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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
in den Kreisen der Auserwählten zu reizender Entfaltung; geistreicher,
verführerischer als in Caroline Schellings Briefen hat Weiberliebe und
Weiberbosheit selten geredet. Und wie mochte man ohne Freude den edlen
Fürsten betrachten, der alle diese großen Menschen frei gewähren ließ, der
sie alle verstand und dabei so fest und stattlich sich selbst behauptete?
Ganz unbekümmert stürmte Karl August ins junge Leben, bis eigene Er-
kenntniß, nicht fremder Rath ihn lehrte "nach und nach die freie Seele
einzuschränken".

Wenn die altfranzösischen Edelleute, die Talleyrand, Segur, Ligne,
damals zu behaupten pflegten, wer nicht die letzten Zeiten des alten
Königthums vor dem Jahre 89 mit erlebt, der wisse nicht was leben
heißt, so konnten Deutschlands Dichter und Denker mit besserem Rechte
das Gleiche von ihrem goldenen Zeitalter sagen. Eine wunderbare Dich-
tigkeit des geistigen Daseins gestattete Jedem seine Gaben in Genuß und
That nach allen Seiten hin harmonisch zu entfalten; und es entsprach
nur den wirklichen Zuständen, wenn die schöne Geselligkeit sich besser
dünkte als der geistlose Staat, wenn die Briefe Schillers und Goethes
immer wieder die Sorge aussprachen, daß nur der Staat ja nicht "die
Freiheit der Particuliers" antaste. Wie diese Künstlerwelt sich zum Staate
stellte, das zeigte Wilhelm Humboldt vornehm und geistvoll in seiner
Abhandlung über die Grenzen der Wirksamkeit des Staates: der höchste
Zweck des Lebens, die Erziehung des Menschen zur Eigenthümlichkeit der
Kraft und Bildung, wird nur erreicht, wenn der Einzelne in Freiheit
und in mannichfaltigen Situationen sich bewegt; darum muß die Zwangs-
anstalt des Staates auf die Sicherung von Hab' und Leben sich be-
schränken, in Allem sonst den königlichen Menschen frei schalten lassen;
der Staat steht um so höher, je reicher und selbständiger sich die Eigen-
art der Personen in ihm gestalten darf. So wurde die Kantische Lehre
vom Rechtsstaate im ästhetischen Sinne weiter gebildet; die dürre Doctrin
des naturrechtlichen Individualismus gewann Reiz und Leben seit sie mit
dem Cultus der freien Persönlichkeit sich vermählte. Die Bewunderer
des classischen Alterthums predigten die Flucht vor dem Staate, das ge-
naue Gegentheil hellenischer Tugend.

Bald genug sollte ein furchtbares Erwachen dem seligen Traume
folgen; bald genug sollte der Bildungsstolz erfahren, daß für edle Völker
Eines noch schrecklicher ist als das Banausenthum: -- die Schande. Den-
noch trifft die Heroen der deutschen Dichtung in keiner Weise der Vor-
wurf, als ob sie irgend eine Mitschuld trügen an der Demüthigung ihres
Vaterlandes. Der Zerfall des alten deutschen Staates war entschieden;
die Theilnahme unserer Dichter an den politischen Ereignissen der Zeit
konnte das Verhängniß nicht wenden, konnte nur sie selber dem Ewigen
entfremden. Sie hüteten das Eigenste unseres Volkes, das heilige Feuer
des Idealismus, und ihnen vornehmlich danken wir, daß es noch immer

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
in den Kreiſen der Auserwählten zu reizender Entfaltung; geiſtreicher,
verführeriſcher als in Caroline Schellings Briefen hat Weiberliebe und
Weiberbosheit ſelten geredet. Und wie mochte man ohne Freude den edlen
Fürſten betrachten, der alle dieſe großen Menſchen frei gewähren ließ, der
ſie alle verſtand und dabei ſo feſt und ſtattlich ſich ſelbſt behauptete?
Ganz unbekümmert ſtürmte Karl Auguſt ins junge Leben, bis eigene Er-
kenntniß, nicht fremder Rath ihn lehrte „nach und nach die freie Seele
einzuſchränken“.

Wenn die altfranzöſiſchen Edelleute, die Talleyrand, Segur, Ligne,
damals zu behaupten pflegten, wer nicht die letzten Zeiten des alten
Königthums vor dem Jahre 89 mit erlebt, der wiſſe nicht was leben
heißt, ſo konnten Deutſchlands Dichter und Denker mit beſſerem Rechte
das Gleiche von ihrem goldenen Zeitalter ſagen. Eine wunderbare Dich-
tigkeit des geiſtigen Daſeins geſtattete Jedem ſeine Gaben in Genuß und
That nach allen Seiten hin harmoniſch zu entfalten; und es entſprach
nur den wirklichen Zuſtänden, wenn die ſchöne Geſelligkeit ſich beſſer
dünkte als der geiſtloſe Staat, wenn die Briefe Schillers und Goethes
immer wieder die Sorge ausſprachen, daß nur der Staat ja nicht „die
Freiheit der Particuliers“ antaſte. Wie dieſe Künſtlerwelt ſich zum Staate
ſtellte, das zeigte Wilhelm Humboldt vornehm und geiſtvoll in ſeiner
Abhandlung über die Grenzen der Wirkſamkeit des Staates: der höchſte
Zweck des Lebens, die Erziehung des Menſchen zur Eigenthümlichkeit der
Kraft und Bildung, wird nur erreicht, wenn der Einzelne in Freiheit
und in mannichfaltigen Situationen ſich bewegt; darum muß die Zwangs-
anſtalt des Staates auf die Sicherung von Hab’ und Leben ſich be-
ſchränken, in Allem ſonſt den königlichen Menſchen frei ſchalten laſſen;
der Staat ſteht um ſo höher, je reicher und ſelbſtändiger ſich die Eigen-
art der Perſonen in ihm geſtalten darf. So wurde die Kantiſche Lehre
vom Rechtsſtaate im äſthetiſchen Sinne weiter gebildet; die dürre Doctrin
des naturrechtlichen Individualismus gewann Reiz und Leben ſeit ſie mit
dem Cultus der freien Perſönlichkeit ſich vermählte. Die Bewunderer
des claſſiſchen Alterthums predigten die Flucht vor dem Staate, das ge-
naue Gegentheil helleniſcher Tugend.

Bald genug ſollte ein furchtbares Erwachen dem ſeligen Traume
folgen; bald genug ſollte der Bildungsſtolz erfahren, daß für edle Völker
Eines noch ſchrecklicher iſt als das Banauſenthum: — die Schande. Den-
noch trifft die Heroen der deutſchen Dichtung in keiner Weiſe der Vor-
wurf, als ob ſie irgend eine Mitſchuld trügen an der Demüthigung ihres
Vaterlandes. Der Zerfall des alten deutſchen Staates war entſchieden;
die Theilnahme unſerer Dichter an den politiſchen Ereigniſſen der Zeit
konnte das Verhängniß nicht wenden, konnte nur ſie ſelber dem Ewigen
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[204/0220] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. in den Kreiſen der Auserwählten zu reizender Entfaltung; geiſtreicher, verführeriſcher als in Caroline Schellings Briefen hat Weiberliebe und Weiberbosheit ſelten geredet. Und wie mochte man ohne Freude den edlen Fürſten betrachten, der alle dieſe großen Menſchen frei gewähren ließ, der ſie alle verſtand und dabei ſo feſt und ſtattlich ſich ſelbſt behauptete? Ganz unbekümmert ſtürmte Karl Auguſt ins junge Leben, bis eigene Er- kenntniß, nicht fremder Rath ihn lehrte „nach und nach die freie Seele einzuſchränken“. Wenn die altfranzöſiſchen Edelleute, die Talleyrand, Segur, Ligne, damals zu behaupten pflegten, wer nicht die letzten Zeiten des alten Königthums vor dem Jahre 89 mit erlebt, der wiſſe nicht was leben heißt, ſo konnten Deutſchlands Dichter und Denker mit beſſerem Rechte das Gleiche von ihrem goldenen Zeitalter ſagen. Eine wunderbare Dich- tigkeit des geiſtigen Daſeins geſtattete Jedem ſeine Gaben in Genuß und That nach allen Seiten hin harmoniſch zu entfalten; und es entſprach nur den wirklichen Zuſtänden, wenn die ſchöne Geſelligkeit ſich beſſer dünkte als der geiſtloſe Staat, wenn die Briefe Schillers und Goethes immer wieder die Sorge ausſprachen, daß nur der Staat ja nicht „die Freiheit der Particuliers“ antaſte. Wie dieſe Künſtlerwelt ſich zum Staate ſtellte, das zeigte Wilhelm Humboldt vornehm und geiſtvoll in ſeiner Abhandlung über die Grenzen der Wirkſamkeit des Staates: der höchſte Zweck des Lebens, die Erziehung des Menſchen zur Eigenthümlichkeit der Kraft und Bildung, wird nur erreicht, wenn der Einzelne in Freiheit und in mannichfaltigen Situationen ſich bewegt; darum muß die Zwangs- anſtalt des Staates auf die Sicherung von Hab’ und Leben ſich be- ſchränken, in Allem ſonſt den königlichen Menſchen frei ſchalten laſſen; der Staat ſteht um ſo höher, je reicher und ſelbſtändiger ſich die Eigen- art der Perſonen in ihm geſtalten darf. So wurde die Kantiſche Lehre vom Rechtsſtaate im äſthetiſchen Sinne weiter gebildet; die dürre Doctrin des naturrechtlichen Individualismus gewann Reiz und Leben ſeit ſie mit dem Cultus der freien Perſönlichkeit ſich vermählte. Die Bewunderer des claſſiſchen Alterthums predigten die Flucht vor dem Staate, das ge- naue Gegentheil helleniſcher Tugend. Bald genug ſollte ein furchtbares Erwachen dem ſeligen Traume folgen; bald genug ſollte der Bildungsſtolz erfahren, daß für edle Völker Eines noch ſchrecklicher iſt als das Banauſenthum: — die Schande. Den- noch trifft die Heroen der deutſchen Dichtung in keiner Weiſe der Vor- wurf, als ob ſie irgend eine Mitſchuld trügen an der Demüthigung ihres Vaterlandes. Der Zerfall des alten deutſchen Staates war entſchieden; die Theilnahme unſerer Dichter an den politiſchen Ereigniſſen der Zeit konnte das Verhängniß nicht wenden, konnte nur ſie ſelber dem Ewigen entfremden. Sie hüteten das Eigenſte unſeres Volkes, das heilige Feuer des Idealismus, und ihnen vornehmlich danken wir, daß es noch immer

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/220>, abgerufen am 29.03.2024.