Da gilt es, deutſches Blut
Vom Höllenjoch zu löſen!

Und was am tiefſten verwundete: dieſelben verlorenen deutſchen Länder,
denen man die Freiheit hatte bringen wollen, frohlockten über den diplo-
matiſchen Erfolg des Auslandes. In heller Verzweiflung rief Rückert:

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[788/0804] II. 2. Belle Alliance. konnten war die Niederlage von Belle Alliance. Rache für Waterloo! — dies blieb für Jahrzehnte der Schlachtruf des franzöſiſchen Volkes. Dieſem Gedanken entſprangen die Revolution von 1830, die Kriegs- drohungen von 1840 und die Wiederherſtellung des Kaiſerreiches, bis dann nach einem halben Jahrhundert der alte Herzenswunſch in einem wüſten Eroberungskriege ſich entlud und der deutſche Sieger die Unter- laſſungsſünden von 1815 endlich ſühnte. So blieb das Verhältniß zwiſchen den beiden Nachbarvölkern auf Jahrzehnte hinaus krankhaft unſicher und geſpannt. Die Deutſchen em- pfingen die Kunde von dem faulen Frieden mit bitterem Zorne. So recht im Namen ſeines Volkes rief Blücher: „Preußen und Deutſchland ſteht trotz ſeiner Anſtrengungen immer wieder als der Betrogene vor der ganzen Welt da“ — worauf er dann abermals ſeinen Ingrimm gegen die Diplomatiker ausſprach und zornig fragte, wie lange denn „dieſe ſonderbare Verſammlung von Unterthanen, die ihre eigenen Monarchen beherrſchen,“ noch beſtehen ſolle. In ihrer naiven Unkenntniß der po- litiſchen Verhältniſſe hatten viele Deutſche alles Ernſtes gehofft, in Paris würden nicht nur die alten Grenzen des Vaterlandes wieder hergeſtellt, ſondern auch die Gebrechen der Bundesverfaſſung geheilt werden. Schenken- dorf wollte die Hoffnung nicht aufgeben, daß man den Erben der Leopolde und Ferdinande, der die deutſche Krone ſo kaltblütig verſchmähte, nun doch zwingen könnte, ſich mit dem alten Purpur zu bekleiden. Der treue Mann konnte die Stunde gar nicht erwarten, da das verſteinerte Birnengeſicht des Kaiſers Franz wieder mit dem Reife der Karolinger geſchmückt würde, und ſang: O ſei denn endlich weiſer, Du Herde ohne Hirt, Und wähle ſchnell den Kaiſer Und zwing’ ihn daß er’s wird! Welche Entrüſtung nun unter dieſem teutoniſchen Geſchlechte, als ſich ergab, daß Alles beim Alten blieb, daß die Kaiſerherrlichkeit begraben war, daß Rappoltsweiler und Oberehnheim wieder Ribeauvillé und Obernay heißen, daß die alten ſchönen Heimathlande deutſcher Geſittung wieder von dem Schlamme wälſcher Verbildung überfluthet werden ſollten, um vielleicht für immer darin zu verſinken! In tauſend deutſchen Herzen hallte die Klage des Dichters wieder: Doch dort an den Vogeſen Liegt ein verlornes Gut. Da gilt es, deutſches Blut Vom Höllenjoch zu löſen! Und was am tiefſten verwundete: dieſelben verlorenen deutſchen Länder, denen man die Freiheit hatte bringen wollen, frohlockten über den diplo- matiſchen Erfolg des Auslandes. In heller Verzweiflung rief Rückert:

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 788. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/804>, abgerufen am 28.03.2024.