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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Preußen und Cleve mit Brandenburg vereinigt.
Zeit nahm Johann Sigismund das reformirte Bekenntniß an. Er legte
damit den Grund für die folgenreiche Verbindung seines Hauses mit dem
Heldengeschlechte der Oranier und trat aus der leidsamen Trägheit des
erstarrten Lutherthums hinüber in die Gemeinschaft jener Kirche, welche
allein noch die politischen Gedanken der Reformation mit kriegerischem
Muthe verfocht. Der calvinische Landesherr beherrschte in den Marken
ein hart lutherisches Volk; in Preußen saßen Lutheraner und Katholiken,
in den niederrheinischen Landen die Bekenner aller drei großen Kirchen
Deutschlands bunt durcheinander. Von dem Glaubenshasse der eige-
nen Unterthanen bedroht, sah sich das Fürstenhaus gezwungen, allen
kirchlichen Parteien durch duldsame Schonung gerecht zu werden. Der-
gestalt ward die eigenthümliche Doppelstellung der Hohenzollern zu
unserem kirchlichen Leben begründet: sie standen, seit die Macht der
Pfälzer zerfiel, an der Spitze des streitbaren Protestantismus im Reiche
und vertraten doch zugleich den Grundgedanken der neuen deutschen Ge-
sittung, die Glaubensfreiheit. Mit dem Scharfblicke des Hasses sagte
der kaiserliche Vicekanzler Stralendorff in den Tagen Johann Sigis-
munds voraus: es stehe zu befürchten, daß der Brandenburger nun-
mehr der werden könne, den das calvinische und lutherische Geschmeiß
ersehne.

Mit der preußischen Herzogskrone gewann das Haus Hohenzollern
jene stolze Colonie des gesammten Deutschlands, die mit dem Blute aller
deutschen Stämme noch reicher als die Mark benetzt war und sich vor
allen Landschaften des Reiches einer großen und heldenhaften Geschichte
rühmte: hier in dem "neuen Deutschland" hatte einst der deutsche Orden
die baltische Großmacht des Mittelalters aufgerichtet. Das entlegene,
durch die Feindschaft des polnischen Lehnsherrn wie der skandinavischen
und moskowitischen Nachbarn unablässig bedrohte Grenzland verwickelte
den Staat der Hohenzollern in die wirrenreichen Kämpfe des nordischen
Staatensystems. Während er also an der Ostsee festen Fuß faßte, erwarb
Johann Sigismund zugleich das Herzogthum Cleve nebst den Grafschaften
Mark und Ravensberg, ein Gebiet von geringem Umfang, aber hoch-
wichtig für die innere Entwicklung wie für die europäische Politik des
Staates: Lande von treu bewahrter alter Bauern- und Städtefreiheit,
reicher und höher gesittet als die dürftigen Colonien des Ostens, un-
schätzbare Außenposten an Deutschlands schwächster Grenze. In Wien
und Madrid ward es als eine schwere Niederlage empfunden, daß eine
neue evangelische Macht sich festsetzte dort am Niederrheine, wo Spanier
und Niederländer um Sein oder Nichtsein des Protestantismus kämpften,
dicht vor den Thoren Kölns, der Hochburg des römischen Wesens im
Reiche. Der junge Staat umschloß auf seinen fünfzehnhundert Geviert-
meilen bereits fast alle die kirchlichen, ständischen, landschaftlichen Gegen-
sätze, welche das heilige Reich mit lautem Hader erfüllten; mit gespreizten

Preußen und Cleve mit Brandenburg vereinigt.
Zeit nahm Johann Sigismund das reformirte Bekenntniß an. Er legte
damit den Grund für die folgenreiche Verbindung ſeines Hauſes mit dem
Heldengeſchlechte der Oranier und trat aus der leidſamen Trägheit des
erſtarrten Lutherthums hinüber in die Gemeinſchaft jener Kirche, welche
allein noch die politiſchen Gedanken der Reformation mit kriegeriſchem
Muthe verfocht. Der calviniſche Landesherr beherrſchte in den Marken
ein hart lutheriſches Volk; in Preußen ſaßen Lutheraner und Katholiken,
in den niederrheiniſchen Landen die Bekenner aller drei großen Kirchen
Deutſchlands bunt durcheinander. Von dem Glaubenshaſſe der eige-
nen Unterthanen bedroht, ſah ſich das Fürſtenhaus gezwungen, allen
kirchlichen Parteien durch duldſame Schonung gerecht zu werden. Der-
geſtalt ward die eigenthümliche Doppelſtellung der Hohenzollern zu
unſerem kirchlichen Leben begründet: ſie ſtanden, ſeit die Macht der
Pfälzer zerfiel, an der Spitze des ſtreitbaren Proteſtantismus im Reiche
und vertraten doch zugleich den Grundgedanken der neuen deutſchen Ge-
ſittung, die Glaubensfreiheit. Mit dem Scharfblicke des Haſſes ſagte
der kaiſerliche Vicekanzler Stralendorff in den Tagen Johann Sigis-
munds voraus: es ſtehe zu befürchten, daß der Brandenburger nun-
mehr der werden könne, den das calviniſche und lutheriſche Geſchmeiß
erſehne.

Mit der preußiſchen Herzogskrone gewann das Haus Hohenzollern
jene ſtolze Colonie des geſammten Deutſchlands, die mit dem Blute aller
deutſchen Stämme noch reicher als die Mark benetzt war und ſich vor
allen Landſchaften des Reiches einer großen und heldenhaften Geſchichte
rühmte: hier in dem „neuen Deutſchland“ hatte einſt der deutſche Orden
die baltiſche Großmacht des Mittelalters aufgerichtet. Das entlegene,
durch die Feindſchaft des polniſchen Lehnsherrn wie der ſkandinaviſchen
und moskowitiſchen Nachbarn unabläſſig bedrohte Grenzland verwickelte
den Staat der Hohenzollern in die wirrenreichen Kämpfe des nordiſchen
Staatenſyſtems. Während er alſo an der Oſtſee feſten Fuß faßte, erwarb
Johann Sigismund zugleich das Herzogthum Cleve nebſt den Grafſchaften
Mark und Ravensberg, ein Gebiet von geringem Umfang, aber hoch-
wichtig für die innere Entwicklung wie für die europäiſche Politik des
Staates: Lande von treu bewahrter alter Bauern- und Städtefreiheit,
reicher und höher geſittet als die dürftigen Colonien des Oſtens, un-
ſchätzbare Außenpoſten an Deutſchlands ſchwächſter Grenze. In Wien
und Madrid ward es als eine ſchwere Niederlage empfunden, daß eine
neue evangeliſche Macht ſich feſtſetzte dort am Niederrheine, wo Spanier
und Niederländer um Sein oder Nichtſein des Proteſtantismus kämpften,
dicht vor den Thoren Kölns, der Hochburg des römiſchen Weſens im
Reiche. Der junge Staat umſchloß auf ſeinen fünfzehnhundert Geviert-
meilen bereits faſt alle die kirchlichen, ſtändiſchen, landſchaftlichen Gegen-
ſätze, welche das heilige Reich mit lautem Hader erfüllten; mit geſpreizten

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[27/0043] Preußen und Cleve mit Brandenburg vereinigt. Zeit nahm Johann Sigismund das reformirte Bekenntniß an. Er legte damit den Grund für die folgenreiche Verbindung ſeines Hauſes mit dem Heldengeſchlechte der Oranier und trat aus der leidſamen Trägheit des erſtarrten Lutherthums hinüber in die Gemeinſchaft jener Kirche, welche allein noch die politiſchen Gedanken der Reformation mit kriegeriſchem Muthe verfocht. Der calviniſche Landesherr beherrſchte in den Marken ein hart lutheriſches Volk; in Preußen ſaßen Lutheraner und Katholiken, in den niederrheiniſchen Landen die Bekenner aller drei großen Kirchen Deutſchlands bunt durcheinander. Von dem Glaubenshaſſe der eige- nen Unterthanen bedroht, ſah ſich das Fürſtenhaus gezwungen, allen kirchlichen Parteien durch duldſame Schonung gerecht zu werden. Der- geſtalt ward die eigenthümliche Doppelſtellung der Hohenzollern zu unſerem kirchlichen Leben begründet: ſie ſtanden, ſeit die Macht der Pfälzer zerfiel, an der Spitze des ſtreitbaren Proteſtantismus im Reiche und vertraten doch zugleich den Grundgedanken der neuen deutſchen Ge- ſittung, die Glaubensfreiheit. Mit dem Scharfblicke des Haſſes ſagte der kaiſerliche Vicekanzler Stralendorff in den Tagen Johann Sigis- munds voraus: es ſtehe zu befürchten, daß der Brandenburger nun- mehr der werden könne, den das calviniſche und lutheriſche Geſchmeiß erſehne. Mit der preußiſchen Herzogskrone gewann das Haus Hohenzollern jene ſtolze Colonie des geſammten Deutſchlands, die mit dem Blute aller deutſchen Stämme noch reicher als die Mark benetzt war und ſich vor allen Landſchaften des Reiches einer großen und heldenhaften Geſchichte rühmte: hier in dem „neuen Deutſchland“ hatte einſt der deutſche Orden die baltiſche Großmacht des Mittelalters aufgerichtet. Das entlegene, durch die Feindſchaft des polniſchen Lehnsherrn wie der ſkandinaviſchen und moskowitiſchen Nachbarn unabläſſig bedrohte Grenzland verwickelte den Staat der Hohenzollern in die wirrenreichen Kämpfe des nordiſchen Staatenſyſtems. Während er alſo an der Oſtſee feſten Fuß faßte, erwarb Johann Sigismund zugleich das Herzogthum Cleve nebſt den Grafſchaften Mark und Ravensberg, ein Gebiet von geringem Umfang, aber hoch- wichtig für die innere Entwicklung wie für die europäiſche Politik des Staates: Lande von treu bewahrter alter Bauern- und Städtefreiheit, reicher und höher geſittet als die dürftigen Colonien des Oſtens, un- ſchätzbare Außenpoſten an Deutſchlands ſchwächſter Grenze. In Wien und Madrid ward es als eine ſchwere Niederlage empfunden, daß eine neue evangeliſche Macht ſich feſtſetzte dort am Niederrheine, wo Spanier und Niederländer um Sein oder Nichtſein des Proteſtantismus kämpften, dicht vor den Thoren Kölns, der Hochburg des römiſchen Weſens im Reiche. Der junge Staat umſchloß auf ſeinen fünfzehnhundert Geviert- meilen bereits faſt alle die kirchlichen, ſtändiſchen, landſchaftlichen Gegen- ſätze, welche das heilige Reich mit lautem Hader erfüllten; mit geſpreizten

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/43>, abgerufen am 28.03.2024.