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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Friedrich Wilhelm I. und die Staatseinheit.
Hausvaters, dem weder die schwarzundweißen Heftfäden der Aktenbündel
noch die Kamaschenknöpfe der Grenadiere entgingen; er faßte verwegene
Pläne, die erst das neunzehnte Jahrhundert zu vollführen vermocht hat,
und hielt doch im Handeln mit sicherem Blicke die Grenzen des Möglichen
ein. Sein prosaischer, auf das handgreiflich Nützliche gerichteter Sinn
ging andere Wege als die schwungvolle Heldengröße des Großvaters,
doch mitten im Sorgen für das Kleinste und Nächste bewahrte er stets
das Bewußtsein von der stolzen Bestimmung seines Staates; er wußte,
daß er die Kräfte des Volkes sammle und bilde für die Entscheidungs-
stunden einer größeren Zukunft, und sagte oft: "Ich weiß wohl, in Wien
und Dresden nennen sie mich einen Pfennigklauber und Pedanten, aber
meinen Enkeln wird es zu gute kommen!"

Durch das Heer wurde Preußen zur europäischen Macht erhoben,
und durch das Heer ward auch in das alte Verwaltungssystem des Staates
die erste Bresche geschlagen. Der große Kurfürst hatte für die Verwaltung
der neuen Steuern, die er zur Erhaltung seiner Kriegsmacht verwendete,
eine Reihe von Mittelbehörden, die Kriegscommissariate eingesetzt; und so
stand denn durch einige Jahrzehnte die Steuerwirthschaft des werdenden
modernen Staates unvermittelt neben der Verwaltung der Kammer-
güter, dem letzten Trümmerstücke der Naturalwirthschaft des Mittelalters.
Friedrich Wilhelm I. hob diesen Dualismus auf. Er schuf in dem Gene-
raldirectorium eine Oberbehörde, in den Kriegs- und Domänenkammern
Mittelstellen für die gesammte Verwaltung und gab diesen Collegien zugleich
die Gerichtsbarkeit für die Streitfragen des öffentlichen Rechts. Die
bunte Mannichfaltigkeit des Staatsgebietes zwang den König freilich, eine
zwischen dem Provinzial- und dem Realsysteme vermittelnde Einrichtung
zu treffen; er stellte an die Spitze der Abtheilungen des Generaldirec-
toriums Provinzialminister, die zugleich einige Zweige der Verwaltung
für den gesammten Staat zu leiten hatten. Doch im Wesentlichen wurde
die Centralisation der Verwaltung begründet, früher als irgendwo sonst
auf dem Festlande. Was noch übrig geblieben von altständischen Behörden
ward beseitigt oder dem Befehle des monarchischen Beamtenthums unter-
worfen; eine schonungslose Reform brach über die tief verderbte städtische
Verwaltung herein, beseitigte den Nepotismus der Magistrate, erzwang ein
neues gerechteres Steuersystem, warf die drei Städte Königsbergs, die zwei
Communen der Havelstadt Brandenburg zu einer Gemeinde zusammen,
stellte das gesammte Städtewesen unter die scharfe Aufsicht königlicher
Kriegsräthe.

Ueberall trat der Particularismus der Stände, der Landschaften,
der Gemeinden der neuen gleichmäßigen Ordnung feindlich entgegen.
Murrend fügte sich der adliche Landstand den Geboten der bürger-
lichen Beamten. Die stolzen Ostpreußen klagten über Verletzung alter
Freiheitsbriefe, da nun Pommern und Rheinländer in die Aemter des

Friedrich Wilhelm I. und die Staatseinheit.
Hausvaters, dem weder die ſchwarzundweißen Heftfäden der Aktenbündel
noch die Kamaſchenknöpfe der Grenadiere entgingen; er faßte verwegene
Pläne, die erſt das neunzehnte Jahrhundert zu vollführen vermocht hat,
und hielt doch im Handeln mit ſicherem Blicke die Grenzen des Möglichen
ein. Sein proſaiſcher, auf das handgreiflich Nützliche gerichteter Sinn
ging andere Wege als die ſchwungvolle Heldengröße des Großvaters,
doch mitten im Sorgen für das Kleinſte und Nächſte bewahrte er ſtets
das Bewußtſein von der ſtolzen Beſtimmung ſeines Staates; er wußte,
daß er die Kräfte des Volkes ſammle und bilde für die Entſcheidungs-
ſtunden einer größeren Zukunft, und ſagte oft: „Ich weiß wohl, in Wien
und Dresden nennen ſie mich einen Pfennigklauber und Pedanten, aber
meinen Enkeln wird es zu gute kommen!“

Durch das Heer wurde Preußen zur europäiſchen Macht erhoben,
und durch das Heer ward auch in das alte Verwaltungsſyſtem des Staates
die erſte Breſche geſchlagen. Der große Kurfürſt hatte für die Verwaltung
der neuen Steuern, die er zur Erhaltung ſeiner Kriegsmacht verwendete,
eine Reihe von Mittelbehörden, die Kriegscommiſſariate eingeſetzt; und ſo
ſtand denn durch einige Jahrzehnte die Steuerwirthſchaft des werdenden
modernen Staates unvermittelt neben der Verwaltung der Kammer-
güter, dem letzten Trümmerſtücke der Naturalwirthſchaft des Mittelalters.
Friedrich Wilhelm I. hob dieſen Dualismus auf. Er ſchuf in dem Gene-
raldirectorium eine Oberbehörde, in den Kriegs- und Domänenkammern
Mittelſtellen für die geſammte Verwaltung und gab dieſen Collegien zugleich
die Gerichtsbarkeit für die Streitfragen des öffentlichen Rechts. Die
bunte Mannichfaltigkeit des Staatsgebietes zwang den König freilich, eine
zwiſchen dem Provinzial- und dem Realſyſteme vermittelnde Einrichtung
zu treffen; er ſtellte an die Spitze der Abtheilungen des Generaldirec-
toriums Provinzialminiſter, die zugleich einige Zweige der Verwaltung
für den geſammten Staat zu leiten hatten. Doch im Weſentlichen wurde
die Centraliſation der Verwaltung begründet, früher als irgendwo ſonſt
auf dem Feſtlande. Was noch übrig geblieben von altſtändiſchen Behörden
ward beſeitigt oder dem Befehle des monarchiſchen Beamtenthums unter-
worfen; eine ſchonungsloſe Reform brach über die tief verderbte ſtädtiſche
Verwaltung herein, beſeitigte den Nepotismus der Magiſtrate, erzwang ein
neues gerechteres Steuerſyſtem, warf die drei Städte Königsbergs, die zwei
Communen der Havelſtadt Brandenburg zu einer Gemeinde zuſammen,
ſtellte das geſammte Städteweſen unter die ſcharfe Aufſicht königlicher
Kriegsräthe.

Ueberall trat der Particularismus der Stände, der Landſchaften,
der Gemeinden der neuen gleichmäßigen Ordnung feindlich entgegen.
Murrend fügte ſich der adliche Landſtand den Geboten der bürger-
lichen Beamten. Die ſtolzen Oſtpreußen klagten über Verletzung alter
Freiheitsbriefe, da nun Pommern und Rheinländer in die Aemter des

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[39/0055] Friedrich Wilhelm I. und die Staatseinheit. Hausvaters, dem weder die ſchwarzundweißen Heftfäden der Aktenbündel noch die Kamaſchenknöpfe der Grenadiere entgingen; er faßte verwegene Pläne, die erſt das neunzehnte Jahrhundert zu vollführen vermocht hat, und hielt doch im Handeln mit ſicherem Blicke die Grenzen des Möglichen ein. Sein proſaiſcher, auf das handgreiflich Nützliche gerichteter Sinn ging andere Wege als die ſchwungvolle Heldengröße des Großvaters, doch mitten im Sorgen für das Kleinſte und Nächſte bewahrte er ſtets das Bewußtſein von der ſtolzen Beſtimmung ſeines Staates; er wußte, daß er die Kräfte des Volkes ſammle und bilde für die Entſcheidungs- ſtunden einer größeren Zukunft, und ſagte oft: „Ich weiß wohl, in Wien und Dresden nennen ſie mich einen Pfennigklauber und Pedanten, aber meinen Enkeln wird es zu gute kommen!“ Durch das Heer wurde Preußen zur europäiſchen Macht erhoben, und durch das Heer ward auch in das alte Verwaltungsſyſtem des Staates die erſte Breſche geſchlagen. Der große Kurfürſt hatte für die Verwaltung der neuen Steuern, die er zur Erhaltung ſeiner Kriegsmacht verwendete, eine Reihe von Mittelbehörden, die Kriegscommiſſariate eingeſetzt; und ſo ſtand denn durch einige Jahrzehnte die Steuerwirthſchaft des werdenden modernen Staates unvermittelt neben der Verwaltung der Kammer- güter, dem letzten Trümmerſtücke der Naturalwirthſchaft des Mittelalters. Friedrich Wilhelm I. hob dieſen Dualismus auf. Er ſchuf in dem Gene- raldirectorium eine Oberbehörde, in den Kriegs- und Domänenkammern Mittelſtellen für die geſammte Verwaltung und gab dieſen Collegien zugleich die Gerichtsbarkeit für die Streitfragen des öffentlichen Rechts. Die bunte Mannichfaltigkeit des Staatsgebietes zwang den König freilich, eine zwiſchen dem Provinzial- und dem Realſyſteme vermittelnde Einrichtung zu treffen; er ſtellte an die Spitze der Abtheilungen des Generaldirec- toriums Provinzialminiſter, die zugleich einige Zweige der Verwaltung für den geſammten Staat zu leiten hatten. Doch im Weſentlichen wurde die Centraliſation der Verwaltung begründet, früher als irgendwo ſonſt auf dem Feſtlande. Was noch übrig geblieben von altſtändiſchen Behörden ward beſeitigt oder dem Befehle des monarchiſchen Beamtenthums unter- worfen; eine ſchonungsloſe Reform brach über die tief verderbte ſtädtiſche Verwaltung herein, beſeitigte den Nepotismus der Magiſtrate, erzwang ein neues gerechteres Steuerſyſtem, warf die drei Städte Königsbergs, die zwei Communen der Havelſtadt Brandenburg zu einer Gemeinde zuſammen, ſtellte das geſammte Städteweſen unter die ſcharfe Aufſicht königlicher Kriegsräthe. Ueberall trat der Particularismus der Stände, der Landſchaften, der Gemeinden der neuen gleichmäßigen Ordnung feindlich entgegen. Murrend fügte ſich der adliche Landſtand den Geboten der bürger- lichen Beamten. Die ſtolzen Oſtpreußen klagten über Verletzung alter Freiheitsbriefe, da nun Pommern und Rheinländer in die Aemter des

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/55>, abgerufen am 29.03.2024.