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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Wirren Europa entgegenging, wenn dies mächtigste von allen Kriegsbünd-
nissen der Gegenrevolution den Sieg errang.

Gleichwohl sprachen überwiegende Gründe für den Zutritt Preußens
zu dem Dreibunde. In der Absicht, den Fluthen der Welteroberung endlich
Schranken zu setzen, stimmten die Berliner Staatsmänner mit den drei
Mächten überein; Graf Haugwitz war über den Charakter der französischen
Politik endlich ins Klare gekommen. Und wenn jede der verbündeten
Mächte ihre Hintergedanken verfolgte, so konnte Preußen um so gewisser
durch entschlossenes Handeln seine deutsche Machtstellung befestigen. Eng-
land bereitete eine Landung an der holländischen Küste vor, Oesterreich
versammelte seine Heere in Oberdeutschland und Italien. Warf Preußen,
diesmal an seinen Ostgrenzen unbedroht, seine gesammten Streitkräfte in
die weite Lücke zwischen diesen beiden Kriegsschauplätzen, so ging nach
menschlichem Ermessen der ehrliche Herzenswunsch des jungen Königs, die
Wiedereroberung der Rheinlande, in Erfüllung, und der siegreiche Staat
erwarb sich durch deutsche Thaten die nordische Hegemonie, die er bisher
nur scheinbar besaß. Es war die Schuld des Königs und seiner alters-
schwachen Generale, daß die große Stunde unbenutzt blieb. Der zaudernde
Fürst hielt den Augenblick zur Niederwerfung der Revolution noch nicht
gekommen, er wollte die Ereignisse abwarten, seine Kräfte aufsparen für
eine mögliche letzte Entscheidung. Das ruheselige Norddeutschland stimmte
dem kleinmüthigen Entschlusse freudig zu; seine Fürsten und Stämme
segneten die Wiederkehr der Baseler Neutralitätspolitik.

So begann denn ohne Preußens Zuthun der ungeheure Kampf.
Die Schlacht von Abukir begründete die mediterranische Herrschaft der
Briten, vereitelte Bonapartes orientalische Pläne; Suworows Siege ent-
rissen Italien den Franzosen; Erzherzog Karl drang in Oberdeutschland
siegreich vorwärts, und abermals schloß sich die Bauerschaft des deutschen
Südens den kaiserlichen Truppen an. Das Gebiet der Republik lag offen
vor den Heeren der Coalition, aber nochmals wurde die Zwietracht der
Verbündeten die Rettung Frankreichs. Der Hochmuth der russischen Heer-
führer erschien der Hofburg ebenso unleidlich wie die ehrlich-fanatischen
Restaurationsgedanken des Czaren. Nicht auf die Herstellung der alten
Regierungen, sondern auf die Unterwerfung der Halbinsel war Thuguts
Sinn gerichtet; um für diese Pläne freie Hand zu behalten, sendete er
Suworow von der offenen Siegesstraße hinweg nach der Schweiz. Wäh-
rend der große Russe seinen heroischen und doch militärisch unfruchtbaren
Zug über die Alpen wagte, verlangte England den Abmarsch der Oester-
reicher nach dem Mittelrheine. Als das mit so glänzenden Hoffnungen
begonnene Jahr 1799 sich zum Ende neigte, ging der gewaltige Dreibund
in bitterem Unfrieden auseinander; der Czar rief seine Truppen heim,
von einer Bedrohung des Gebietes der Republik war keine Rede mehr.

Aber so tief waren die Gedanken der Welteroberung bereits in das

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Wirren Europa entgegenging, wenn dies mächtigſte von allen Kriegsbünd-
niſſen der Gegenrevolution den Sieg errang.

Gleichwohl ſprachen überwiegende Gründe für den Zutritt Preußens
zu dem Dreibunde. In der Abſicht, den Fluthen der Welteroberung endlich
Schranken zu ſetzen, ſtimmten die Berliner Staatsmänner mit den drei
Mächten überein; Graf Haugwitz war über den Charakter der franzöſiſchen
Politik endlich ins Klare gekommen. Und wenn jede der verbündeten
Mächte ihre Hintergedanken verfolgte, ſo konnte Preußen um ſo gewiſſer
durch entſchloſſenes Handeln ſeine deutſche Machtſtellung befeſtigen. Eng-
land bereitete eine Landung an der holländiſchen Küſte vor, Oeſterreich
verſammelte ſeine Heere in Oberdeutſchland und Italien. Warf Preußen,
diesmal an ſeinen Oſtgrenzen unbedroht, ſeine geſammten Streitkräfte in
die weite Lücke zwiſchen dieſen beiden Kriegsſchauplätzen, ſo ging nach
menſchlichem Ermeſſen der ehrliche Herzenswunſch des jungen Königs, die
Wiedereroberung der Rheinlande, in Erfüllung, und der ſiegreiche Staat
erwarb ſich durch deutſche Thaten die nordiſche Hegemonie, die er bisher
nur ſcheinbar beſaß. Es war die Schuld des Königs und ſeiner alters-
ſchwachen Generale, daß die große Stunde unbenutzt blieb. Der zaudernde
Fürſt hielt den Augenblick zur Niederwerfung der Revolution noch nicht
gekommen, er wollte die Ereigniſſe abwarten, ſeine Kräfte aufſparen für
eine mögliche letzte Entſcheidung. Das ruheſelige Norddeutſchland ſtimmte
dem kleinmüthigen Entſchluſſe freudig zu; ſeine Fürſten und Stämme
ſegneten die Wiederkehr der Baſeler Neutralitätspolitik.

So begann denn ohne Preußens Zuthun der ungeheure Kampf.
Die Schlacht von Abukir begründete die mediterraniſche Herrſchaft der
Briten, vereitelte Bonapartes orientaliſche Pläne; Suworows Siege ent-
riſſen Italien den Franzoſen; Erzherzog Karl drang in Oberdeutſchland
ſiegreich vorwärts, und abermals ſchloß ſich die Bauerſchaft des deutſchen
Südens den kaiſerlichen Truppen an. Das Gebiet der Republik lag offen
vor den Heeren der Coalition, aber nochmals wurde die Zwietracht der
Verbündeten die Rettung Frankreichs. Der Hochmuth der ruſſiſchen Heer-
führer erſchien der Hofburg ebenſo unleidlich wie die ehrlich-fanatiſchen
Reſtaurationsgedanken des Czaren. Nicht auf die Herſtellung der alten
Regierungen, ſondern auf die Unterwerfung der Halbinſel war Thuguts
Sinn gerichtet; um für dieſe Pläne freie Hand zu behalten, ſendete er
Suworow von der offenen Siegesſtraße hinweg nach der Schweiz. Wäh-
rend der große Ruſſe ſeinen heroiſchen und doch militäriſch unfruchtbaren
Zug über die Alpen wagte, verlangte England den Abmarſch der Oeſter-
reicher nach dem Mittelrheine. Als das mit ſo glänzenden Hoffnungen
begonnene Jahr 1799 ſich zum Ende neigte, ging der gewaltige Dreibund
in bitterem Unfrieden auseinander; der Czar rief ſeine Truppen heim,
von einer Bedrohung des Gebietes der Republik war keine Rede mehr.

Aber ſo tief waren die Gedanken der Welteroberung bereits in das

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[170/0186] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. Wirren Europa entgegenging, wenn dies mächtigſte von allen Kriegsbünd- niſſen der Gegenrevolution den Sieg errang. Gleichwohl ſprachen überwiegende Gründe für den Zutritt Preußens zu dem Dreibunde. In der Abſicht, den Fluthen der Welteroberung endlich Schranken zu ſetzen, ſtimmten die Berliner Staatsmänner mit den drei Mächten überein; Graf Haugwitz war über den Charakter der franzöſiſchen Politik endlich ins Klare gekommen. Und wenn jede der verbündeten Mächte ihre Hintergedanken verfolgte, ſo konnte Preußen um ſo gewiſſer durch entſchloſſenes Handeln ſeine deutſche Machtſtellung befeſtigen. Eng- land bereitete eine Landung an der holländiſchen Küſte vor, Oeſterreich verſammelte ſeine Heere in Oberdeutſchland und Italien. Warf Preußen, diesmal an ſeinen Oſtgrenzen unbedroht, ſeine geſammten Streitkräfte in die weite Lücke zwiſchen dieſen beiden Kriegsſchauplätzen, ſo ging nach menſchlichem Ermeſſen der ehrliche Herzenswunſch des jungen Königs, die Wiedereroberung der Rheinlande, in Erfüllung, und der ſiegreiche Staat erwarb ſich durch deutſche Thaten die nordiſche Hegemonie, die er bisher nur ſcheinbar beſaß. Es war die Schuld des Königs und ſeiner alters- ſchwachen Generale, daß die große Stunde unbenutzt blieb. Der zaudernde Fürſt hielt den Augenblick zur Niederwerfung der Revolution noch nicht gekommen, er wollte die Ereigniſſe abwarten, ſeine Kräfte aufſparen für eine mögliche letzte Entſcheidung. Das ruheſelige Norddeutſchland ſtimmte dem kleinmüthigen Entſchluſſe freudig zu; ſeine Fürſten und Stämme ſegneten die Wiederkehr der Baſeler Neutralitätspolitik. So begann denn ohne Preußens Zuthun der ungeheure Kampf. Die Schlacht von Abukir begründete die mediterraniſche Herrſchaft der Briten, vereitelte Bonapartes orientaliſche Pläne; Suworows Siege ent- riſſen Italien den Franzoſen; Erzherzog Karl drang in Oberdeutſchland ſiegreich vorwärts, und abermals ſchloß ſich die Bauerſchaft des deutſchen Südens den kaiſerlichen Truppen an. Das Gebiet der Republik lag offen vor den Heeren der Coalition, aber nochmals wurde die Zwietracht der Verbündeten die Rettung Frankreichs. Der Hochmuth der ruſſiſchen Heer- führer erſchien der Hofburg ebenſo unleidlich wie die ehrlich-fanatiſchen Reſtaurationsgedanken des Czaren. Nicht auf die Herſtellung der alten Regierungen, ſondern auf die Unterwerfung der Halbinſel war Thuguts Sinn gerichtet; um für dieſe Pläne freie Hand zu behalten, ſendete er Suworow von der offenen Siegesſtraße hinweg nach der Schweiz. Wäh- rend der große Ruſſe ſeinen heroiſchen und doch militäriſch unfruchtbaren Zug über die Alpen wagte, verlangte England den Abmarſch der Oeſter- reicher nach dem Mittelrheine. Als das mit ſo glänzenden Hoffnungen begonnene Jahr 1799 ſich zum Ende neigte, ging der gewaltige Dreibund in bitterem Unfrieden auseinander; der Czar rief ſeine Truppen heim, von einer Bedrohung des Gebietes der Republik war keine Rede mehr. Aber ſo tief waren die Gedanken der Welteroberung bereits in das

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/186>, abgerufen am 24.04.2024.