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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
die Erkenntniß gewonnen, daß unser Geschlecht nur durch die Kunst zur
harmonischen Vollendung erzogen werde; nur in der Kunst sei der Mensch
zugleich thätig und frei, nach außen wirksam und ganz bei sich selber.
Damit war das innerste Herzensgeheimniß des Zeitalters kühnlich aus-
gesprochen. Tausend jubelnde Stimmen antworteten dem weckenden Rufe:
"fliehet aus dem engen dumpfen Leben in des Ideales Reich!" und ver-
kündeten die frohe Botschaft, daß der Künstler der vollkommene Mensch,
daß alles Schöne gut und gut nur das Schöne sei. Zugleich ging der
Dichter mit der Formlosigkeit seiner eigenen Jugendwerke streng, ja grau-
sam ins Gericht und eroberte sich die lebendige Anschauung der antiken
Formenreinheit. Erst durch Schiller ward Winkelmanns Werk vollendet;
erst seit er in den Göttern Griechenlands die an der Freude leichtem
Gängelbande regierten seligen Geschlechter des Alterthums in brennender
Farbenpracht verherrlicht hatte, wurde die Sehnsucht nach der erhabenen
Einfalt der Antike, der Cultus des classischen Ideals zum Gemeingute
der gebildeten Deutschen. Wunderbar schnell lebte Schiller sich ein in
diese Welt, die seiner Jugend so fremd gewesen, und fand mit genialer
Sicherheit die treibende Kraft der alten Geschichte heraus, den letzten und
höchsten Gedanken des Hellenenthums: "ist der Leib in Staub zerfallen,
lebt der große Name noch!"

Als die beiden großen Dichter sich verbündeten, da galt es zunächst,
diesen neuen Idealismus in der Welt durchzusetzen und zu behaupten,
die Afterweisheit der hausbackenen Moral, der platten Nützlichkeitslehren,
der phantastischen Unklarheit hinauszufegen aus dem Tempel der deutschen
Muse, freie Bahn zu schaffen für das wahrhaft Bedeutende und Schöpfe-
rische, der Mittelmäßigkeit zu zeigen, daß die Kunst für sie keinen Raum
bietet. Diesem Zwecke diente der Xenienstreit, ein Parteikampf großen
Stiles, der mit aller seiner Grobheit und Gehässigkeit doch nothwendig
war für die Entwicklung unseres nationalen Lebens; die Deutschen wußten
wohl, daß hier um eine Lebensfrage ihrer Cultur gefochten wurde. Von
dem thatenlustigen Freunde zu frischem Schaffen angeregt zeigte sich nun
Goethe in immer neuen Wandlungen. Schönheitstrunken, heidnisch un-
befangen wie ein rosenbekränzter Poet des Alterthums besang er in den
Römischen Elegien die Freuden des lieberwärmeten Lagers, und nur zu-
weilen, wenn er den majestätischen Ausblick auf das ewige Rom eröffnete,
ließ er die Leser errathen, daß der Gedankenreichthum eines die Jahr-
hunderte überschauenden Geistes sich hinter der herzhaften Sinnlichkeit
dieser lieblichen Verse verbarg. Bald darauf stand er wieder mitten in
der deutschen Gegenwart und schilderte mit homerischer Einfalt die gesunde
Kraft unserer Mittelstände, die schlichte Größe, die in der Kleinheit des
befriedeten Hauses wohnt, und mahnte sein Volk, sich selber treu zu
bleiben, in schwankender Zeit das Seine zu behaupten. Die warme treue
Liebe zum Vaterlande, die aus Hermann und Dorothea sprach, machte

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
die Erkenntniß gewonnen, daß unſer Geſchlecht nur durch die Kunſt zur
harmoniſchen Vollendung erzogen werde; nur in der Kunſt ſei der Menſch
zugleich thätig und frei, nach außen wirkſam und ganz bei ſich ſelber.
Damit war das innerſte Herzensgeheimniß des Zeitalters kühnlich aus-
geſprochen. Tauſend jubelnde Stimmen antworteten dem weckenden Rufe:
„fliehet aus dem engen dumpfen Leben in des Ideales Reich!“ und ver-
kündeten die frohe Botſchaft, daß der Künſtler der vollkommene Menſch,
daß alles Schöne gut und gut nur das Schöne ſei. Zugleich ging der
Dichter mit der Formloſigkeit ſeiner eigenen Jugendwerke ſtreng, ja grau-
ſam ins Gericht und eroberte ſich die lebendige Anſchauung der antiken
Formenreinheit. Erſt durch Schiller ward Winkelmanns Werk vollendet;
erſt ſeit er in den Göttern Griechenlands die an der Freude leichtem
Gängelbande regierten ſeligen Geſchlechter des Alterthums in brennender
Farbenpracht verherrlicht hatte, wurde die Sehnſucht nach der erhabenen
Einfalt der Antike, der Cultus des claſſiſchen Ideals zum Gemeingute
der gebildeten Deutſchen. Wunderbar ſchnell lebte Schiller ſich ein in
dieſe Welt, die ſeiner Jugend ſo fremd geweſen, und fand mit genialer
Sicherheit die treibende Kraft der alten Geſchichte heraus, den letzten und
höchſten Gedanken des Hellenenthums: „iſt der Leib in Staub zerfallen,
lebt der große Name noch!“

Als die beiden großen Dichter ſich verbündeten, da galt es zunächſt,
dieſen neuen Idealismus in der Welt durchzuſetzen und zu behaupten,
die Afterweisheit der hausbackenen Moral, der platten Nützlichkeitslehren,
der phantaſtiſchen Unklarheit hinauszufegen aus dem Tempel der deutſchen
Muſe, freie Bahn zu ſchaffen für das wahrhaft Bedeutende und Schöpfe-
riſche, der Mittelmäßigkeit zu zeigen, daß die Kunſt für ſie keinen Raum
bietet. Dieſem Zwecke diente der Xenienſtreit, ein Parteikampf großen
Stiles, der mit aller ſeiner Grobheit und Gehäſſigkeit doch nothwendig
war für die Entwicklung unſeres nationalen Lebens; die Deutſchen wußten
wohl, daß hier um eine Lebensfrage ihrer Cultur gefochten wurde. Von
dem thatenluſtigen Freunde zu friſchem Schaffen angeregt zeigte ſich nun
Goethe in immer neuen Wandlungen. Schönheitstrunken, heidniſch un-
befangen wie ein roſenbekränzter Poet des Alterthums beſang er in den
Römiſchen Elegien die Freuden des lieberwärmeten Lagers, und nur zu-
weilen, wenn er den majeſtätiſchen Ausblick auf das ewige Rom eröffnete,
ließ er die Leſer errathen, daß der Gedankenreichthum eines die Jahr-
hunderte überſchauenden Geiſtes ſich hinter der herzhaften Sinnlichkeit
dieſer lieblichen Verſe verbarg. Bald darauf ſtand er wieder mitten in
der deutſchen Gegenwart und ſchilderte mit homeriſcher Einfalt die geſunde
Kraft unſerer Mittelſtände, die ſchlichte Größe, die in der Kleinheit des
befriedeten Hauſes wohnt, und mahnte ſein Volk, ſich ſelber treu zu
bleiben, in ſchwankender Zeit das Seine zu behaupten. Die warme treue
Liebe zum Vaterlande, die aus Hermann und Dorothea ſprach, machte

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[200/0216] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. die Erkenntniß gewonnen, daß unſer Geſchlecht nur durch die Kunſt zur harmoniſchen Vollendung erzogen werde; nur in der Kunſt ſei der Menſch zugleich thätig und frei, nach außen wirkſam und ganz bei ſich ſelber. Damit war das innerſte Herzensgeheimniß des Zeitalters kühnlich aus- geſprochen. Tauſend jubelnde Stimmen antworteten dem weckenden Rufe: „fliehet aus dem engen dumpfen Leben in des Ideales Reich!“ und ver- kündeten die frohe Botſchaft, daß der Künſtler der vollkommene Menſch, daß alles Schöne gut und gut nur das Schöne ſei. Zugleich ging der Dichter mit der Formloſigkeit ſeiner eigenen Jugendwerke ſtreng, ja grau- ſam ins Gericht und eroberte ſich die lebendige Anſchauung der antiken Formenreinheit. Erſt durch Schiller ward Winkelmanns Werk vollendet; erſt ſeit er in den Göttern Griechenlands die an der Freude leichtem Gängelbande regierten ſeligen Geſchlechter des Alterthums in brennender Farbenpracht verherrlicht hatte, wurde die Sehnſucht nach der erhabenen Einfalt der Antike, der Cultus des claſſiſchen Ideals zum Gemeingute der gebildeten Deutſchen. Wunderbar ſchnell lebte Schiller ſich ein in dieſe Welt, die ſeiner Jugend ſo fremd geweſen, und fand mit genialer Sicherheit die treibende Kraft der alten Geſchichte heraus, den letzten und höchſten Gedanken des Hellenenthums: „iſt der Leib in Staub zerfallen, lebt der große Name noch!“ Als die beiden großen Dichter ſich verbündeten, da galt es zunächſt, dieſen neuen Idealismus in der Welt durchzuſetzen und zu behaupten, die Afterweisheit der hausbackenen Moral, der platten Nützlichkeitslehren, der phantaſtiſchen Unklarheit hinauszufegen aus dem Tempel der deutſchen Muſe, freie Bahn zu ſchaffen für das wahrhaft Bedeutende und Schöpfe- riſche, der Mittelmäßigkeit zu zeigen, daß die Kunſt für ſie keinen Raum bietet. Dieſem Zwecke diente der Xenienſtreit, ein Parteikampf großen Stiles, der mit aller ſeiner Grobheit und Gehäſſigkeit doch nothwendig war für die Entwicklung unſeres nationalen Lebens; die Deutſchen wußten wohl, daß hier um eine Lebensfrage ihrer Cultur gefochten wurde. Von dem thatenluſtigen Freunde zu friſchem Schaffen angeregt zeigte ſich nun Goethe in immer neuen Wandlungen. Schönheitstrunken, heidniſch un- befangen wie ein roſenbekränzter Poet des Alterthums beſang er in den Römiſchen Elegien die Freuden des lieberwärmeten Lagers, und nur zu- weilen, wenn er den majeſtätiſchen Ausblick auf das ewige Rom eröffnete, ließ er die Leſer errathen, daß der Gedankenreichthum eines die Jahr- hunderte überſchauenden Geiſtes ſich hinter der herzhaften Sinnlichkeit dieſer lieblichen Verſe verbarg. Bald darauf ſtand er wieder mitten in der deutſchen Gegenwart und ſchilderte mit homeriſcher Einfalt die geſunde Kraft unſerer Mittelſtände, die ſchlichte Größe, die in der Kleinheit des befriedeten Hauſes wohnt, und mahnte ſein Volk, ſich ſelber treu zu bleiben, in ſchwankender Zeit das Seine zu behaupten. Die warme treue Liebe zum Vaterlande, die aus Hermann und Dorothea ſprach, machte

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/216>, abgerufen am 29.03.2024.