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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
kämpfen des jüngsten Jahrzehntes völlig zerrüttete Handel und Wandel
erholte sich rasch, Dank der Rechtssicherheit und der freien Bewegung,
welche die neuen Gesetze den wirthschaftlichen Kräften gewährten. Doch
an dem anderen traurigen Vermächtniß der Revolution, an der geistigen
Verödung des französischen Lebens wollte und konnte der neue Herrscher
nichts ändern. Er rechnete nur mit dem gemeinen Ehrgeiz der Menschen;
alle Freiheit des Gedankens, alles selbständige Schaffen der Kunst und
Wissenschaft war ihm hohle Ideologie, halb lächerlich, halb furchtbar.

Also trat das seltsam zweischneidige System des Bonapartismus auf
die Bühne, an Selbstgefühl, Schlagfertigkeit und organisatorischer Kraft
vorderhand den verknöcherten Staaten der Nachbarlande noch weit über-
legen: ein Gebilde der Revolution, demokratisch von Grund aus, der
natürliche Gegner der historischen Staatsgewalten und Gesellschaftsformen
im alten Europa; aber auch despotisch von Grund aus, der geschworene
Feind aller Freiheit und nationalen Eigenart des Völkerlebens. Zunächst
mußte der Sieger des 18. Brumaire die Verluste des letzten Jahres
einbringen, den Besitzstand von Campo Formio wiederherstellen. Sein
genialer Versuch, die Seeherrschaft Englands durch einen Bund aller See-
mächte des Nordens und des Südens zu erschüttern, scheiterte gänzlich;
doch im Festlandskriege war ihm das Glück hold. Der theatralische Zug
über den St. Bernhard zeigte dem befriedigten Frankreich, daß Suworows
Lorbeeren für französische Soldaten nicht unerreichbar seien. Der Sieg
von Marengo brachte die Herrschaft über Italien wieder in Bonapartes
Hand; die Entlassung Thuguts ließ erkennen, daß die zähe Ausdauer des
Wiener Hofes zu erlahmen begann. Aber noch bedurfte es eines letzten
Schlages, der Schlacht von Hohenlinden, um das erschöpfte Oesterreich
zum Frieden zu bewegen. Am 9. Februar 1801 verkündete der Friede
von Luneville öffentlich und unzweideutig, was der Vertrag von Campo
Formio nur insgeheim und unklar bestimmt hatte: daß der Rhein fortan
Deutschlands Grenze sei. --

Ein Gebiet von 1150 Geviertmeilen und fast vier Millionen Ein-
wohnern war für Deutschland verloren, beinah ein Siebentel von der
Bevölkerung des alten Reichs, das ohne Schlesien auf 28 Millionen
Köpfe geschätzt wurde. Mit unheimlichem Kaltsinn ließ die deutsche Nation
den furchtbaren Schlag über sich ergehen. Kaum ein Laut vaterländischen
Zornes ward vernommen, als Mainz und Köln, Aachen und Trier, die
weiten schönen Heimathlande unserer ältesten Geschichte, an den Fremden
kamen; und wie viele bittere Thränen hatte einst das verkümmerte Ge-
schlecht des dreißigjährigen Kriegs um das eine Straßburg vergossen!

Es war die Schuld der Krummstabsregierung, daß die linksrheinischen
Lande ihrem Volke so fremd geworden. An Friedrichs Siegen und Goethes
Gedichten, an Allem, was dem neuen Deutschland das Leben erfüllte,
hatten die geistlichen Gebiete keinen Antheil genommen. Jetzt ertrugen

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
kämpfen des jüngſten Jahrzehntes völlig zerrüttete Handel und Wandel
erholte ſich raſch, Dank der Rechtsſicherheit und der freien Bewegung,
welche die neuen Geſetze den wirthſchaftlichen Kräften gewährten. Doch
an dem anderen traurigen Vermächtniß der Revolution, an der geiſtigen
Verödung des franzöſiſchen Lebens wollte und konnte der neue Herrſcher
nichts ändern. Er rechnete nur mit dem gemeinen Ehrgeiz der Menſchen;
alle Freiheit des Gedankens, alles ſelbſtändige Schaffen der Kunſt und
Wiſſenſchaft war ihm hohle Ideologie, halb lächerlich, halb furchtbar.

Alſo trat das ſeltſam zweiſchneidige Syſtem des Bonapartismus auf
die Bühne, an Selbſtgefühl, Schlagfertigkeit und organiſatoriſcher Kraft
vorderhand den verknöcherten Staaten der Nachbarlande noch weit über-
legen: ein Gebilde der Revolution, demokratiſch von Grund aus, der
natürliche Gegner der hiſtoriſchen Staatsgewalten und Geſellſchaftsformen
im alten Europa; aber auch despotiſch von Grund aus, der geſchworene
Feind aller Freiheit und nationalen Eigenart des Völkerlebens. Zunächſt
mußte der Sieger des 18. Brumaire die Verluſte des letzten Jahres
einbringen, den Beſitzſtand von Campo Formio wiederherſtellen. Sein
genialer Verſuch, die Seeherrſchaft Englands durch einen Bund aller See-
mächte des Nordens und des Südens zu erſchüttern, ſcheiterte gänzlich;
doch im Feſtlandskriege war ihm das Glück hold. Der theatraliſche Zug
über den St. Bernhard zeigte dem befriedigten Frankreich, daß Suworows
Lorbeeren für franzöſiſche Soldaten nicht unerreichbar ſeien. Der Sieg
von Marengo brachte die Herrſchaft über Italien wieder in Bonapartes
Hand; die Entlaſſung Thuguts ließ erkennen, daß die zähe Ausdauer des
Wiener Hofes zu erlahmen begann. Aber noch bedurfte es eines letzten
Schlages, der Schlacht von Hohenlinden, um das erſchöpfte Oeſterreich
zum Frieden zu bewegen. Am 9. Februar 1801 verkündete der Friede
von Luneville öffentlich und unzweideutig, was der Vertrag von Campo
Formio nur insgeheim und unklar beſtimmt hatte: daß der Rhein fortan
Deutſchlands Grenze ſei. —

Ein Gebiet von 1150 Geviertmeilen und faſt vier Millionen Ein-
wohnern war für Deutſchland verloren, beinah ein Siebentel von der
Bevölkerung des alten Reichs, das ohne Schleſien auf 28 Millionen
Köpfe geſchätzt wurde. Mit unheimlichem Kaltſinn ließ die deutſche Nation
den furchtbaren Schlag über ſich ergehen. Kaum ein Laut vaterländiſchen
Zornes ward vernommen, als Mainz und Köln, Aachen und Trier, die
weiten ſchönen Heimathlande unſerer älteſten Geſchichte, an den Fremden
kamen; und wie viele bittere Thränen hatte einſt das verkümmerte Ge-
ſchlecht des dreißigjährigen Kriegs um das eine Straßburg vergoſſen!

Es war die Schuld der Krummſtabsregierung, daß die linksrheiniſchen
Lande ihrem Volke ſo fremd geworden. An Friedrichs Siegen und Goethes
Gedichten, an Allem, was dem neuen Deutſchland das Leben erfüllte,
hatten die geiſtlichen Gebiete keinen Antheil genommen. Jetzt ertrugen

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[172/0188] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. kämpfen des jüngſten Jahrzehntes völlig zerrüttete Handel und Wandel erholte ſich raſch, Dank der Rechtsſicherheit und der freien Bewegung, welche die neuen Geſetze den wirthſchaftlichen Kräften gewährten. Doch an dem anderen traurigen Vermächtniß der Revolution, an der geiſtigen Verödung des franzöſiſchen Lebens wollte und konnte der neue Herrſcher nichts ändern. Er rechnete nur mit dem gemeinen Ehrgeiz der Menſchen; alle Freiheit des Gedankens, alles ſelbſtändige Schaffen der Kunſt und Wiſſenſchaft war ihm hohle Ideologie, halb lächerlich, halb furchtbar. Alſo trat das ſeltſam zweiſchneidige Syſtem des Bonapartismus auf die Bühne, an Selbſtgefühl, Schlagfertigkeit und organiſatoriſcher Kraft vorderhand den verknöcherten Staaten der Nachbarlande noch weit über- legen: ein Gebilde der Revolution, demokratiſch von Grund aus, der natürliche Gegner der hiſtoriſchen Staatsgewalten und Geſellſchaftsformen im alten Europa; aber auch despotiſch von Grund aus, der geſchworene Feind aller Freiheit und nationalen Eigenart des Völkerlebens. Zunächſt mußte der Sieger des 18. Brumaire die Verluſte des letzten Jahres einbringen, den Beſitzſtand von Campo Formio wiederherſtellen. Sein genialer Verſuch, die Seeherrſchaft Englands durch einen Bund aller See- mächte des Nordens und des Südens zu erſchüttern, ſcheiterte gänzlich; doch im Feſtlandskriege war ihm das Glück hold. Der theatraliſche Zug über den St. Bernhard zeigte dem befriedigten Frankreich, daß Suworows Lorbeeren für franzöſiſche Soldaten nicht unerreichbar ſeien. Der Sieg von Marengo brachte die Herrſchaft über Italien wieder in Bonapartes Hand; die Entlaſſung Thuguts ließ erkennen, daß die zähe Ausdauer des Wiener Hofes zu erlahmen begann. Aber noch bedurfte es eines letzten Schlages, der Schlacht von Hohenlinden, um das erſchöpfte Oeſterreich zum Frieden zu bewegen. Am 9. Februar 1801 verkündete der Friede von Luneville öffentlich und unzweideutig, was der Vertrag von Campo Formio nur insgeheim und unklar beſtimmt hatte: daß der Rhein fortan Deutſchlands Grenze ſei. — Ein Gebiet von 1150 Geviertmeilen und faſt vier Millionen Ein- wohnern war für Deutſchland verloren, beinah ein Siebentel von der Bevölkerung des alten Reichs, das ohne Schleſien auf 28 Millionen Köpfe geſchätzt wurde. Mit unheimlichem Kaltſinn ließ die deutſche Nation den furchtbaren Schlag über ſich ergehen. Kaum ein Laut vaterländiſchen Zornes ward vernommen, als Mainz und Köln, Aachen und Trier, die weiten ſchönen Heimathlande unſerer älteſten Geſchichte, an den Fremden kamen; und wie viele bittere Thränen hatte einſt das verkümmerte Ge- ſchlecht des dreißigjährigen Kriegs um das eine Straßburg vergoſſen! Es war die Schuld der Krummſtabsregierung, daß die linksrheiniſchen Lande ihrem Volke ſo fremd geworden. An Friedrichs Siegen und Goethes Gedichten, an Allem, was dem neuen Deutſchland das Leben erfüllte, hatten die geiſtlichen Gebiete keinen Antheil genommen. Jetzt ertrugen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/188>, abgerufen am 29.03.2024.