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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Herzogthums eindrangen. Auch die Gerichte lebten noch in dem Ge-
dankenkreise des altständischen Staates und nahmen, gleich den franzö-
sischen Parlamenten, fast immer Partei für das verfallene Recht der
Theile gegen das lebendige Recht des Ganzen. Also, im siegreichen
Kampfe für Staatseinheit und Rechtsgleichheit, hat sich Preußens neue
regierende Klasse, das königliche Beamtenthum geschult. Aus jenem
heimathlosen Dienergeschlechte, das im siebzehnten Jahrhundert von Hof
zu Hof umherzog, ward nach und nach ein preußischer Stand, der
sein Leben dem Dienste der Krone hingab und in ihrer Ehre die
seine fand, streng, thätig und gewissenhaft wie sein König. Er ver-
kümmerte nicht, wie die Herren Stände der alten Zeit, in dem engen
Gesichtskreise der Landschaft und der Vetterschaft; er gehörte dem Staate
an, lernte sich heimisch fühlen in Königsberg wie in Cleve und wahrte
in den Klassenkämpfen der Gesellschaft gegen Hoch und Niedrig das
Gesetz des Landes. Der König aber gab seinen Beamten durch eine
feste Rangordnung und gesicherten Gehalt eine geachtete Stellung im
bürgerlichen Leben, forderte von jedem Eintretenden den Nachweis wissen-
schaftlicher Kenntnisse und begründete also eine Aristokratie der Bildung
neben der alten Gliederung der Geburtsstände. Die Folge lehrte, wie
richtig er die lebendigen Kräfte der deutschen Gesellschaft geschätzt hatte;
die besten Köpfe des Adels und des Bürgerthums strömten der neuen
regierenden Klasse zu. Das preußische Beamtenthum wurde für lange
Jahre die feste Stütze des deutschen Staatsgedankens, wie einst die
Legisten Philipps des Schönen die Pioniere der französischen Staatsein-
heit waren.

Zu der Steuerpflicht, welche der große Kurfürst seinen Unterthanen
auferlegt, fügte Friedrich Wilhelm I. die Wehrpflicht und die Schulpflicht
hinzu; er stellte also die Dreizahl jener allgemeinen Bürgerpflichten fest,
welche Preußens Volk zur lebendigen Vaterlandsliebe erzogen haben.
Ahnungslos brach sein in der Beschränktheit gewaltiger Geist die Bahn
für eine strenge, dem Bürgersinne des Alterthums verwandte Staatsge-
sinnung. Der altgermanische Gedanke des Waffendienstes aller wehrbaren
Männer war in den kampfgewohnten deutschen Ostmarken selbst während
der Zeiten der Söldnerheere niemals gänzlich ausgestorben. In Ostpreußen
bestanden noch bis ins achtzehnte Jahrhundert die Trümmer der alten
Landwehr der Wybranzen, und Friedrich I. unternahm eine Landmiliz
für den gesammten Staat zu bilden. Vor dem Soldatenauge seines
Sohnes fanden solche Versuche ungeregelter Volksbewaffnung keine Gnade.
König Friedrich Wilhelm kannte die Ueberlegenheit wohlgeschulter stehender
Heere; er sah, daß sein Staat nur durch die Anspannung aller Kräfte
bestehen und doch die Kosten der Werbungen auf die Dauer nicht er-
schwingen konnte. Wie ihm überall hinter dem Gebote der politischen
Pflicht jede andere Rücksicht zurücktrat, so gelangte er zu dem kühnen

I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Herzogthums eindrangen. Auch die Gerichte lebten noch in dem Ge-
dankenkreiſe des altſtändiſchen Staates und nahmen, gleich den franzö-
ſiſchen Parlamenten, faſt immer Partei für das verfallene Recht der
Theile gegen das lebendige Recht des Ganzen. Alſo, im ſiegreichen
Kampfe für Staatseinheit und Rechtsgleichheit, hat ſich Preußens neue
regierende Klaſſe, das königliche Beamtenthum geſchult. Aus jenem
heimathloſen Dienergeſchlechte, das im ſiebzehnten Jahrhundert von Hof
zu Hof umherzog, ward nach und nach ein preußiſcher Stand, der
ſein Leben dem Dienſte der Krone hingab und in ihrer Ehre die
ſeine fand, ſtreng, thätig und gewiſſenhaft wie ſein König. Er ver-
kümmerte nicht, wie die Herren Stände der alten Zeit, in dem engen
Geſichtskreiſe der Landſchaft und der Vetterſchaft; er gehörte dem Staate
an, lernte ſich heimiſch fühlen in Königsberg wie in Cleve und wahrte
in den Klaſſenkämpfen der Geſellſchaft gegen Hoch und Niedrig das
Geſetz des Landes. Der König aber gab ſeinen Beamten durch eine
feſte Rangordnung und geſicherten Gehalt eine geachtete Stellung im
bürgerlichen Leben, forderte von jedem Eintretenden den Nachweis wiſſen-
ſchaftlicher Kenntniſſe und begründete alſo eine Ariſtokratie der Bildung
neben der alten Gliederung der Geburtsſtände. Die Folge lehrte, wie
richtig er die lebendigen Kräfte der deutſchen Geſellſchaft geſchätzt hatte;
die beſten Köpfe des Adels und des Bürgerthums ſtrömten der neuen
regierenden Klaſſe zu. Das preußiſche Beamtenthum wurde für lange
Jahre die feſte Stütze des deutſchen Staatsgedankens, wie einſt die
Legiſten Philipps des Schönen die Pioniere der franzöſiſchen Staatsein-
heit waren.

Zu der Steuerpflicht, welche der große Kurfürſt ſeinen Unterthanen
auferlegt, fügte Friedrich Wilhelm I. die Wehrpflicht und die Schulpflicht
hinzu; er ſtellte alſo die Dreizahl jener allgemeinen Bürgerpflichten feſt,
welche Preußens Volk zur lebendigen Vaterlandsliebe erzogen haben.
Ahnungslos brach ſein in der Beſchränktheit gewaltiger Geiſt die Bahn
für eine ſtrenge, dem Bürgerſinne des Alterthums verwandte Staatsge-
ſinnung. Der altgermaniſche Gedanke des Waffendienſtes aller wehrbaren
Männer war in den kampfgewohnten deutſchen Oſtmarken ſelbſt während
der Zeiten der Söldnerheere niemals gänzlich ausgeſtorben. In Oſtpreußen
beſtanden noch bis ins achtzehnte Jahrhundert die Trümmer der alten
Landwehr der Wybranzen, und Friedrich I. unternahm eine Landmiliz
für den geſammten Staat zu bilden. Vor dem Soldatenauge ſeines
Sohnes fanden ſolche Verſuche ungeregelter Volksbewaffnung keine Gnade.
König Friedrich Wilhelm kannte die Ueberlegenheit wohlgeſchulter ſtehender
Heere; er ſah, daß ſein Staat nur durch die Anſpannung aller Kräfte
beſtehen und doch die Koſten der Werbungen auf die Dauer nicht er-
ſchwingen konnte. Wie ihm überall hinter dem Gebote der politiſchen
Pflicht jede andere Rückſicht zurücktrat, ſo gelangte er zu dem kühnen

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[40/0056] I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden. Herzogthums eindrangen. Auch die Gerichte lebten noch in dem Ge- dankenkreiſe des altſtändiſchen Staates und nahmen, gleich den franzö- ſiſchen Parlamenten, faſt immer Partei für das verfallene Recht der Theile gegen das lebendige Recht des Ganzen. Alſo, im ſiegreichen Kampfe für Staatseinheit und Rechtsgleichheit, hat ſich Preußens neue regierende Klaſſe, das königliche Beamtenthum geſchult. Aus jenem heimathloſen Dienergeſchlechte, das im ſiebzehnten Jahrhundert von Hof zu Hof umherzog, ward nach und nach ein preußiſcher Stand, der ſein Leben dem Dienſte der Krone hingab und in ihrer Ehre die ſeine fand, ſtreng, thätig und gewiſſenhaft wie ſein König. Er ver- kümmerte nicht, wie die Herren Stände der alten Zeit, in dem engen Geſichtskreiſe der Landſchaft und der Vetterſchaft; er gehörte dem Staate an, lernte ſich heimiſch fühlen in Königsberg wie in Cleve und wahrte in den Klaſſenkämpfen der Geſellſchaft gegen Hoch und Niedrig das Geſetz des Landes. Der König aber gab ſeinen Beamten durch eine feſte Rangordnung und geſicherten Gehalt eine geachtete Stellung im bürgerlichen Leben, forderte von jedem Eintretenden den Nachweis wiſſen- ſchaftlicher Kenntniſſe und begründete alſo eine Ariſtokratie der Bildung neben der alten Gliederung der Geburtsſtände. Die Folge lehrte, wie richtig er die lebendigen Kräfte der deutſchen Geſellſchaft geſchätzt hatte; die beſten Köpfe des Adels und des Bürgerthums ſtrömten der neuen regierenden Klaſſe zu. Das preußiſche Beamtenthum wurde für lange Jahre die feſte Stütze des deutſchen Staatsgedankens, wie einſt die Legiſten Philipps des Schönen die Pioniere der franzöſiſchen Staatsein- heit waren. Zu der Steuerpflicht, welche der große Kurfürſt ſeinen Unterthanen auferlegt, fügte Friedrich Wilhelm I. die Wehrpflicht und die Schulpflicht hinzu; er ſtellte alſo die Dreizahl jener allgemeinen Bürgerpflichten feſt, welche Preußens Volk zur lebendigen Vaterlandsliebe erzogen haben. Ahnungslos brach ſein in der Beſchränktheit gewaltiger Geiſt die Bahn für eine ſtrenge, dem Bürgerſinne des Alterthums verwandte Staatsge- ſinnung. Der altgermaniſche Gedanke des Waffendienſtes aller wehrbaren Männer war in den kampfgewohnten deutſchen Oſtmarken ſelbſt während der Zeiten der Söldnerheere niemals gänzlich ausgeſtorben. In Oſtpreußen beſtanden noch bis ins achtzehnte Jahrhundert die Trümmer der alten Landwehr der Wybranzen, und Friedrich I. unternahm eine Landmiliz für den geſammten Staat zu bilden. Vor dem Soldatenauge ſeines Sohnes fanden ſolche Verſuche ungeregelter Volksbewaffnung keine Gnade. König Friedrich Wilhelm kannte die Ueberlegenheit wohlgeſchulter ſtehender Heere; er ſah, daß ſein Staat nur durch die Anſpannung aller Kräfte beſtehen und doch die Koſten der Werbungen auf die Dauer nicht er- ſchwingen konnte. Wie ihm überall hinter dem Gebote der politiſchen Pflicht jede andere Rückſicht zurücktrat, ſo gelangte er zu dem kühnen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/56>, abgerufen am 20.04.2024.