Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Friedrichs deutsche Politik.
und kein Bündniß ihn je vermochte auf das Recht der freien Selbstbe-
stimmung zu verzichten. Alle Höfe Europas sprachen grollend vom
travailler pour le roi de Prusse; von Altersher gewohnt das deutsche
Leben zu beherrschen vermochten sie kaum zu fassen, daß sich endlich
wieder die entschlossene Selbstsucht eines unabhängigen deutschen Staates
ihrem Willen entgegenstemmte. Der königliche Schüler Voltaires hat für
den deutschen Staat dasselbe Werk der Befreiung begonnen, das Voltaires
Gegner, Lessing, für unsere Dichtung vollführte. Schon in seinen
Jugendschriften verdammt er in scharfen Worten die Schwäche des heiligen
Reichs, das seine Thermopylen, das Elsaß, dem Fremdling geöffnet habe;
er zürnt auf den Wiener Hof, der Lothringen an Frankreich preisgegeben;
er will es der Königin von Ungarn nie verzeihen, daß sie die wilde
Meute jener Grazien des Ostens, Jazygen, Croaten und Tolpatschen auf
das deutsche Reich losgelassen und die moskowitischen Barbaren zum
ersten male in Deutschlands innere Händel herbeigerufen hat. Dann
während der sieben Jahre entladet sich sein deutscher Stolz und Haß oft
in Worten grimmigen Hohnes. Den Russen, die ihm seine neumärkischen
Bauern ausplündern, sendet er den Segenswunsch: "O könnten sie ins
Schwarze Meer mit Einem Sprunge sich versenken, köpflings, den Hintern
hinterher, sich selber und ihr Angedenken." Und als die Franzosen das
Rheinland überfluthen, da singt er, freilich in französischer Sprache,
jene Ode, die an die Klänge des Befreiungskrieges gemahnt:

Bis in seine tiefste Quelle
Schäumt der alte Rhein vor Groll,
Flucht der Schmach, daß seine Welle
Fremdes Joch ertragen soll!

"Die Klugheit ist sehr geeignet zu bewahren was man besitzt, doch
allein die Kühnheit versteht zu erwerben" -- mit diesem Selbstgeständniß
hat Friedrich in seinen Rheinsberger Tagen verrathen, wie ihn sein
innerstes Wesen zu rascher Entschließung, zu stürmischer Verwegenheit
drängte. Nichts halb zu thun gilt ihm als die oberste Pflicht des
Staatsmannes, und unter allen denkbaren Entschlüssen scheint ihm der
schlimmste -- keinen zu fassen. Doch er zeigt auch darin sein deutsches
Blut, daß er die feurige Thatenlust von frühauf zu bändigen weiß durch
kalte, nüchterne Berechnung. Der die Heldenkraft eines Alexander in
sich fühlte, beschied sich, das Dauernde zu schaffen in dem engen Kreise,
darein ihn das Schicksal gestellt. Im Kriege läßt er dann und wann
seinem Feuergeiste die Zügel schießen, fordert das Unmögliche von seinen
Truppen und fehlt durch die stolze Geringschätzung des Feindes; als
Staatsmann bewährt er immer eine vollendete Mäßigung, eine weise
Selbstbeschränkung, die jeden abenteuerlichen Plan sogleich an der Schwelle
abweist. Keinen Augenblick bethört ihn der Gedanke seinen Staat los-
zureißen von dem verfallenen deutschen Gemeinwesen; die Reichsstandschaft

Friedrichs deutſche Politik.
und kein Bündniß ihn je vermochte auf das Recht der freien Selbſtbe-
ſtimmung zu verzichten. Alle Höfe Europas ſprachen grollend vom
travailler pour le roi de Prusse; von Altersher gewohnt das deutſche
Leben zu beherrſchen vermochten ſie kaum zu faſſen, daß ſich endlich
wieder die entſchloſſene Selbſtſucht eines unabhängigen deutſchen Staates
ihrem Willen entgegenſtemmte. Der königliche Schüler Voltaires hat für
den deutſchen Staat daſſelbe Werk der Befreiung begonnen, das Voltaires
Gegner, Leſſing, für unſere Dichtung vollführte. Schon in ſeinen
Jugendſchriften verdammt er in ſcharfen Worten die Schwäche des heiligen
Reichs, das ſeine Thermopylen, das Elſaß, dem Fremdling geöffnet habe;
er zürnt auf den Wiener Hof, der Lothringen an Frankreich preisgegeben;
er will es der Königin von Ungarn nie verzeihen, daß ſie die wilde
Meute jener Grazien des Oſtens, Jazygen, Croaten und Tolpatſchen auf
das deutſche Reich losgelaſſen und die moskowitiſchen Barbaren zum
erſten male in Deutſchlands innere Händel herbeigerufen hat. Dann
während der ſieben Jahre entladet ſich ſein deutſcher Stolz und Haß oft
in Worten grimmigen Hohnes. Den Ruſſen, die ihm ſeine neumärkiſchen
Bauern ausplündern, ſendet er den Segenswunſch: „O könnten ſie ins
Schwarze Meer mit Einem Sprunge ſich verſenken, köpflings, den Hintern
hinterher, ſich ſelber und ihr Angedenken.“ Und als die Franzoſen das
Rheinland überfluthen, da ſingt er, freilich in franzöſiſcher Sprache,
jene Ode, die an die Klänge des Befreiungskrieges gemahnt:

Bis in ſeine tiefſte Quelle
Schäumt der alte Rhein vor Groll,
Flucht der Schmach, daß ſeine Welle
Fremdes Joch ertragen ſoll!

„Die Klugheit iſt ſehr geeignet zu bewahren was man beſitzt, doch
allein die Kühnheit verſteht zu erwerben“ — mit dieſem Selbſtgeſtändniß
hat Friedrich in ſeinen Rheinsberger Tagen verrathen, wie ihn ſein
innerſtes Weſen zu raſcher Entſchließung, zu ſtürmiſcher Verwegenheit
drängte. Nichts halb zu thun gilt ihm als die oberſte Pflicht des
Staatsmannes, und unter allen denkbaren Entſchlüſſen ſcheint ihm der
ſchlimmſte — keinen zu faſſen. Doch er zeigt auch darin ſein deutſches
Blut, daß er die feurige Thatenluſt von frühauf zu bändigen weiß durch
kalte, nüchterne Berechnung. Der die Heldenkraft eines Alexander in
ſich fühlte, beſchied ſich, das Dauernde zu ſchaffen in dem engen Kreiſe,
darein ihn das Schickſal geſtellt. Im Kriege läßt er dann und wann
ſeinem Feuergeiſte die Zügel ſchießen, fordert das Unmögliche von ſeinen
Truppen und fehlt durch die ſtolze Geringſchätzung des Feindes; als
Staatsmann bewährt er immer eine vollendete Mäßigung, eine weiſe
Selbſtbeſchränkung, die jeden abenteuerlichen Plan ſogleich an der Schwelle
abweiſt. Keinen Augenblick bethört ihn der Gedanke ſeinen Staat los-
zureißen von dem verfallenen deutſchen Gemeinweſen; die Reichsſtandſchaft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0069" n="53"/><fw place="top" type="header">Friedrichs deut&#x017F;che Politik.</fw><lb/>
und kein Bündniß ihn je vermochte auf das Recht der freien Selb&#x017F;tbe-<lb/>
&#x017F;timmung zu verzichten. Alle Höfe Europas &#x017F;prachen grollend vom<lb/><hi rendition="#aq">travailler pour le roi de Prusse;</hi> von Altersher gewohnt das deut&#x017F;che<lb/>
Leben zu beherr&#x017F;chen vermochten &#x017F;ie kaum zu fa&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ich endlich<lb/>
wieder die ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Selb&#x017F;t&#x017F;ucht eines unabhängigen deut&#x017F;chen Staates<lb/>
ihrem Willen entgegen&#x017F;temmte. Der königliche Schüler Voltaires hat für<lb/>
den deut&#x017F;chen Staat da&#x017F;&#x017F;elbe Werk der Befreiung begonnen, das Voltaires<lb/>
Gegner, Le&#x017F;&#x017F;ing, für un&#x017F;ere Dichtung vollführte. Schon in &#x017F;einen<lb/>
Jugend&#x017F;chriften verdammt er in &#x017F;charfen Worten die Schwäche des heiligen<lb/>
Reichs, das &#x017F;eine Thermopylen, das El&#x017F;aß, dem Fremdling geöffnet habe;<lb/>
er zürnt auf den Wiener Hof, der Lothringen an Frankreich preisgegeben;<lb/>
er will es der Königin von Ungarn nie verzeihen, daß &#x017F;ie die wilde<lb/>
Meute jener Grazien des O&#x017F;tens, Jazygen, Croaten und Tolpat&#x017F;chen auf<lb/>
das deut&#x017F;che Reich losgela&#x017F;&#x017F;en und die moskowiti&#x017F;chen Barbaren zum<lb/>
er&#x017F;ten male in Deut&#x017F;chlands innere Händel herbeigerufen hat. Dann<lb/>
während der &#x017F;ieben Jahre entladet &#x017F;ich &#x017F;ein deut&#x017F;cher Stolz und Haß oft<lb/>
in Worten grimmigen Hohnes. Den Ru&#x017F;&#x017F;en, die ihm &#x017F;eine neumärki&#x017F;chen<lb/>
Bauern ausplündern, &#x017F;endet er den Segenswun&#x017F;ch: &#x201E;O könnten &#x017F;ie ins<lb/>
Schwarze Meer mit Einem Sprunge &#x017F;ich ver&#x017F;enken, köpflings, den Hintern<lb/>
hinterher, &#x017F;ich &#x017F;elber und ihr Angedenken.&#x201C; Und als die Franzo&#x017F;en das<lb/>
Rheinland überfluthen, da &#x017F;ingt er, freilich in franzö&#x017F;i&#x017F;cher Sprache,<lb/>
jene Ode, die an die Klänge des Befreiungskrieges gemahnt:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Bis in &#x017F;eine tief&#x017F;te Quelle</l><lb/>
              <l>Schäumt der alte Rhein vor Groll,</l><lb/>
              <l>Flucht der Schmach, daß &#x017F;eine Welle</l><lb/>
              <l>Fremdes Joch ertragen &#x017F;oll!</l>
            </lg><lb/>
            <p>&#x201E;Die Klugheit i&#x017F;t &#x017F;ehr geeignet zu bewahren was man be&#x017F;itzt, doch<lb/>
allein die Kühnheit ver&#x017F;teht zu erwerben&#x201C; &#x2014; mit die&#x017F;em Selb&#x017F;tge&#x017F;tändniß<lb/>
hat Friedrich in &#x017F;einen Rheinsberger Tagen verrathen, wie ihn &#x017F;ein<lb/>
inner&#x017F;tes We&#x017F;en zu ra&#x017F;cher Ent&#x017F;chließung, zu &#x017F;türmi&#x017F;cher Verwegenheit<lb/>
drängte. Nichts halb zu thun gilt ihm als die ober&#x017F;te Pflicht des<lb/>
Staatsmannes, und unter allen denkbaren Ent&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;cheint ihm der<lb/>
&#x017F;chlimm&#x017F;te &#x2014; keinen zu fa&#x017F;&#x017F;en. Doch er zeigt auch darin &#x017F;ein deut&#x017F;ches<lb/>
Blut, daß er die feurige Thatenlu&#x017F;t von frühauf zu bändigen weiß durch<lb/>
kalte, nüchterne Berechnung. Der die Heldenkraft eines Alexander in<lb/>
&#x017F;ich fühlte, be&#x017F;chied &#x017F;ich, das Dauernde zu &#x017F;chaffen in dem engen Krei&#x017F;e,<lb/>
darein ihn das Schick&#x017F;al ge&#x017F;tellt. Im Kriege läßt er dann und wann<lb/>
&#x017F;einem Feuergei&#x017F;te die Zügel &#x017F;chießen, fordert das Unmögliche von &#x017F;einen<lb/>
Truppen und fehlt durch die &#x017F;tolze Gering&#x017F;chätzung des Feindes; als<lb/>
Staatsmann bewährt er immer eine vollendete Mäßigung, eine wei&#x017F;e<lb/>
Selb&#x017F;tbe&#x017F;chränkung, die jeden abenteuerlichen Plan &#x017F;ogleich an der Schwelle<lb/>
abwei&#x017F;t. Keinen Augenblick bethört ihn der Gedanke &#x017F;einen Staat los-<lb/>
zureißen von dem verfallenen deut&#x017F;chen Gemeinwe&#x017F;en; die Reichs&#x017F;tand&#x017F;chaft<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0069] Friedrichs deutſche Politik. und kein Bündniß ihn je vermochte auf das Recht der freien Selbſtbe- ſtimmung zu verzichten. Alle Höfe Europas ſprachen grollend vom travailler pour le roi de Prusse; von Altersher gewohnt das deutſche Leben zu beherrſchen vermochten ſie kaum zu faſſen, daß ſich endlich wieder die entſchloſſene Selbſtſucht eines unabhängigen deutſchen Staates ihrem Willen entgegenſtemmte. Der königliche Schüler Voltaires hat für den deutſchen Staat daſſelbe Werk der Befreiung begonnen, das Voltaires Gegner, Leſſing, für unſere Dichtung vollführte. Schon in ſeinen Jugendſchriften verdammt er in ſcharfen Worten die Schwäche des heiligen Reichs, das ſeine Thermopylen, das Elſaß, dem Fremdling geöffnet habe; er zürnt auf den Wiener Hof, der Lothringen an Frankreich preisgegeben; er will es der Königin von Ungarn nie verzeihen, daß ſie die wilde Meute jener Grazien des Oſtens, Jazygen, Croaten und Tolpatſchen auf das deutſche Reich losgelaſſen und die moskowitiſchen Barbaren zum erſten male in Deutſchlands innere Händel herbeigerufen hat. Dann während der ſieben Jahre entladet ſich ſein deutſcher Stolz und Haß oft in Worten grimmigen Hohnes. Den Ruſſen, die ihm ſeine neumärkiſchen Bauern ausplündern, ſendet er den Segenswunſch: „O könnten ſie ins Schwarze Meer mit Einem Sprunge ſich verſenken, köpflings, den Hintern hinterher, ſich ſelber und ihr Angedenken.“ Und als die Franzoſen das Rheinland überfluthen, da ſingt er, freilich in franzöſiſcher Sprache, jene Ode, die an die Klänge des Befreiungskrieges gemahnt: Bis in ſeine tiefſte Quelle Schäumt der alte Rhein vor Groll, Flucht der Schmach, daß ſeine Welle Fremdes Joch ertragen ſoll! „Die Klugheit iſt ſehr geeignet zu bewahren was man beſitzt, doch allein die Kühnheit verſteht zu erwerben“ — mit dieſem Selbſtgeſtändniß hat Friedrich in ſeinen Rheinsberger Tagen verrathen, wie ihn ſein innerſtes Weſen zu raſcher Entſchließung, zu ſtürmiſcher Verwegenheit drängte. Nichts halb zu thun gilt ihm als die oberſte Pflicht des Staatsmannes, und unter allen denkbaren Entſchlüſſen ſcheint ihm der ſchlimmſte — keinen zu faſſen. Doch er zeigt auch darin ſein deutſches Blut, daß er die feurige Thatenluſt von frühauf zu bändigen weiß durch kalte, nüchterne Berechnung. Der die Heldenkraft eines Alexander in ſich fühlte, beſchied ſich, das Dauernde zu ſchaffen in dem engen Kreiſe, darein ihn das Schickſal geſtellt. Im Kriege läßt er dann und wann ſeinem Feuergeiſte die Zügel ſchießen, fordert das Unmögliche von ſeinen Truppen und fehlt durch die ſtolze Geringſchätzung des Feindes; als Staatsmann bewährt er immer eine vollendete Mäßigung, eine weiſe Selbſtbeſchränkung, die jeden abenteuerlichen Plan ſogleich an der Schwelle abweiſt. Keinen Augenblick bethört ihn der Gedanke ſeinen Staat los- zureißen von dem verfallenen deutſchen Gemeinweſen; die Reichsſtandſchaft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/69
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/69>, abgerufen am 20.04.2024.