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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Pilger zu dem großen Fremdenzuge, der während des Consulats und der
ersten Jahre des Kaiserreichs von allen Enden Europas nach Paris
strömte. Die ersten Kunstschätze der Erde lagen dort aufgespeichert wie
einst im kaiserlichen Rom, und wieder wie in den Tagen des Augustus
versammelte sich ein weltbürgerliches Publikum, das mit feinem Urtheil
aus dem Schönen das Schönste herausfand; erst in der Weltgalerie des
Louvre ist die überwältigende Größe Rafaels erkannt worden. Den deut-
schen Schöngeistern ward es in den heimischen Kleinstädten zu eng, sie
eilten nach der Seine und berauschten sich an den edlen wie an den ge-
meinen Freuden der Hauptstadt der Welt. Aber mitten in dem sinn-
berückenden Glanze blieb ihnen das Gefühl der eigenen Ueberlegenheit;
sie vergaßen es nicht, daß die Franzosen an dieser zusammengeraubten
Herrlichkeit gar kein Verdienst hatten, sondern soeben erst, durch die Werke
Laplaces, langsam begannen aus der Barbarei wieder zur Cultur emporzu-
steigen. Während Friedrich Schlegel die Schildkrötensuppen und die nackten
Actricen der neuen Babylon bewundert, schreibt er zugleich: "Paris hat den
einzigen Fehler, daß ziemlich viel Franzosen dort sind", und seine Dorothea
fügt hinzu: "wie dumm die Franzosen sind, das ist ganz unglaublich."
Schöner als diese spottlustigen Weltkinder hat Schiller den Nationalstolz
seines Denkervolkes ausgesprochen. Er wußte, daß die Siege Kants und
Goethes schwerer wogen als die Lorbeeren von Marengo, daß die Deutschen
noch immer ein Recht hatten ihre prahlerischen Nachbarn an die ewigen
Güter der Menschheit zu erinnern, und sagte über das Pantheon der
Pariser Plünderer stolz und groß:

Der allein besitzt die Musen,
Der sie hegt im warmen Busen;
Dem Vandalen sind sie Stein!

Dahin war es nun schon gekommen, daß nur noch ein Bund der
vier großen Mächte das übermächtige Frankreich in seine Schranken zurück-
weisen konnte. Aber Oesterreich hatte die Schläge der letzten Kriege noch
nicht verwunden. Der junge Czar begann zwar seit dem Frühjahr 1803
ernstlich besorgt zu werden über die Unersättlichkeit der napoleonischen
Politik, die er in den deutschen Entschädigungshändeln genugsam kennen
gelernt, doch seine knabenhafte Unsicherheit fand noch keinen festen Ent-
schluß. Preußen bemühte sich ängstlich das Gleichgewicht zu behaupten
zwischen den gefürchteten beiden Kolossen des Ostens und des Westens,
Rußlands Freundschaft zu bewahren ohne Frankreich zu verletzen. Nur
in der glücklichen Sicherheit des britischen Inselreichs fühlte man sich stark
genug den Dingen ins Gesicht zu sehen. Der Friede von Amiens, der
den Krieg zwischen den beiden Todfeinden abgeschlossen hatte, erwies sich
sofort als ein unsicherer Waffenstillstand: in Italien, in Holland, in der

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Pilger zu dem großen Fremdenzuge, der während des Conſulats und der
erſten Jahre des Kaiſerreichs von allen Enden Europas nach Paris
ſtrömte. Die erſten Kunſtſchätze der Erde lagen dort aufgeſpeichert wie
einſt im kaiſerlichen Rom, und wieder wie in den Tagen des Auguſtus
verſammelte ſich ein weltbürgerliches Publikum, das mit feinem Urtheil
aus dem Schönen das Schönſte herausfand; erſt in der Weltgalerie des
Louvre iſt die überwältigende Größe Rafaels erkannt worden. Den deut-
ſchen Schöngeiſtern ward es in den heimiſchen Kleinſtädten zu eng, ſie
eilten nach der Seine und berauſchten ſich an den edlen wie an den ge-
meinen Freuden der Hauptſtadt der Welt. Aber mitten in dem ſinn-
berückenden Glanze blieb ihnen das Gefühl der eigenen Ueberlegenheit;
ſie vergaßen es nicht, daß die Franzoſen an dieſer zuſammengeraubten
Herrlichkeit gar kein Verdienſt hatten, ſondern ſoeben erſt, durch die Werke
Laplaces, langſam begannen aus der Barbarei wieder zur Cultur emporzu-
ſteigen. Während Friedrich Schlegel die Schildkrötenſuppen und die nackten
Actricen der neuen Babylon bewundert, ſchreibt er zugleich: „Paris hat den
einzigen Fehler, daß ziemlich viel Franzoſen dort ſind“, und ſeine Dorothea
fügt hinzu: „wie dumm die Franzoſen ſind, das iſt ganz unglaublich.“
Schöner als dieſe ſpottluſtigen Weltkinder hat Schiller den Nationalſtolz
ſeines Denkervolkes ausgeſprochen. Er wußte, daß die Siege Kants und
Goethes ſchwerer wogen als die Lorbeeren von Marengo, daß die Deutſchen
noch immer ein Recht hatten ihre prahleriſchen Nachbarn an die ewigen
Güter der Menſchheit zu erinnern, und ſagte über das Pantheon der
Pariſer Plünderer ſtolz und groß:

Der allein beſitzt die Muſen,
Der ſie hegt im warmen Buſen;
Dem Vandalen ſind ſie Stein!

Dahin war es nun ſchon gekommen, daß nur noch ein Bund der
vier großen Mächte das übermächtige Frankreich in ſeine Schranken zurück-
weiſen konnte. Aber Oeſterreich hatte die Schläge der letzten Kriege noch
nicht verwunden. Der junge Czar begann zwar ſeit dem Frühjahr 1803
ernſtlich beſorgt zu werden über die Unerſättlichkeit der napoleoniſchen
Politik, die er in den deutſchen Entſchädigungshändeln genugſam kennen
gelernt, doch ſeine knabenhafte Unſicherheit fand noch keinen feſten Ent-
ſchluß. Preußen bemühte ſich ängſtlich das Gleichgewicht zu behaupten
zwiſchen den gefürchteten beiden Koloſſen des Oſtens und des Weſtens,
Rußlands Freundſchaft zu bewahren ohne Frankreich zu verletzen. Nur
in der glücklichen Sicherheit des britiſchen Inſelreichs fühlte man ſich ſtark
genug den Dingen ins Geſicht zu ſehen. Der Friede von Amiens, der
den Krieg zwiſchen den beiden Todfeinden abgeſchloſſen hatte, erwies ſich
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[212/0228] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. Pilger zu dem großen Fremdenzuge, der während des Conſulats und der erſten Jahre des Kaiſerreichs von allen Enden Europas nach Paris ſtrömte. Die erſten Kunſtſchätze der Erde lagen dort aufgeſpeichert wie einſt im kaiſerlichen Rom, und wieder wie in den Tagen des Auguſtus verſammelte ſich ein weltbürgerliches Publikum, das mit feinem Urtheil aus dem Schönen das Schönſte herausfand; erſt in der Weltgalerie des Louvre iſt die überwältigende Größe Rafaels erkannt worden. Den deut- ſchen Schöngeiſtern ward es in den heimiſchen Kleinſtädten zu eng, ſie eilten nach der Seine und berauſchten ſich an den edlen wie an den ge- meinen Freuden der Hauptſtadt der Welt. Aber mitten in dem ſinn- berückenden Glanze blieb ihnen das Gefühl der eigenen Ueberlegenheit; ſie vergaßen es nicht, daß die Franzoſen an dieſer zuſammengeraubten Herrlichkeit gar kein Verdienſt hatten, ſondern ſoeben erſt, durch die Werke Laplaces, langſam begannen aus der Barbarei wieder zur Cultur emporzu- ſteigen. Während Friedrich Schlegel die Schildkrötenſuppen und die nackten Actricen der neuen Babylon bewundert, ſchreibt er zugleich: „Paris hat den einzigen Fehler, daß ziemlich viel Franzoſen dort ſind“, und ſeine Dorothea fügt hinzu: „wie dumm die Franzoſen ſind, das iſt ganz unglaublich.“ Schöner als dieſe ſpottluſtigen Weltkinder hat Schiller den Nationalſtolz ſeines Denkervolkes ausgeſprochen. Er wußte, daß die Siege Kants und Goethes ſchwerer wogen als die Lorbeeren von Marengo, daß die Deutſchen noch immer ein Recht hatten ihre prahleriſchen Nachbarn an die ewigen Güter der Menſchheit zu erinnern, und ſagte über das Pantheon der Pariſer Plünderer ſtolz und groß: Der allein beſitzt die Muſen, Der ſie hegt im warmen Buſen; Dem Vandalen ſind ſie Stein! Dahin war es nun ſchon gekommen, daß nur noch ein Bund der vier großen Mächte das übermächtige Frankreich in ſeine Schranken zurück- weiſen konnte. Aber Oeſterreich hatte die Schläge der letzten Kriege noch nicht verwunden. Der junge Czar begann zwar ſeit dem Frühjahr 1803 ernſtlich beſorgt zu werden über die Unerſättlichkeit der napoleoniſchen Politik, die er in den deutſchen Entſchädigungshändeln genugſam kennen gelernt, doch ſeine knabenhafte Unſicherheit fand noch keinen feſten Ent- ſchluß. Preußen bemühte ſich ängſtlich das Gleichgewicht zu behaupten zwiſchen den gefürchteten beiden Koloſſen des Oſtens und des Weſtens, Rußlands Freundſchaft zu bewahren ohne Frankreich zu verletzen. Nur in der glücklichen Sicherheit des britiſchen Inſelreichs fühlte man ſich ſtark genug den Dingen ins Geſicht zu ſehen. Der Friede von Amiens, der den Krieg zwiſchen den beiden Todfeinden abgeſchloſſen hatte, erwies ſich ſofort als ein unſicherer Waffenſtillſtand: in Italien, in Holland, in der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/228>, abgerufen am 25.04.2024.