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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Die deutsche Nation und Friedrich.
noch heute verfällt der Norddeutsche, wenn auf den Krieg die Rede kommt,
unwillkürlich in die Ausdrucksweise jener heroischen Tage und spricht
wie Friedrich von brillanten Campagnen und fulminanten Attaken.

Die gutherzige Gemüthlichkeit der Deutschen außerhalb Preußens
bedurfte langer Zeit um das Grauen zu überwinden vor dem harten
Realismus dieser fridericianischen Politik, die ihre Gegner so ungroß-
müthig immer angriff, wenn es ihnen am wenigsten willkommen war.
Aber als das große Jahr 1757 über das deutsche Land dahinbrauste,
siegreicher Angriff und schwere Niederlage, neue verwegene Erhebung und
neue strahlende Siege in sinnverwirrender Hast sich drängten und aus
der wilden Flucht der Ereignisse immer gleich groß und beherrschend das
Bild des Königs heraustrat, da fühlte sich das Volk in Herz und Nieren
gepackt und erschüttert von dem Anblick echter Menschengröße. Die
verwitterte und verknöcherte Gestalt des alten Fritz, wie der Hammerschlag
des unerbittlichen Schicksals sie zurecht geschmiedet, übte ihren dämonischen
Zauber auf unzählige treue Gemüther, die zu der glänzenden Erscheinung
des jugendlichen Helden von Hohenfriedberg nur mit befangener Scheu
emporgeblickt hatten. Die Deutschen waren, wie Goethe von seinen
Frankfurtern sagt, fritzisch gesinnt -- "denn was ging uns Preußen
an?" -- und lauschten mit verhaltenem Athem, wie der unzähmbare
Mann jahraus jahrein sich des Verderbens erwehrte. Jener überwäl-
tigende Einmuth ungetheilter Liebe und Freude, der die Geschichte glück-
licherer Völker zuweilen mit goldenem Lichte verklärt, blieb freilich dem
zerrissenen Deutschland auch jetzt noch versagt. Wie Luther und Gustav
Adolf, die beiden einzigen Helden vordem, deren Bild sich den Massen
unseres Volkes unvergeßlich ins Herz prägte, so ward auch Friedrich in
den Krummstabslanden am Rhein und Main als der große Feind ge-
fürchtet. Doch die ungeheure Mehrheit des protestantischen, auch weite
Kreise des katholischen Volks, und vor Allem sämmtliche Wortführer der
jungen Wissenschaft und Dichtung folgten ihm mit warmer Theilnahme;
man haschte nach seinen Witzworten, erzählte Wunder über Wunder von
seinen Grenadieren und Husaren. Dem verschüchterten Geschlechte ward
die Seele weit bei dem Gedanken, daß der erste Mann des Jahrhun-
derts unser war, daß der Ruhm des großen Königs bis nach Marokko
und Amerika drang.

Noch wußten Wenige, daß in dem preußischen Schlachtenruhme
nur die uralte Waffenherrlichkeit der deutschen Nation wieder zu Tage
kam; selbst Lessing spricht von den Preußen zuweilen wie von einem
halbfremden Volke und meint verwundert, denen sei der Heldenmuth so
angeboren wie den Spartanern. Nach und nach begannen doch selbst
die Massen zu fühlen, daß Friedrich für Deutschland focht. Die Schlacht
von Roßbach, die bataille en douceur, wie er sie spottend nennt, ward der
folgenreichste seiner Siege für unser nationales Leben. Wenn in diesem

Die deutſche Nation und Friedrich.
noch heute verfällt der Norddeutſche, wenn auf den Krieg die Rede kommt,
unwillkürlich in die Ausdrucksweiſe jener heroiſchen Tage und ſpricht
wie Friedrich von brillanten Campagnen und fulminanten Attaken.

Die gutherzige Gemüthlichkeit der Deutſchen außerhalb Preußens
bedurfte langer Zeit um das Grauen zu überwinden vor dem harten
Realismus dieſer fridericianiſchen Politik, die ihre Gegner ſo ungroß-
müthig immer angriff, wenn es ihnen am wenigſten willkommen war.
Aber als das große Jahr 1757 über das deutſche Land dahinbrauſte,
ſiegreicher Angriff und ſchwere Niederlage, neue verwegene Erhebung und
neue ſtrahlende Siege in ſinnverwirrender Haſt ſich drängten und aus
der wilden Flucht der Ereigniſſe immer gleich groß und beherrſchend das
Bild des Königs heraustrat, da fühlte ſich das Volk in Herz und Nieren
gepackt und erſchüttert von dem Anblick echter Menſchengröße. Die
verwitterte und verknöcherte Geſtalt des alten Fritz, wie der Hammerſchlag
des unerbittlichen Schickſals ſie zurecht geſchmiedet, übte ihren dämoniſchen
Zauber auf unzählige treue Gemüther, die zu der glänzenden Erſcheinung
des jugendlichen Helden von Hohenfriedberg nur mit befangener Scheu
emporgeblickt hatten. Die Deutſchen waren, wie Goethe von ſeinen
Frankfurtern ſagt, fritziſch geſinnt — „denn was ging uns Preußen
an?“ — und lauſchten mit verhaltenem Athem, wie der unzähmbare
Mann jahraus jahrein ſich des Verderbens erwehrte. Jener überwäl-
tigende Einmuth ungetheilter Liebe und Freude, der die Geſchichte glück-
licherer Völker zuweilen mit goldenem Lichte verklärt, blieb freilich dem
zerriſſenen Deutſchland auch jetzt noch verſagt. Wie Luther und Guſtav
Adolf, die beiden einzigen Helden vordem, deren Bild ſich den Maſſen
unſeres Volkes unvergeßlich ins Herz prägte, ſo ward auch Friedrich in
den Krummſtabslanden am Rhein und Main als der große Feind ge-
fürchtet. Doch die ungeheure Mehrheit des proteſtantiſchen, auch weite
Kreiſe des katholiſchen Volks, und vor Allem ſämmtliche Wortführer der
jungen Wiſſenſchaft und Dichtung folgten ihm mit warmer Theilnahme;
man haſchte nach ſeinen Witzworten, erzählte Wunder über Wunder von
ſeinen Grenadieren und Huſaren. Dem verſchüchterten Geſchlechte ward
die Seele weit bei dem Gedanken, daß der erſte Mann des Jahrhun-
derts unſer war, daß der Ruhm des großen Königs bis nach Marokko
und Amerika drang.

Noch wußten Wenige, daß in dem preußiſchen Schlachtenruhme
nur die uralte Waffenherrlichkeit der deutſchen Nation wieder zu Tage
kam; ſelbſt Leſſing ſpricht von den Preußen zuweilen wie von einem
halbfremden Volke und meint verwundert, denen ſei der Heldenmuth ſo
angeboren wie den Spartanern. Nach und nach begannen doch ſelbſt
die Maſſen zu fühlen, daß Friedrich für Deutſchland focht. Die Schlacht
von Roßbach, die bataille en douceur, wie er ſie ſpottend nennt, ward der
folgenreichſte ſeiner Siege für unſer nationales Leben. Wenn in dieſem

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[63/0079] Die deutſche Nation und Friedrich. noch heute verfällt der Norddeutſche, wenn auf den Krieg die Rede kommt, unwillkürlich in die Ausdrucksweiſe jener heroiſchen Tage und ſpricht wie Friedrich von brillanten Campagnen und fulminanten Attaken. Die gutherzige Gemüthlichkeit der Deutſchen außerhalb Preußens bedurfte langer Zeit um das Grauen zu überwinden vor dem harten Realismus dieſer fridericianiſchen Politik, die ihre Gegner ſo ungroß- müthig immer angriff, wenn es ihnen am wenigſten willkommen war. Aber als das große Jahr 1757 über das deutſche Land dahinbrauſte, ſiegreicher Angriff und ſchwere Niederlage, neue verwegene Erhebung und neue ſtrahlende Siege in ſinnverwirrender Haſt ſich drängten und aus der wilden Flucht der Ereigniſſe immer gleich groß und beherrſchend das Bild des Königs heraustrat, da fühlte ſich das Volk in Herz und Nieren gepackt und erſchüttert von dem Anblick echter Menſchengröße. Die verwitterte und verknöcherte Geſtalt des alten Fritz, wie der Hammerſchlag des unerbittlichen Schickſals ſie zurecht geſchmiedet, übte ihren dämoniſchen Zauber auf unzählige treue Gemüther, die zu der glänzenden Erſcheinung des jugendlichen Helden von Hohenfriedberg nur mit befangener Scheu emporgeblickt hatten. Die Deutſchen waren, wie Goethe von ſeinen Frankfurtern ſagt, fritziſch geſinnt — „denn was ging uns Preußen an?“ — und lauſchten mit verhaltenem Athem, wie der unzähmbare Mann jahraus jahrein ſich des Verderbens erwehrte. Jener überwäl- tigende Einmuth ungetheilter Liebe und Freude, der die Geſchichte glück- licherer Völker zuweilen mit goldenem Lichte verklärt, blieb freilich dem zerriſſenen Deutſchland auch jetzt noch verſagt. Wie Luther und Guſtav Adolf, die beiden einzigen Helden vordem, deren Bild ſich den Maſſen unſeres Volkes unvergeßlich ins Herz prägte, ſo ward auch Friedrich in den Krummſtabslanden am Rhein und Main als der große Feind ge- fürchtet. Doch die ungeheure Mehrheit des proteſtantiſchen, auch weite Kreiſe des katholiſchen Volks, und vor Allem ſämmtliche Wortführer der jungen Wiſſenſchaft und Dichtung folgten ihm mit warmer Theilnahme; man haſchte nach ſeinen Witzworten, erzählte Wunder über Wunder von ſeinen Grenadieren und Huſaren. Dem verſchüchterten Geſchlechte ward die Seele weit bei dem Gedanken, daß der erſte Mann des Jahrhun- derts unſer war, daß der Ruhm des großen Königs bis nach Marokko und Amerika drang. Noch wußten Wenige, daß in dem preußiſchen Schlachtenruhme nur die uralte Waffenherrlichkeit der deutſchen Nation wieder zu Tage kam; ſelbſt Leſſing ſpricht von den Preußen zuweilen wie von einem halbfremden Volke und meint verwundert, denen ſei der Heldenmuth ſo angeboren wie den Spartanern. Nach und nach begannen doch ſelbſt die Maſſen zu fühlen, daß Friedrich für Deutſchland focht. Die Schlacht von Roßbach, die bataille en douceur, wie er ſie ſpottend nennt, ward der folgenreichſte ſeiner Siege für unſer nationales Leben. Wenn in dieſem

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/79>, abgerufen am 19.04.2024.