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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Die heilige Allianz.
Preußen und Rußland, so schrieb der Czar, betrachten sich als verbunden
durch die Bande einer wahrhaften und unauflöslichen Brüderlichkeit, als
Familienväter ihren Unterthanen gegenüber; sie sehen sich an als von
der Vorsehung beauftragt drei Zweige einer Familie zu regieren, und
erkennen als den einzigen Souverain der einen christlichen Nation allein
"Gott, unsern göttlichen Erlöser Jesus Christus, das Wort des Höchsten,
das Wort des Lebens". Alle Staaten, welche sich zu diesen Heilswahr-
heiten bekennen, sind zum Eintritt in den heiligen Bund brüderlich ein-
geladen *).

Jene räthselhafte Schicksalsgunst, welche es immer so fügte, daß die
Gefühlswallungen Alexanders mit seinem Vortheile zusammentrafen,
waltete auch über diesem Ergusse seiner heiligsten Empfindungen. Alle
Mächte Europas konnten seiner brüderlichen Einladung folgen, nur jene
beiden nicht, welche der russischen Politik von Altersher als unversöhn-
liche Feinde galten. Der Papst mußte fern bleiben, weil der Stellver-
treter Christi nur die civitas Dei unter der Herrschaft des gekrönten
Priesters anerkennen durfte. Vollends der ungläubige Sultan war, wie
der Czar unverhohlen aussprach, für immer aus dem großen Bruderbunde
Europas ausgeschlossen. Dem verständigen Sinne Friedrich Wilhelms
erschienen die orakelhaften Sätze, die ihm der Czar mit feierlichem
Ernst vorlegte, sehr befremdlich; aber warum dem alten Freunde eine
Gefälligkeit versagen, welche dem preußischen Staate durchaus keine Ver-
pflichtung auferlegte? Bereitwillig schrieb der König, wie sein Freund
wünschte, das Actenstück mit eigenen Händen ab (26. September). Schwerer
entschloß sich Kaiser Franz; er sah voraus, wie peinlich dieser heilige
Bund den treuen Freund in Konstantinopel berühren würde. Doch da
Metternich die fromme Urkunde lächelnd für leeres Geschwätz erklärte, so
trat auch Oesterreich noch am selben Tage bei. Nach und nach haben
sich dann sämmtliche Staaten Europas dem heiligen Bunde angeschlossen,
die meisten aus Gefälligkeit für den Czaren, einige auch weil die frommen
Worte vom väterlichen Fürstenregiment den hochconservativen Neigungen
des anbrechenden Restaurationszeitalters entsprachen.

Nur drei hielten sich zurück: jene beiden alten Feinde Rußlands
-- und England. Während der Prinzregent als Beherrscher von Hannover
willig unterzeichnete, erklärte Castlereagh in einer bissigen Rede: das
Parlament bestehe aus praktischen Staatsmännern und könne daher wohl
einen Staatsvertrag genehmigen, doch nicht eine Erklärung von Grund-

*) Eine Andeutung in einer Parlamentsrede Lord Liverpools hat Anlaß gegeben
zu der häufig wiederholten Behauptung, daß die Acte der heiligen Allianz einige geheime
Artikel enthalten hätte. Obgleich die Unhaltbarkeit dieser Annahme sich schon aus inneren
Gründen ergiebt, so sei hier doch zum Ueberfluß noch versichert, daß die im Berliner
Geh. Staatsarchiv verwahrte Original-Urkunde nichts weiter als den allbekannten Text
enthält.
Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 50

Die heilige Allianz.
Preußen und Rußland, ſo ſchrieb der Czar, betrachten ſich als verbunden
durch die Bande einer wahrhaften und unauflöslichen Brüderlichkeit, als
Familienväter ihren Unterthanen gegenüber; ſie ſehen ſich an als von
der Vorſehung beauftragt drei Zweige einer Familie zu regieren, und
erkennen als den einzigen Souverain der einen chriſtlichen Nation allein
„Gott, unſern göttlichen Erlöſer Jeſus Chriſtus, das Wort des Höchſten,
das Wort des Lebens“. Alle Staaten, welche ſich zu dieſen Heilswahr-
heiten bekennen, ſind zum Eintritt in den heiligen Bund brüderlich ein-
geladen *).

Jene räthſelhafte Schickſalsgunſt, welche es immer ſo fügte, daß die
Gefühlswallungen Alexanders mit ſeinem Vortheile zuſammentrafen,
waltete auch über dieſem Erguſſe ſeiner heiligſten Empfindungen. Alle
Mächte Europas konnten ſeiner brüderlichen Einladung folgen, nur jene
beiden nicht, welche der ruſſiſchen Politik von Altersher als unverſöhn-
liche Feinde galten. Der Papſt mußte fern bleiben, weil der Stellver-
treter Chriſti nur die civitas Dei unter der Herrſchaft des gekrönten
Prieſters anerkennen durfte. Vollends der ungläubige Sultan war, wie
der Czar unverhohlen ausſprach, für immer aus dem großen Bruderbunde
Europas ausgeſchloſſen. Dem verſtändigen Sinne Friedrich Wilhelms
erſchienen die orakelhaften Sätze, die ihm der Czar mit feierlichem
Ernſt vorlegte, ſehr befremdlich; aber warum dem alten Freunde eine
Gefälligkeit verſagen, welche dem preußiſchen Staate durchaus keine Ver-
pflichtung auferlegte? Bereitwillig ſchrieb der König, wie ſein Freund
wünſchte, das Actenſtück mit eigenen Händen ab (26. September). Schwerer
entſchloß ſich Kaiſer Franz; er ſah voraus, wie peinlich dieſer heilige
Bund den treuen Freund in Konſtantinopel berühren würde. Doch da
Metternich die fromme Urkunde lächelnd für leeres Geſchwätz erklärte, ſo
trat auch Oeſterreich noch am ſelben Tage bei. Nach und nach haben
ſich dann ſämmtliche Staaten Europas dem heiligen Bunde angeſchloſſen,
die meiſten aus Gefälligkeit für den Czaren, einige auch weil die frommen
Worte vom väterlichen Fürſtenregiment den hochconſervativen Neigungen
des anbrechenden Reſtaurationszeitalters entſprachen.

Nur drei hielten ſich zurück: jene beiden alten Feinde Rußlands
— und England. Während der Prinzregent als Beherrſcher von Hannover
willig unterzeichnete, erklärte Caſtlereagh in einer biſſigen Rede: das
Parlament beſtehe aus praktiſchen Staatsmännern und könne daher wohl
einen Staatsvertrag genehmigen, doch nicht eine Erklärung von Grund-

*) Eine Andeutung in einer Parlamentsrede Lord Liverpools hat Anlaß gegeben
zu der häufig wiederholten Behauptung, daß die Acte der heiligen Allianz einige geheime
Artikel enthalten hätte. Obgleich die Unhaltbarkeit dieſer Annahme ſich ſchon aus inneren
Gründen ergiebt, ſo ſei hier doch zum Ueberfluß noch verſichert, daß die im Berliner
Geh. Staatsarchiv verwahrte Original-Urkunde nichts weiter als den allbekannten Text
enthält.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 50
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[785/0801] Die heilige Allianz. Preußen und Rußland, ſo ſchrieb der Czar, betrachten ſich als verbunden durch die Bande einer wahrhaften und unauflöslichen Brüderlichkeit, als Familienväter ihren Unterthanen gegenüber; ſie ſehen ſich an als von der Vorſehung beauftragt drei Zweige einer Familie zu regieren, und erkennen als den einzigen Souverain der einen chriſtlichen Nation allein „Gott, unſern göttlichen Erlöſer Jeſus Chriſtus, das Wort des Höchſten, das Wort des Lebens“. Alle Staaten, welche ſich zu dieſen Heilswahr- heiten bekennen, ſind zum Eintritt in den heiligen Bund brüderlich ein- geladen *). Jene räthſelhafte Schickſalsgunſt, welche es immer ſo fügte, daß die Gefühlswallungen Alexanders mit ſeinem Vortheile zuſammentrafen, waltete auch über dieſem Erguſſe ſeiner heiligſten Empfindungen. Alle Mächte Europas konnten ſeiner brüderlichen Einladung folgen, nur jene beiden nicht, welche der ruſſiſchen Politik von Altersher als unverſöhn- liche Feinde galten. Der Papſt mußte fern bleiben, weil der Stellver- treter Chriſti nur die civitas Dei unter der Herrſchaft des gekrönten Prieſters anerkennen durfte. Vollends der ungläubige Sultan war, wie der Czar unverhohlen ausſprach, für immer aus dem großen Bruderbunde Europas ausgeſchloſſen. Dem verſtändigen Sinne Friedrich Wilhelms erſchienen die orakelhaften Sätze, die ihm der Czar mit feierlichem Ernſt vorlegte, ſehr befremdlich; aber warum dem alten Freunde eine Gefälligkeit verſagen, welche dem preußiſchen Staate durchaus keine Ver- pflichtung auferlegte? Bereitwillig ſchrieb der König, wie ſein Freund wünſchte, das Actenſtück mit eigenen Händen ab (26. September). Schwerer entſchloß ſich Kaiſer Franz; er ſah voraus, wie peinlich dieſer heilige Bund den treuen Freund in Konſtantinopel berühren würde. Doch da Metternich die fromme Urkunde lächelnd für leeres Geſchwätz erklärte, ſo trat auch Oeſterreich noch am ſelben Tage bei. Nach und nach haben ſich dann ſämmtliche Staaten Europas dem heiligen Bunde angeſchloſſen, die meiſten aus Gefälligkeit für den Czaren, einige auch weil die frommen Worte vom väterlichen Fürſtenregiment den hochconſervativen Neigungen des anbrechenden Reſtaurationszeitalters entſprachen. Nur drei hielten ſich zurück: jene beiden alten Feinde Rußlands — und England. Während der Prinzregent als Beherrſcher von Hannover willig unterzeichnete, erklärte Caſtlereagh in einer biſſigen Rede: das Parlament beſtehe aus praktiſchen Staatsmännern und könne daher wohl einen Staatsvertrag genehmigen, doch nicht eine Erklärung von Grund- *) Eine Andeutung in einer Parlamentsrede Lord Liverpools hat Anlaß gegeben zu der häufig wiederholten Behauptung, daß die Acte der heiligen Allianz einige geheime Artikel enthalten hätte. Obgleich die Unhaltbarkeit dieſer Annahme ſich ſchon aus inneren Gründen ergiebt, ſo ſei hier doch zum Ueberfluß noch verſichert, daß die im Berliner Geh. Staatsarchiv verwahrte Original-Urkunde nichts weiter als den allbekannten Text enthält. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 50

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 785. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/801>, abgerufen am 29.03.2024.