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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
als höchste Behörde über die Kronländer diesseits der Leitha, während die
Lande der Stephanskrone in ihrem althistorischen staatsrechtlichen Ver-
bande blieben. Also ward mit sicherem Griffe die Form gebildet, welche
allein dies an Gegensätzen überreiche Ländergewirr zusammenhalten konnte;
nach mannichfachen vergeblichen Anläufen zum Einheitsstaate wie zum Staa-
tenbunde ist die Monarchie seitdem immer wieder zu den Gedanken der
Kaiserin zurückgekehrt. Auch die Noth und der Ruhm der theresianischen
Tage kräftigten den Bestand des Staates: durch acht schwere Kriegsjahre
behauptete die stolze Habsburgerin, beharrlich unterstützt von ihren treuen
Völkern, das Erbe ihres Hauses gegen eine mächtige Coalition; und wie
leuchtend auch während des siebenjährigen Krieges das Gestirn König
Friedrichs empor stieg, die Besiegten selber zur Bewunderung zwingend, das
kaiserliche Heer trug doch die Kränze von Kollin und Hochkirch, freute sich
der Heldengröße seines Loudon, ging mit berechtigtem Selbstgefühl aus dem
gewaltigen Kampfe hervor. Lange bevor es ein Kaiserthum Oesterreich
gab, redete der allgemeine Sprachgebrauch Europas schon von dem öster-
reichischen Staate und Heere.

Der Besitz der Stephanskrone gewährte dem Kaiserhause die Mög-
lichkeit, in der europäischen Politik eine feste Richtung folgerecht einzuhalten.
Der Eroberer Ungarns, Eugen von Savoyen, wies dem Staate die ver-
heißende Bahn nach dem Schwarzen Meere; vorzudringen bis zu den
Mündungen des Stromes und die slavisch-walachischen Völker auf
beiden Ufern einer überlegenen Gesittung zu unterwerfen, dies schien
fortan der natürliche Beruf des Donaureichs. Darum galt das ent-
legene Belgien, das den Staat beständig in die Händel Westeuropas zu
verwickeln drohte, bald als eine unbequeme Last; schon zur Zeit der
schlesischen Kriege begannen die seitdem beharrlich wiederkehrenden Ver-
suche, den unhaltbaren Außenposten gegen ein näher gelegenes Gebiet
auszutauschen. Gleichwohl lernte das Kaiserhaus niemals, in weiser
Selbstbeschränkung die gesammelte Kraft des Staates gegen den Südosten
zu wenden. Eine nationale Politik war in diesem Reiche der Völker-
trümmer ohnehin unmöglich; zu keiner Zeit und am Wenigsten in jener
Epoche des Absolutismus hat die öffentliche Meinung auf Oesterreichs
diplomatische Haltung irgend welchen Einfluß ausgeübt. Die europäische
Stellung des Staates ward jederzeit allein durch das persönliche Be-
lieben seiner Herrscher bestimmt. Die Macht des Hauses war einst
gegründet worden durch eine schlaue und kühne Familienpolitik, die
planlos begehrlich nach allen Seiten hin um sich griff, ohne nach der
Weltstellung und Eigenart der unterworfenen Länder zu fragen. Die
Gedanken dieser dynastischen Staatskunst und die glänzenden Erinnerungen
kaiserlicher Weltherrschaft bleiben auch in dem neuen Donaureiche noch
lange lebendig. Die Hofburg hält ihre Herrscherstellung im deutschen
Reiche beharrlich fest; sie versucht zugleich, durch die Eroberung Baierns

I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
als höchſte Behörde über die Kronländer dieſſeits der Leitha, während die
Lande der Stephanskrone in ihrem althiſtoriſchen ſtaatsrechtlichen Ver-
bande blieben. Alſo ward mit ſicherem Griffe die Form gebildet, welche
allein dies an Gegenſätzen überreiche Ländergewirr zuſammenhalten konnte;
nach mannichfachen vergeblichen Anläufen zum Einheitsſtaate wie zum Staa-
tenbunde iſt die Monarchie ſeitdem immer wieder zu den Gedanken der
Kaiſerin zurückgekehrt. Auch die Noth und der Ruhm der thereſianiſchen
Tage kräftigten den Beſtand des Staates: durch acht ſchwere Kriegsjahre
behauptete die ſtolze Habsburgerin, beharrlich unterſtützt von ihren treuen
Völkern, das Erbe ihres Hauſes gegen eine mächtige Coalition; und wie
leuchtend auch während des ſiebenjährigen Krieges das Geſtirn König
Friedrichs empor ſtieg, die Beſiegten ſelber zur Bewunderung zwingend, das
kaiſerliche Heer trug doch die Kränze von Kollin und Hochkirch, freute ſich
der Heldengröße ſeines Loudon, ging mit berechtigtem Selbſtgefühl aus dem
gewaltigen Kampfe hervor. Lange bevor es ein Kaiſerthum Oeſterreich
gab, redete der allgemeine Sprachgebrauch Europas ſchon von dem öſter-
reichiſchen Staate und Heere.

Der Beſitz der Stephanskrone gewährte dem Kaiſerhauſe die Mög-
lichkeit, in der europäiſchen Politik eine feſte Richtung folgerecht einzuhalten.
Der Eroberer Ungarns, Eugen von Savoyen, wies dem Staate die ver-
heißende Bahn nach dem Schwarzen Meere; vorzudringen bis zu den
Mündungen des Stromes und die ſlaviſch-walachiſchen Völker auf
beiden Ufern einer überlegenen Geſittung zu unterwerfen, dies ſchien
fortan der natürliche Beruf des Donaureichs. Darum galt das ent-
legene Belgien, das den Staat beſtändig in die Händel Weſteuropas zu
verwickeln drohte, bald als eine unbequeme Laſt; ſchon zur Zeit der
ſchleſiſchen Kriege begannen die ſeitdem beharrlich wiederkehrenden Ver-
ſuche, den unhaltbaren Außenpoſten gegen ein näher gelegenes Gebiet
auszutauſchen. Gleichwohl lernte das Kaiſerhaus niemals, in weiſer
Selbſtbeſchränkung die geſammelte Kraft des Staates gegen den Südoſten
zu wenden. Eine nationale Politik war in dieſem Reiche der Völker-
trümmer ohnehin unmöglich; zu keiner Zeit und am Wenigſten in jener
Epoche des Abſolutismus hat die öffentliche Meinung auf Oeſterreichs
diplomatiſche Haltung irgend welchen Einfluß ausgeübt. Die europäiſche
Stellung des Staates ward jederzeit allein durch das perſönliche Be-
lieben ſeiner Herrſcher beſtimmt. Die Macht des Hauſes war einſt
gegründet worden durch eine ſchlaue und kühne Familienpolitik, die
planlos begehrlich nach allen Seiten hin um ſich griff, ohne nach der
Weltſtellung und Eigenart der unterworfenen Länder zu fragen. Die
Gedanken dieſer dynaſtiſchen Staatskunſt und die glänzenden Erinnerungen
kaiſerlicher Weltherrſchaft bleiben auch in dem neuen Donaureiche noch
lange lebendig. Die Hofburg hält ihre Herrſcherſtellung im deutſchen
Reiche beharrlich feſt; ſie verſucht zugleich, durch die Eroberung Baierns

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[14/0030] I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden. als höchſte Behörde über die Kronländer dieſſeits der Leitha, während die Lande der Stephanskrone in ihrem althiſtoriſchen ſtaatsrechtlichen Ver- bande blieben. Alſo ward mit ſicherem Griffe die Form gebildet, welche allein dies an Gegenſätzen überreiche Ländergewirr zuſammenhalten konnte; nach mannichfachen vergeblichen Anläufen zum Einheitsſtaate wie zum Staa- tenbunde iſt die Monarchie ſeitdem immer wieder zu den Gedanken der Kaiſerin zurückgekehrt. Auch die Noth und der Ruhm der thereſianiſchen Tage kräftigten den Beſtand des Staates: durch acht ſchwere Kriegsjahre behauptete die ſtolze Habsburgerin, beharrlich unterſtützt von ihren treuen Völkern, das Erbe ihres Hauſes gegen eine mächtige Coalition; und wie leuchtend auch während des ſiebenjährigen Krieges das Geſtirn König Friedrichs empor ſtieg, die Beſiegten ſelber zur Bewunderung zwingend, das kaiſerliche Heer trug doch die Kränze von Kollin und Hochkirch, freute ſich der Heldengröße ſeines Loudon, ging mit berechtigtem Selbſtgefühl aus dem gewaltigen Kampfe hervor. Lange bevor es ein Kaiſerthum Oeſterreich gab, redete der allgemeine Sprachgebrauch Europas ſchon von dem öſter- reichiſchen Staate und Heere. Der Beſitz der Stephanskrone gewährte dem Kaiſerhauſe die Mög- lichkeit, in der europäiſchen Politik eine feſte Richtung folgerecht einzuhalten. Der Eroberer Ungarns, Eugen von Savoyen, wies dem Staate die ver- heißende Bahn nach dem Schwarzen Meere; vorzudringen bis zu den Mündungen des Stromes und die ſlaviſch-walachiſchen Völker auf beiden Ufern einer überlegenen Geſittung zu unterwerfen, dies ſchien fortan der natürliche Beruf des Donaureichs. Darum galt das ent- legene Belgien, das den Staat beſtändig in die Händel Weſteuropas zu verwickeln drohte, bald als eine unbequeme Laſt; ſchon zur Zeit der ſchleſiſchen Kriege begannen die ſeitdem beharrlich wiederkehrenden Ver- ſuche, den unhaltbaren Außenpoſten gegen ein näher gelegenes Gebiet auszutauſchen. Gleichwohl lernte das Kaiſerhaus niemals, in weiſer Selbſtbeſchränkung die geſammelte Kraft des Staates gegen den Südoſten zu wenden. Eine nationale Politik war in dieſem Reiche der Völker- trümmer ohnehin unmöglich; zu keiner Zeit und am Wenigſten in jener Epoche des Abſolutismus hat die öffentliche Meinung auf Oeſterreichs diplomatiſche Haltung irgend welchen Einfluß ausgeübt. Die europäiſche Stellung des Staates ward jederzeit allein durch das perſönliche Be- lieben ſeiner Herrſcher beſtimmt. Die Macht des Hauſes war einſt gegründet worden durch eine ſchlaue und kühne Familienpolitik, die planlos begehrlich nach allen Seiten hin um ſich griff, ohne nach der Weltſtellung und Eigenart der unterworfenen Länder zu fragen. Die Gedanken dieſer dynaſtiſchen Staatskunſt und die glänzenden Erinnerungen kaiſerlicher Weltherrſchaft bleiben auch in dem neuen Donaureiche noch lange lebendig. Die Hofburg hält ihre Herrſcherſtellung im deutſchen Reiche beharrlich feſt; ſie verſucht zugleich, durch die Eroberung Baierns

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/30>, abgerufen am 19.04.2024.