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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Brandenburg und die deutsche Libertät.
menschen zu bewahren. Der Partieularismus aller Stände und aller Land-
schaften vernahm mit Entsetzen, wie der große Kurfürst seine Unterthanen
zwang als "eines Hauptes Glieder" zu leben, wie er die Vielherrschaft der
Landtage den Befehlen der Landeshoheit unterwarf und seine Krone
stützte auf die beiden Säulen monarchischer Vollgewalt, den miles per-
petuus
und die stehende Steuer. In der Anschauung des Volkes galten
Truppen und Steuern noch als eine außerordentliche Staatslast für
Tage der Noth. Friedrich Wilhelm aber erhob das Heer zu einer
dauernden Institution und schwächte die Macht der Landstände, indem er in
allen seinen Gebieten zwei allgemeine Steuern einführte: auf dem flachen
Lande den Generalhufenschoß, in den Städten die Accise, ein mannich-
faltiges System von niedrigen directen und indirecten Abgaben, das auf
die Geldarmuth der erschöpften Volkswirthschaft berechnet war und die
Steuerkraft an möglichst vielen Stellen anfaßte. Im Reiche war nur
eine Stimme der Verwünschung wider diese ersten Anfänge des modernen
Heer- und Finanzwesens. Preußen blieb vom Beginne seiner selbständigen
Geschichte der bestgehaßte der deutschen Staaten; die Reichslande, welche
diesem Fürstenhause zufielen, sind fast alle unter lauten Klagen und
heftigem Widerstande in die neue Staatsgemeinschaft eingetreten, um
sämmtlich bald nachher ihr Schicksal zu segnen.

Das ungeheure, hoffnungslose Wirrsal der deutschen Zustände, die
erbliche Ehrfurcht der Hohenzollern vor dem Kaiserhause und die Be-
drängniß ihres zwischen übermächtigen Feinden eingepreßten Staates ver-
hinderten noch durch viele Jahrzehnte, daß das alte und das neue
Deutschland in offenem Kampfe auf einander stießen. Friedrich Wilhelm
lebte und webte in den Hoffnungen der Reichsreform; mit dem ganzen
feurigen Ungestüm seines heldenhaften Wesens betrieb er auf dem ersten
Reichstage nach dem Westphälischen Frieden die zu Osnabrück verheißene
Neugestaltung der Reichsverfassung. Da dieser Versuch scheiterte, faßte
Georg Friedrich von Waldeck den verwegenen Gedanken, daß der Hohen-
zoller selber dem Reiche eine neue Ordnung geben solle; er entwarf den
Anschlag zu einem deutschen Fürstenbunde unter der Führung des ver-
größerten brandenburgischen Staates. Noch waren die Zeiten nicht
erfüllt. Der Kurfürst ließ seinen kühnen Rathgeber fallen, um der
nächsten Noth zu begegnen und mit dem Kaiser verbündet gegen die
Schweden auszuziehen; er hat nachher sogar den lang erwogenen Plan
der Eroberung Schlesiens aufgegeben, weil er Oesterreichs bedurfte im
Kampfe wider Frankreich. Doch der Weg war gewiesen; jede neue große
Erschütterung des deutschen Lebens hat den preußischen Staat wieder
zurückgeführt zu dem zweifachen Gedanken der Gebietserweiterung und
der bündischen Hegemonie.

Friedrich Wilhelms Nachfolger brachte mit der Königskrone seinem
Hause einen würdigen Platz in der Gesellschaft der europäischen Mächte,

3*

Brandenburg und die deutſche Libertät.
menſchen zu bewahren. Der Partieularismus aller Stände und aller Land-
ſchaften vernahm mit Entſetzen, wie der große Kurfürſt ſeine Unterthanen
zwang als „eines Hauptes Glieder“ zu leben, wie er die Vielherrſchaft der
Landtage den Befehlen der Landeshoheit unterwarf und ſeine Krone
ſtützte auf die beiden Säulen monarchiſcher Vollgewalt, den miles per-
petuus
und die ſtehende Steuer. In der Anſchauung des Volkes galten
Truppen und Steuern noch als eine außerordentliche Staatslaſt für
Tage der Noth. Friedrich Wilhelm aber erhob das Heer zu einer
dauernden Inſtitution und ſchwächte die Macht der Landſtände, indem er in
allen ſeinen Gebieten zwei allgemeine Steuern einführte: auf dem flachen
Lande den Generalhufenſchoß, in den Städten die Acciſe, ein mannich-
faltiges Syſtem von niedrigen directen und indirecten Abgaben, das auf
die Geldarmuth der erſchöpften Volkswirthſchaft berechnet war und die
Steuerkraft an möglichſt vielen Stellen anfaßte. Im Reiche war nur
eine Stimme der Verwünſchung wider dieſe erſten Anfänge des modernen
Heer- und Finanzweſens. Preußen blieb vom Beginne ſeiner ſelbſtändigen
Geſchichte der beſtgehaßte der deutſchen Staaten; die Reichslande, welche
dieſem Fürſtenhauſe zufielen, ſind faſt alle unter lauten Klagen und
heftigem Widerſtande in die neue Staatsgemeinſchaft eingetreten, um
ſämmtlich bald nachher ihr Schickſal zu ſegnen.

Das ungeheure, hoffnungsloſe Wirrſal der deutſchen Zuſtände, die
erbliche Ehrfurcht der Hohenzollern vor dem Kaiſerhauſe und die Be-
drängniß ihres zwiſchen übermächtigen Feinden eingepreßten Staates ver-
hinderten noch durch viele Jahrzehnte, daß das alte und das neue
Deutſchland in offenem Kampfe auf einander ſtießen. Friedrich Wilhelm
lebte und webte in den Hoffnungen der Reichsreform; mit dem ganzen
feurigen Ungeſtüm ſeines heldenhaften Weſens betrieb er auf dem erſten
Reichstage nach dem Weſtphäliſchen Frieden die zu Osnabrück verheißene
Neugeſtaltung der Reichsverfaſſung. Da dieſer Verſuch ſcheiterte, faßte
Georg Friedrich von Waldeck den verwegenen Gedanken, daß der Hohen-
zoller ſelber dem Reiche eine neue Ordnung geben ſolle; er entwarf den
Anſchlag zu einem deutſchen Fürſtenbunde unter der Führung des ver-
größerten brandenburgiſchen Staates. Noch waren die Zeiten nicht
erfüllt. Der Kurfürſt ließ ſeinen kühnen Rathgeber fallen, um der
nächſten Noth zu begegnen und mit dem Kaiſer verbündet gegen die
Schweden auszuziehen; er hat nachher ſogar den lang erwogenen Plan
der Eroberung Schleſiens aufgegeben, weil er Oeſterreichs bedurfte im
Kampfe wider Frankreich. Doch der Weg war gewieſen; jede neue große
Erſchütterung des deutſchen Lebens hat den preußiſchen Staat wieder
zurückgeführt zu dem zweifachen Gedanken der Gebietserweiterung und
der bündiſchen Hegemonie.

Friedrich Wilhelms Nachfolger brachte mit der Königskrone ſeinem
Hauſe einen würdigen Platz in der Geſellſchaft der europäiſchen Mächte,

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[35/0051] Brandenburg und die deutſche Libertät. menſchen zu bewahren. Der Partieularismus aller Stände und aller Land- ſchaften vernahm mit Entſetzen, wie der große Kurfürſt ſeine Unterthanen zwang als „eines Hauptes Glieder“ zu leben, wie er die Vielherrſchaft der Landtage den Befehlen der Landeshoheit unterwarf und ſeine Krone ſtützte auf die beiden Säulen monarchiſcher Vollgewalt, den miles per- petuus und die ſtehende Steuer. In der Anſchauung des Volkes galten Truppen und Steuern noch als eine außerordentliche Staatslaſt für Tage der Noth. Friedrich Wilhelm aber erhob das Heer zu einer dauernden Inſtitution und ſchwächte die Macht der Landſtände, indem er in allen ſeinen Gebieten zwei allgemeine Steuern einführte: auf dem flachen Lande den Generalhufenſchoß, in den Städten die Acciſe, ein mannich- faltiges Syſtem von niedrigen directen und indirecten Abgaben, das auf die Geldarmuth der erſchöpften Volkswirthſchaft berechnet war und die Steuerkraft an möglichſt vielen Stellen anfaßte. Im Reiche war nur eine Stimme der Verwünſchung wider dieſe erſten Anfänge des modernen Heer- und Finanzweſens. Preußen blieb vom Beginne ſeiner ſelbſtändigen Geſchichte der beſtgehaßte der deutſchen Staaten; die Reichslande, welche dieſem Fürſtenhauſe zufielen, ſind faſt alle unter lauten Klagen und heftigem Widerſtande in die neue Staatsgemeinſchaft eingetreten, um ſämmtlich bald nachher ihr Schickſal zu ſegnen. Das ungeheure, hoffnungsloſe Wirrſal der deutſchen Zuſtände, die erbliche Ehrfurcht der Hohenzollern vor dem Kaiſerhauſe und die Be- drängniß ihres zwiſchen übermächtigen Feinden eingepreßten Staates ver- hinderten noch durch viele Jahrzehnte, daß das alte und das neue Deutſchland in offenem Kampfe auf einander ſtießen. Friedrich Wilhelm lebte und webte in den Hoffnungen der Reichsreform; mit dem ganzen feurigen Ungeſtüm ſeines heldenhaften Weſens betrieb er auf dem erſten Reichstage nach dem Weſtphäliſchen Frieden die zu Osnabrück verheißene Neugeſtaltung der Reichsverfaſſung. Da dieſer Verſuch ſcheiterte, faßte Georg Friedrich von Waldeck den verwegenen Gedanken, daß der Hohen- zoller ſelber dem Reiche eine neue Ordnung geben ſolle; er entwarf den Anſchlag zu einem deutſchen Fürſtenbunde unter der Führung des ver- größerten brandenburgiſchen Staates. Noch waren die Zeiten nicht erfüllt. Der Kurfürſt ließ ſeinen kühnen Rathgeber fallen, um der nächſten Noth zu begegnen und mit dem Kaiſer verbündet gegen die Schweden auszuziehen; er hat nachher ſogar den lang erwogenen Plan der Eroberung Schleſiens aufgegeben, weil er Oeſterreichs bedurfte im Kampfe wider Frankreich. Doch der Weg war gewieſen; jede neue große Erſchütterung des deutſchen Lebens hat den preußiſchen Staat wieder zurückgeführt zu dem zweifachen Gedanken der Gebietserweiterung und der bündiſchen Hegemonie. Friedrich Wilhelms Nachfolger brachte mit der Königskrone ſeinem Hauſe einen würdigen Platz in der Geſellſchaft der europäiſchen Mächte, 3*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/51>, abgerufen am 20.04.2024.