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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Alexander und Czartoryski.
dann in Schlesien und Baiern die Entschädigung finden für seinen gali-
zianischen Besitz. Noch war der Czar nicht gänzlich für diese luftigen
Entwürfe gewonnen; aber so viel hatte der gewandte Pole doch erreicht,
daß sein kaiserlicher Freund völlig rücksichtslos gegen Preußen auftrat.
Die brünstigen Freundschaftsbetheuerungen von Memel schienen vergessen;
die Verhandlungen in Berlin wurden russischerseits mit einem beleidigen-
den Uebermuthe geführt als ob man beabsichtigte den preußischen Hof von
der Coalition hinweg zu scheuchen. Als König Friedrich Wilhelm unbeirrt
bei seiner Neutralität beharrte, war Alexander entschlossen, das russische
Heer selbst gegen den Willen des Königs durch preußisches Gebiet nach
Oesterreich zu führen.

Währenddem wurde der Erfolg der napoleonischen Anschläge gegen
England immer fraglicher; den großartigen Plan, die Flotte Nelsons nach
Westindien zu locken und unterdessen den Canal zu säubern, vereitelte die
Wachsamkeit des britischen Seehelden. Napoleon erwog schon die Frage,
ob es nicht räthlich sei das gewagte Unternehmen zwar nicht gänzlich auf-
zugeben -- denn noch fünf Jahre später hielt Arthur Wellesley aus
guten Gründen einen neuen Landungsversuch für wahrscheinlich -- doch
auf eine günstigere Gelegenheit zu vertagen. Nichts konnte dem Impe-
rator in solcher Lage willkommener sein als die Nachricht von den Rüstungen
der Coalition. Begierig ergriff er den Vorwand, den ihm seine Gegner
boten, und frohlockte bei der Aussicht "dies Skelett Franz den Zweiten,
den das Verdienst seiner Vorfahren auf den Thron gebracht hat", gänzlich
aus dem deutschen Reiche verdrängen; "Deutschland wird mehr Soldaten
sehen als je zuvor!" Indeß die große Armee unbemerkt in wunderbarer
Ordnung von Boulogne zum Rheine eilte, wurde der Kriegsschauplatz an
der oberen Donau von französischen Spähern sorgfältig ausgekundschaftet
und zugleich der glänzendste der napoleonischen Feldzüge durch eine kluge
diplomatische Action umsichtig vorbereitet.

Vom heiligen Reiche stand kein Widerstand zu befürchten. Der
Regensburger Reichstag vertiefte sich soeben in die wichtigen Verhand-
lungen über die Eutiner Gemeinweiden und füllte mit dieser Berathung
die Galgenfrist, die ihm noch vergönnt war, würdig aus. Zu seinen
alten Schützlingen, den Höfen der süddeutschen Mittelstaaten, sprach
der Imperator jetzt offen als Schirmherr des dynastischen Particularis-
mus: er komme Deutschlands Freiheit zu retten, nimmermehr dürften
deutsche Fürsten als Unterthanen des deutschen Kaisers behandelt wer-
den. Auf Napoleons Befehl hielt Kurfürst Max Joseph von Baiern
die österreichischen Unterhändler, die ihn herrisch und drohend zum An-
schluß an die Coalition drängten, durch erheuchelte friedliche Betheue-
rungen hin. Der deutsche Fürst gab sein heiliges Ehrenwort, daß seine
Truppen keinen Schwertstreich führen sollten, bat in der fürchterlichen
Verzweiflung seines geängsteten Vaterherzens nur um einige Geduld, da

Alexander und Czartoryski.
dann in Schleſien und Baiern die Entſchädigung finden für ſeinen gali-
zianiſchen Beſitz. Noch war der Czar nicht gänzlich für dieſe luftigen
Entwürfe gewonnen; aber ſo viel hatte der gewandte Pole doch erreicht,
daß ſein kaiſerlicher Freund völlig rückſichtslos gegen Preußen auftrat.
Die brünſtigen Freundſchaftsbetheuerungen von Memel ſchienen vergeſſen;
die Verhandlungen in Berlin wurden ruſſiſcherſeits mit einem beleidigen-
den Uebermuthe geführt als ob man beabſichtigte den preußiſchen Hof von
der Coalition hinweg zu ſcheuchen. Als König Friedrich Wilhelm unbeirrt
bei ſeiner Neutralität beharrte, war Alexander entſchloſſen, das ruſſiſche
Heer ſelbſt gegen den Willen des Königs durch preußiſches Gebiet nach
Oeſterreich zu führen.

Währenddem wurde der Erfolg der napoleoniſchen Anſchläge gegen
England immer fraglicher; den großartigen Plan, die Flotte Nelſons nach
Weſtindien zu locken und unterdeſſen den Canal zu ſäubern, vereitelte die
Wachſamkeit des britiſchen Seehelden. Napoleon erwog ſchon die Frage,
ob es nicht räthlich ſei das gewagte Unternehmen zwar nicht gänzlich auf-
zugeben — denn noch fünf Jahre ſpäter hielt Arthur Wellesley aus
guten Gründen einen neuen Landungsverſuch für wahrſcheinlich — doch
auf eine günſtigere Gelegenheit zu vertagen. Nichts konnte dem Impe-
rator in ſolcher Lage willkommener ſein als die Nachricht von den Rüſtungen
der Coalition. Begierig ergriff er den Vorwand, den ihm ſeine Gegner
boten, und frohlockte bei der Ausſicht „dies Skelett Franz den Zweiten,
den das Verdienſt ſeiner Vorfahren auf den Thron gebracht hat“, gänzlich
aus dem deutſchen Reiche verdrängen; „Deutſchland wird mehr Soldaten
ſehen als je zuvor!“ Indeß die große Armee unbemerkt in wunderbarer
Ordnung von Boulogne zum Rheine eilte, wurde der Kriegsſchauplatz an
der oberen Donau von franzöſiſchen Spähern ſorgfältig ausgekundſchaftet
und zugleich der glänzendſte der napoleoniſchen Feldzüge durch eine kluge
diplomatiſche Action umſichtig vorbereitet.

Vom heiligen Reiche ſtand kein Widerſtand zu befürchten. Der
Regensburger Reichstag vertiefte ſich ſoeben in die wichtigen Verhand-
lungen über die Eutiner Gemeinweiden und füllte mit dieſer Berathung
die Galgenfriſt, die ihm noch vergönnt war, würdig aus. Zu ſeinen
alten Schützlingen, den Höfen der ſüddeutſchen Mittelſtaaten, ſprach
der Imperator jetzt offen als Schirmherr des dynaſtiſchen Particularis-
mus: er komme Deutſchlands Freiheit zu retten, nimmermehr dürften
deutſche Fürſten als Unterthanen des deutſchen Kaiſers behandelt wer-
den. Auf Napoleons Befehl hielt Kurfürſt Max Joſeph von Baiern
die öſterreichiſchen Unterhändler, die ihn herriſch und drohend zum An-
ſchluß an die Coalition drängten, durch erheuchelte friedliche Betheue-
rungen hin. Der deutſche Fürſt gab ſein heiliges Ehrenwort, daß ſeine
Truppen keinen Schwertſtreich führen ſollten, bat in der fürchterlichen
Verzweiflung ſeines geängſteten Vaterherzens nur um einige Geduld, da

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[221/0237] Alexander und Czartoryski. dann in Schleſien und Baiern die Entſchädigung finden für ſeinen gali- zianiſchen Beſitz. Noch war der Czar nicht gänzlich für dieſe luftigen Entwürfe gewonnen; aber ſo viel hatte der gewandte Pole doch erreicht, daß ſein kaiſerlicher Freund völlig rückſichtslos gegen Preußen auftrat. Die brünſtigen Freundſchaftsbetheuerungen von Memel ſchienen vergeſſen; die Verhandlungen in Berlin wurden ruſſiſcherſeits mit einem beleidigen- den Uebermuthe geführt als ob man beabſichtigte den preußiſchen Hof von der Coalition hinweg zu ſcheuchen. Als König Friedrich Wilhelm unbeirrt bei ſeiner Neutralität beharrte, war Alexander entſchloſſen, das ruſſiſche Heer ſelbſt gegen den Willen des Königs durch preußiſches Gebiet nach Oeſterreich zu führen. Währenddem wurde der Erfolg der napoleoniſchen Anſchläge gegen England immer fraglicher; den großartigen Plan, die Flotte Nelſons nach Weſtindien zu locken und unterdeſſen den Canal zu ſäubern, vereitelte die Wachſamkeit des britiſchen Seehelden. Napoleon erwog ſchon die Frage, ob es nicht räthlich ſei das gewagte Unternehmen zwar nicht gänzlich auf- zugeben — denn noch fünf Jahre ſpäter hielt Arthur Wellesley aus guten Gründen einen neuen Landungsverſuch für wahrſcheinlich — doch auf eine günſtigere Gelegenheit zu vertagen. Nichts konnte dem Impe- rator in ſolcher Lage willkommener ſein als die Nachricht von den Rüſtungen der Coalition. Begierig ergriff er den Vorwand, den ihm ſeine Gegner boten, und frohlockte bei der Ausſicht „dies Skelett Franz den Zweiten, den das Verdienſt ſeiner Vorfahren auf den Thron gebracht hat“, gänzlich aus dem deutſchen Reiche verdrängen; „Deutſchland wird mehr Soldaten ſehen als je zuvor!“ Indeß die große Armee unbemerkt in wunderbarer Ordnung von Boulogne zum Rheine eilte, wurde der Kriegsſchauplatz an der oberen Donau von franzöſiſchen Spähern ſorgfältig ausgekundſchaftet und zugleich der glänzendſte der napoleoniſchen Feldzüge durch eine kluge diplomatiſche Action umſichtig vorbereitet. Vom heiligen Reiche ſtand kein Widerſtand zu befürchten. Der Regensburger Reichstag vertiefte ſich ſoeben in die wichtigen Verhand- lungen über die Eutiner Gemeinweiden und füllte mit dieſer Berathung die Galgenfriſt, die ihm noch vergönnt war, würdig aus. Zu ſeinen alten Schützlingen, den Höfen der ſüddeutſchen Mittelſtaaten, ſprach der Imperator jetzt offen als Schirmherr des dynaſtiſchen Particularis- mus: er komme Deutſchlands Freiheit zu retten, nimmermehr dürften deutſche Fürſten als Unterthanen des deutſchen Kaiſers behandelt wer- den. Auf Napoleons Befehl hielt Kurfürſt Max Joſeph von Baiern die öſterreichiſchen Unterhändler, die ihn herriſch und drohend zum An- ſchluß an die Coalition drängten, durch erheuchelte friedliche Betheue- rungen hin. Der deutſche Fürſt gab ſein heiliges Ehrenwort, daß ſeine Truppen keinen Schwertſtreich führen ſollten, bat in der fürchterlichen Verzweiflung ſeines geängſteten Vaterherzens nur um einige Geduld, da

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/237>, abgerufen am 25.04.2024.