Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
sein in Frankreich reisender Sohn der Rache des Corsen preisgegeben sei,
und eilte dann mit seinem Heere von den betrogenen Oesterreichern hin-
über zu den Franzosen. Im bairischen Volke hatte Niemand ein Auge
für die Niedertracht des Hofes. Der alte Stammeshaß gegen die kaiser-
lichen Kostbeutel, das alte nur allzusehr gerechtfertigte Mißtrauen gegen
die Begehrlichkeit der Hofburg erwachten von Neuem; jubelnd vernahm
die tapfere kleine Armee den Aufruf des Imperators: Ihr kämpft für die
ersten Güter der Nationen, für Unabhängigkeit und politisches Dasein! Baden
und Darmstadt schlossen sich an, nach einigem Zaudern auch Würtem-
berg; alle die vier Mittelstaaten, welche Napoleon bereits als die Stützen
"meines künftigen deutschen Bundes" bezeichnete, standen in seinem Lager.

Auch Preußen dachte er durch einen plumpen Betrug zu gewinnen.
Er ließ in Berlin den Erwerb von Hannover anbieten, wenn Preußen
dafür das rechtsrheinische Cleve mit Wesel abträte und an dem Kriege
gegen die Coalition theilnähme. Die preußische Monarchie sollte also mit
Oesterreich und Rußland brechen, sie sollte ihre letzte Position am Rheine
räumen und sich freiwillig in den Osten zurückschieben lassen, sie sollte
Italien, die Schweiz und Holland dem Welteroberer preisgeben: -- denn
ausdrücklich behielt sich Napoleon die freie Verfügung über diese Länder
vor; er sah die Zeit schon kommen, da die Holländer ihrer Einsamkeit
müde werden und die Vereinigung mit Frankreich fordern würden. Und
für alle diese Opfer bot man dem Könige nichts als jenes Hannover,
das, unter solchen Umständen erworben, nur durch einen langen Krieg
gegen England behauptet werden konnte! Mit unverantwortlichem Leicht-
sinn ging Hardenberg auf diese Zumuthungen ein; dringend rieth er zum
Anschluß an Frankreich. Nur der gebotene Preis genügte ihm nicht, viel-
mehr hoffte er durch Napoleons Hilfe außer Hannover auch Böhmen
und Sachsen zu gewinnen. Allein die Nüchternheit des Königs bewahrte
den Staat vor einem verderblichen Schritte, der jede Verständigung mit
den Ostmächten, jede gemeinsame Erhebung gegen das napoleonische Welt-
reich für immer zu verhindern drohte. Friedrich Wilhelm wies das fran-
zösische Bündniß zurück, doch er erfuhr alsbald die Wahrheit der Worte
des großen Kurfürsten, daß Neutralität für diesen Staat das undankbarste
aller politischen Systeme sei. Denn während Napoleon durch neue Ver-
handlungen eine für Frankreich vortheihafte Neutralität zu erwirken suchte,
sah man sich zugleich von Osten her bedrängt. Czar Alexander kündigte
in unverblümten Drohungen den Durchmarsch seiner Russen an; der
König that was die Ehre gebot, setzte einen großen Theil seines Heeres
auf den Kriegsfuß und versammelte die Truppen an der Wartha. Er-
schreckt stand der Czar von dem Friedensbruche ab, zur Verzweiflung
Czartoryskis, und sein thörichtes Vorhaben hatte nur die Folge, daß die
Vereinigung seiner Armee mit den österreichischen Bundesgenossen sich
noch mehr verspätete.

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
ſein in Frankreich reiſender Sohn der Rache des Corſen preisgegeben ſei,
und eilte dann mit ſeinem Heere von den betrogenen Oeſterreichern hin-
über zu den Franzoſen. Im bairiſchen Volke hatte Niemand ein Auge
für die Niedertracht des Hofes. Der alte Stammeshaß gegen die kaiſer-
lichen Koſtbeutel, das alte nur allzuſehr gerechtfertigte Mißtrauen gegen
die Begehrlichkeit der Hofburg erwachten von Neuem; jubelnd vernahm
die tapfere kleine Armee den Aufruf des Imperators: Ihr kämpft für die
erſten Güter der Nationen, für Unabhängigkeit und politiſches Daſein! Baden
und Darmſtadt ſchloſſen ſich an, nach einigem Zaudern auch Würtem-
berg; alle die vier Mittelſtaaten, welche Napoleon bereits als die Stützen
„meines künftigen deutſchen Bundes“ bezeichnete, ſtanden in ſeinem Lager.

Auch Preußen dachte er durch einen plumpen Betrug zu gewinnen.
Er ließ in Berlin den Erwerb von Hannover anbieten, wenn Preußen
dafür das rechtsrheiniſche Cleve mit Weſel abträte und an dem Kriege
gegen die Coalition theilnähme. Die preußiſche Monarchie ſollte alſo mit
Oeſterreich und Rußland brechen, ſie ſollte ihre letzte Poſition am Rheine
räumen und ſich freiwillig in den Oſten zurückſchieben laſſen, ſie ſollte
Italien, die Schweiz und Holland dem Welteroberer preisgeben: — denn
ausdrücklich behielt ſich Napoleon die freie Verfügung über dieſe Länder
vor; er ſah die Zeit ſchon kommen, da die Holländer ihrer Einſamkeit
müde werden und die Vereinigung mit Frankreich fordern würden. Und
für alle dieſe Opfer bot man dem Könige nichts als jenes Hannover,
das, unter ſolchen Umſtänden erworben, nur durch einen langen Krieg
gegen England behauptet werden konnte! Mit unverantwortlichem Leicht-
ſinn ging Hardenberg auf dieſe Zumuthungen ein; dringend rieth er zum
Anſchluß an Frankreich. Nur der gebotene Preis genügte ihm nicht, viel-
mehr hoffte er durch Napoleons Hilfe außer Hannover auch Böhmen
und Sachſen zu gewinnen. Allein die Nüchternheit des Königs bewahrte
den Staat vor einem verderblichen Schritte, der jede Verſtändigung mit
den Oſtmächten, jede gemeinſame Erhebung gegen das napoleoniſche Welt-
reich für immer zu verhindern drohte. Friedrich Wilhelm wies das fran-
zöſiſche Bündniß zurück, doch er erfuhr alsbald die Wahrheit der Worte
des großen Kurfürſten, daß Neutralität für dieſen Staat das undankbarſte
aller politiſchen Syſteme ſei. Denn während Napoleon durch neue Ver-
handlungen eine für Frankreich vortheihafte Neutralität zu erwirken ſuchte,
ſah man ſich zugleich von Oſten her bedrängt. Czar Alexander kündigte
in unverblümten Drohungen den Durchmarſch ſeiner Ruſſen an; der
König that was die Ehre gebot, ſetzte einen großen Theil ſeines Heeres
auf den Kriegsfuß und verſammelte die Truppen an der Wartha. Er-
ſchreckt ſtand der Czar von dem Friedensbruche ab, zur Verzweiflung
Czartoryskis, und ſein thörichtes Vorhaben hatte nur die Folge, daß die
Vereinigung ſeiner Armee mit den öſterreichiſchen Bundesgenoſſen ſich
noch mehr verſpätete.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0238" n="222"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherr&#x017F;chaft.</fw><lb/>
&#x017F;ein in Frankreich rei&#x017F;ender Sohn der Rache des Cor&#x017F;en preisgegeben &#x017F;ei,<lb/>
und eilte dann mit &#x017F;einem Heere von den betrogenen Oe&#x017F;terreichern hin-<lb/>
über zu den Franzo&#x017F;en. Im bairi&#x017F;chen Volke hatte Niemand ein Auge<lb/>
für die Niedertracht des Hofes. Der alte Stammeshaß gegen die kai&#x017F;er-<lb/>
lichen Ko&#x017F;tbeutel, das alte nur allzu&#x017F;ehr gerechtfertigte Mißtrauen gegen<lb/>
die Begehrlichkeit der Hofburg erwachten von Neuem; jubelnd vernahm<lb/>
die tapfere kleine Armee den Aufruf des Imperators: Ihr kämpft für die<lb/>
er&#x017F;ten Güter der Nationen, für Unabhängigkeit und politi&#x017F;ches Da&#x017F;ein! Baden<lb/>
und Darm&#x017F;tadt &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich an, nach einigem Zaudern auch Würtem-<lb/>
berg; alle die vier Mittel&#x017F;taaten, welche Napoleon bereits als die Stützen<lb/>
&#x201E;meines künftigen deut&#x017F;chen Bundes&#x201C; bezeichnete, &#x017F;tanden in &#x017F;einem Lager.</p><lb/>
            <p>Auch Preußen dachte er durch einen plumpen Betrug zu gewinnen.<lb/>
Er ließ in Berlin den Erwerb von Hannover anbieten, wenn Preußen<lb/>
dafür das rechtsrheini&#x017F;che Cleve mit We&#x017F;el abträte und an dem Kriege<lb/>
gegen die Coalition theilnähme. Die preußi&#x017F;che Monarchie &#x017F;ollte al&#x017F;o mit<lb/>
Oe&#x017F;terreich und Rußland brechen, &#x017F;ie &#x017F;ollte ihre letzte Po&#x017F;ition am Rheine<lb/>
räumen und &#x017F;ich freiwillig in den O&#x017F;ten zurück&#x017F;chieben la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie &#x017F;ollte<lb/>
Italien, die Schweiz und Holland dem Welteroberer preisgeben: &#x2014; denn<lb/>
ausdrücklich behielt &#x017F;ich Napoleon die freie Verfügung über die&#x017F;e Länder<lb/>
vor; er &#x017F;ah die Zeit &#x017F;chon kommen, da die Holländer ihrer Ein&#x017F;amkeit<lb/>
müde werden und die Vereinigung mit Frankreich fordern würden. Und<lb/>
für alle die&#x017F;e Opfer bot man dem Könige nichts als jenes Hannover,<lb/>
das, unter &#x017F;olchen Um&#x017F;tänden erworben, nur durch einen langen Krieg<lb/>
gegen England behauptet werden konnte! Mit unverantwortlichem Leicht-<lb/>
&#x017F;inn ging Hardenberg auf die&#x017F;e Zumuthungen ein; dringend rieth er zum<lb/>
An&#x017F;chluß an Frankreich. Nur der gebotene Preis genügte ihm nicht, viel-<lb/>
mehr hoffte er durch Napoleons Hilfe außer Hannover auch Böhmen<lb/>
und Sach&#x017F;en zu gewinnen. Allein die Nüchternheit des Königs bewahrte<lb/>
den Staat vor einem verderblichen Schritte, der jede Ver&#x017F;tändigung mit<lb/>
den O&#x017F;tmächten, jede gemein&#x017F;ame Erhebung gegen das napoleoni&#x017F;che Welt-<lb/>
reich für immer zu verhindern drohte. Friedrich Wilhelm wies das fran-<lb/>&#x017F;i&#x017F;che Bündniß zurück, doch er erfuhr alsbald die Wahrheit der Worte<lb/>
des großen Kurfür&#x017F;ten, daß Neutralität für die&#x017F;en Staat das undankbar&#x017F;te<lb/>
aller politi&#x017F;chen Sy&#x017F;teme &#x017F;ei. Denn während Napoleon durch neue Ver-<lb/>
handlungen eine für Frankreich vortheihafte Neutralität zu erwirken &#x017F;uchte,<lb/>
&#x017F;ah man &#x017F;ich zugleich von O&#x017F;ten her bedrängt. Czar Alexander kündigte<lb/>
in unverblümten Drohungen den Durchmar&#x017F;ch &#x017F;einer Ru&#x017F;&#x017F;en an; der<lb/>
König that was die Ehre gebot, &#x017F;etzte einen großen Theil &#x017F;eines Heeres<lb/>
auf den Kriegsfuß und ver&#x017F;ammelte die Truppen an der Wartha. Er-<lb/>
&#x017F;chreckt &#x017F;tand der Czar von dem Friedensbruche ab, zur Verzweiflung<lb/>
Czartoryskis, und &#x017F;ein thörichtes Vorhaben hatte nur die Folge, daß die<lb/>
Vereinigung &#x017F;einer Armee mit den ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich<lb/>
noch mehr ver&#x017F;pätete.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0238] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. ſein in Frankreich reiſender Sohn der Rache des Corſen preisgegeben ſei, und eilte dann mit ſeinem Heere von den betrogenen Oeſterreichern hin- über zu den Franzoſen. Im bairiſchen Volke hatte Niemand ein Auge für die Niedertracht des Hofes. Der alte Stammeshaß gegen die kaiſer- lichen Koſtbeutel, das alte nur allzuſehr gerechtfertigte Mißtrauen gegen die Begehrlichkeit der Hofburg erwachten von Neuem; jubelnd vernahm die tapfere kleine Armee den Aufruf des Imperators: Ihr kämpft für die erſten Güter der Nationen, für Unabhängigkeit und politiſches Daſein! Baden und Darmſtadt ſchloſſen ſich an, nach einigem Zaudern auch Würtem- berg; alle die vier Mittelſtaaten, welche Napoleon bereits als die Stützen „meines künftigen deutſchen Bundes“ bezeichnete, ſtanden in ſeinem Lager. Auch Preußen dachte er durch einen plumpen Betrug zu gewinnen. Er ließ in Berlin den Erwerb von Hannover anbieten, wenn Preußen dafür das rechtsrheiniſche Cleve mit Weſel abträte und an dem Kriege gegen die Coalition theilnähme. Die preußiſche Monarchie ſollte alſo mit Oeſterreich und Rußland brechen, ſie ſollte ihre letzte Poſition am Rheine räumen und ſich freiwillig in den Oſten zurückſchieben laſſen, ſie ſollte Italien, die Schweiz und Holland dem Welteroberer preisgeben: — denn ausdrücklich behielt ſich Napoleon die freie Verfügung über dieſe Länder vor; er ſah die Zeit ſchon kommen, da die Holländer ihrer Einſamkeit müde werden und die Vereinigung mit Frankreich fordern würden. Und für alle dieſe Opfer bot man dem Könige nichts als jenes Hannover, das, unter ſolchen Umſtänden erworben, nur durch einen langen Krieg gegen England behauptet werden konnte! Mit unverantwortlichem Leicht- ſinn ging Hardenberg auf dieſe Zumuthungen ein; dringend rieth er zum Anſchluß an Frankreich. Nur der gebotene Preis genügte ihm nicht, viel- mehr hoffte er durch Napoleons Hilfe außer Hannover auch Böhmen und Sachſen zu gewinnen. Allein die Nüchternheit des Königs bewahrte den Staat vor einem verderblichen Schritte, der jede Verſtändigung mit den Oſtmächten, jede gemeinſame Erhebung gegen das napoleoniſche Welt- reich für immer zu verhindern drohte. Friedrich Wilhelm wies das fran- zöſiſche Bündniß zurück, doch er erfuhr alsbald die Wahrheit der Worte des großen Kurfürſten, daß Neutralität für dieſen Staat das undankbarſte aller politiſchen Syſteme ſei. Denn während Napoleon durch neue Ver- handlungen eine für Frankreich vortheihafte Neutralität zu erwirken ſuchte, ſah man ſich zugleich von Oſten her bedrängt. Czar Alexander kündigte in unverblümten Drohungen den Durchmarſch ſeiner Ruſſen an; der König that was die Ehre gebot, ſetzte einen großen Theil ſeines Heeres auf den Kriegsfuß und verſammelte die Truppen an der Wartha. Er- ſchreckt ſtand der Czar von dem Friedensbruche ab, zur Verzweiflung Czartoryskis, und ſein thörichtes Vorhaben hatte nur die Folge, daß die Vereinigung ſeiner Armee mit den öſterreichiſchen Bundesgenoſſen ſich noch mehr verſpätete.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/238
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/238>, abgerufen am 20.04.2024.