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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Deutschland noch entbehrte. Durch sie lernte das staat- und waffenlose
Volk der Krummstabslande zum ersten male den Kriegsruhm und das
Selbstgefühl eines großen Gemeinwesens kennen.

Die durcheinander gewürfelten Gebiete von 97 Bischöfen, Aebten,
Fürsten, Grafen und Reichsstädten und einer ungezählten Schaar Reichs-
ritter wurden zu vier wohlabgerundeten Departements zusammengeschlagen.
Eine strenge Polizei jagte die Banden des Schinderhannes auseinander,
brachte den Gebirgslanden der Eifel und des Hunsrückens einen Zustand
friedlicher Sicherheit, den die Zeiten kleinstaatlicher Ohnmacht nie gekannt.
Die Aufhebung der Leibeigenschaft wollte hier in den Landen alter Bauern-
freiheit wenig bedeuten. Um so tiefer und heilsamer wirkte die Beseitigung
der feudalen Lasten und der hohen Kirchenzehnten, vornehmlich aber der
Verkauf der Nationalgüter; auf den Trümmern der alten geistlichen Lati-
fundien entstand ein neuer wohlhäbiger Kleingrundbesitz. Die Thore des
Bonner Ghettos thaten sich auf, die Protestanten von Köln und Aachen
erbauten sich ihre ersten Kirchen. Die öffentliche Rechtspflege der Schwur-
gerichtshöfe verdrängte jene ungeheuerlichen Proceßformen, welche vordem
von den dreizehn Gerichten der guten Stadt Köln, von den zahllosen Tribu-
nalen geistlicher und weltlicher Gerichtsherren gehandhabt wurden. Statt
der verschwiegerten und verschwägerten Herren vom Rathe, denen das Volk
den Spottnamen des Kölnischen Klüngels anhing, statt der hochedlen und
hochweisen Patricier, die einst "das Reich von Aachen" beherrschten, ge-
boten jetzt überall die Präfecten und die Maires, des ersten Consuls
unterthänige Diener. Jede Selbständigkeit der Gemeinden war dahin; doch
die neue Beamtenregierung zeigte sich nicht nur rühriger, sondern auch
ehrlicher und gerechter als die alte Vetternherrschaft.

Wohl vertheidigten die Rheinländer ihre deutsche Sprache und Sitte
mit zähem Widerstande gegen alle Versuche gewaltsamer Verwälschung.
Die willkürliche Unnatur der neuen Flußgrenze wurde schwer empfunden;
überall den Strom entlang führte das Volk den kleinen Krieg gegen die
verhaßten Zollwächter und ließ sich den nachbarlichen Umgang mit den
rechtsrheinischen Landsleuten nicht verbieten. Man spürte jedoch bald, mit
wie festen Banden ein kräftiger Staat seine Glieder zusammenhält. Der
freie Handel mit dem weiten westlichen Hinterlande, die Vernichtung der
alten Zunft- und Bannrechte rief neue gewerbliche Unternehmungen, neue
Verkehrsverhältnisse hervor; das gute Frankengeld, das seit Bonapartes
Beutezügen und Finanzreformen in Frankreich umlief, sah sich doch anders
an als die Petermännchen und Kastemännchen und das andere bunte
Münzengewirr der bischöflichen Tage. Die Stämme am Mittel- und
Niederrhein sind niemals so mit ganzem Herzen französisch geworden wie
das Soldatenvolk des Elsasses; der wachsende Steuerdruck und die furcht-
baren Menschenopfer der napoleonischen Kriege ließen, trotz der Befreiung
des Ackerbaus und der Gewerbe, nicht einmal das Gefühl wirthschaftlichen

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Deutſchland noch entbehrte. Durch ſie lernte das ſtaat- und waffenloſe
Volk der Krummſtabslande zum erſten male den Kriegsruhm und das
Selbſtgefühl eines großen Gemeinweſens kennen.

Die durcheinander gewürfelten Gebiete von 97 Biſchöfen, Aebten,
Fürſten, Grafen und Reichsſtädten und einer ungezählten Schaar Reichs-
ritter wurden zu vier wohlabgerundeten Departements zuſammengeſchlagen.
Eine ſtrenge Polizei jagte die Banden des Schinderhannes auseinander,
brachte den Gebirgslanden der Eifel und des Hunsrückens einen Zuſtand
friedlicher Sicherheit, den die Zeiten kleinſtaatlicher Ohnmacht nie gekannt.
Die Aufhebung der Leibeigenſchaft wollte hier in den Landen alter Bauern-
freiheit wenig bedeuten. Um ſo tiefer und heilſamer wirkte die Beſeitigung
der feudalen Laſten und der hohen Kirchenzehnten, vornehmlich aber der
Verkauf der Nationalgüter; auf den Trümmern der alten geiſtlichen Lati-
fundien entſtand ein neuer wohlhäbiger Kleingrundbeſitz. Die Thore des
Bonner Ghettos thaten ſich auf, die Proteſtanten von Köln und Aachen
erbauten ſich ihre erſten Kirchen. Die öffentliche Rechtspflege der Schwur-
gerichtshöfe verdrängte jene ungeheuerlichen Proceßformen, welche vordem
von den dreizehn Gerichten der guten Stadt Köln, von den zahlloſen Tribu-
nalen geiſtlicher und weltlicher Gerichtsherren gehandhabt wurden. Statt
der verſchwiegerten und verſchwägerten Herren vom Rathe, denen das Volk
den Spottnamen des Kölniſchen Klüngels anhing, ſtatt der hochedlen und
hochweiſen Patricier, die einſt „das Reich von Aachen“ beherrſchten, ge-
boten jetzt überall die Präfecten und die Maires, des erſten Conſuls
unterthänige Diener. Jede Selbſtändigkeit der Gemeinden war dahin; doch
die neue Beamtenregierung zeigte ſich nicht nur rühriger, ſondern auch
ehrlicher und gerechter als die alte Vetternherrſchaft.

Wohl vertheidigten die Rheinländer ihre deutſche Sprache und Sitte
mit zähem Widerſtande gegen alle Verſuche gewaltſamer Verwälſchung.
Die willkürliche Unnatur der neuen Flußgrenze wurde ſchwer empfunden;
überall den Strom entlang führte das Volk den kleinen Krieg gegen die
verhaßten Zollwächter und ließ ſich den nachbarlichen Umgang mit den
rechtsrheiniſchen Landsleuten nicht verbieten. Man ſpürte jedoch bald, mit
wie feſten Banden ein kräftiger Staat ſeine Glieder zuſammenhält. Der
freie Handel mit dem weiten weſtlichen Hinterlande, die Vernichtung der
alten Zunft- und Bannrechte rief neue gewerbliche Unternehmungen, neue
Verkehrsverhältniſſe hervor; das gute Frankengeld, das ſeit Bonapartes
Beutezügen und Finanzreformen in Frankreich umlief, ſah ſich doch anders
an als die Petermännchen und Kaſtemännchen und das andere bunte
Münzengewirr der biſchöflichen Tage. Die Stämme am Mittel- und
Niederrhein ſind niemals ſo mit ganzem Herzen franzöſiſch geworden wie
das Soldatenvolk des Elſaſſes; der wachſende Steuerdruck und die furcht-
baren Menſchenopfer der napoleoniſchen Kriege ließen, trotz der Befreiung
des Ackerbaus und der Gewerbe, nicht einmal das Gefühl wirthſchaftlichen

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[174/0190] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. Deutſchland noch entbehrte. Durch ſie lernte das ſtaat- und waffenloſe Volk der Krummſtabslande zum erſten male den Kriegsruhm und das Selbſtgefühl eines großen Gemeinweſens kennen. Die durcheinander gewürfelten Gebiete von 97 Biſchöfen, Aebten, Fürſten, Grafen und Reichsſtädten und einer ungezählten Schaar Reichs- ritter wurden zu vier wohlabgerundeten Departements zuſammengeſchlagen. Eine ſtrenge Polizei jagte die Banden des Schinderhannes auseinander, brachte den Gebirgslanden der Eifel und des Hunsrückens einen Zuſtand friedlicher Sicherheit, den die Zeiten kleinſtaatlicher Ohnmacht nie gekannt. Die Aufhebung der Leibeigenſchaft wollte hier in den Landen alter Bauern- freiheit wenig bedeuten. Um ſo tiefer und heilſamer wirkte die Beſeitigung der feudalen Laſten und der hohen Kirchenzehnten, vornehmlich aber der Verkauf der Nationalgüter; auf den Trümmern der alten geiſtlichen Lati- fundien entſtand ein neuer wohlhäbiger Kleingrundbeſitz. Die Thore des Bonner Ghettos thaten ſich auf, die Proteſtanten von Köln und Aachen erbauten ſich ihre erſten Kirchen. Die öffentliche Rechtspflege der Schwur- gerichtshöfe verdrängte jene ungeheuerlichen Proceßformen, welche vordem von den dreizehn Gerichten der guten Stadt Köln, von den zahlloſen Tribu- nalen geiſtlicher und weltlicher Gerichtsherren gehandhabt wurden. Statt der verſchwiegerten und verſchwägerten Herren vom Rathe, denen das Volk den Spottnamen des Kölniſchen Klüngels anhing, ſtatt der hochedlen und hochweiſen Patricier, die einſt „das Reich von Aachen“ beherrſchten, ge- boten jetzt überall die Präfecten und die Maires, des erſten Conſuls unterthänige Diener. Jede Selbſtändigkeit der Gemeinden war dahin; doch die neue Beamtenregierung zeigte ſich nicht nur rühriger, ſondern auch ehrlicher und gerechter als die alte Vetternherrſchaft. Wohl vertheidigten die Rheinländer ihre deutſche Sprache und Sitte mit zähem Widerſtande gegen alle Verſuche gewaltſamer Verwälſchung. Die willkürliche Unnatur der neuen Flußgrenze wurde ſchwer empfunden; überall den Strom entlang führte das Volk den kleinen Krieg gegen die verhaßten Zollwächter und ließ ſich den nachbarlichen Umgang mit den rechtsrheiniſchen Landsleuten nicht verbieten. Man ſpürte jedoch bald, mit wie feſten Banden ein kräftiger Staat ſeine Glieder zuſammenhält. Der freie Handel mit dem weiten weſtlichen Hinterlande, die Vernichtung der alten Zunft- und Bannrechte rief neue gewerbliche Unternehmungen, neue Verkehrsverhältniſſe hervor; das gute Frankengeld, das ſeit Bonapartes Beutezügen und Finanzreformen in Frankreich umlief, ſah ſich doch anders an als die Petermännchen und Kaſtemännchen und das andere bunte Münzengewirr der biſchöflichen Tage. Die Stämme am Mittel- und Niederrhein ſind niemals ſo mit ganzem Herzen franzöſiſch geworden wie das Soldatenvolk des Elſaſſes; der wachſende Steuerdruck und die furcht- baren Menſchenopfer der napoleoniſchen Kriege ließen, trotz der Befreiung des Ackerbaus und der Gewerbe, nicht einmal das Gefühl wirthſchaftlichen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/190>, abgerufen am 19.04.2024.