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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Krieg von 1796.
Helden der Schreckensherrschaft hatten sich einst vermessen, die Revolution
solle tiefe Furchen ziehen; und so war es geschehen, über alle Beschreibung
gräßlich. In den neun Jahren seit dem Bastillesturme waren zweiund-
zwanzigtausend dreihundert und einunddreißig neue Gesetze über das un-
glückliche Frankreich dahin gestürmt, jede Brücke zwischen der Vergangen-
heit und der Gegenwart zerstört, von allen Institutionen des bourbonischen
Staates keine einzige mehr übrig außer der Pariser Akademie. Ein volles
Drittel des französischen Bodens war seinen alten Eigenthümern gewalt-
sam entrissen. Dazu mehr als 47000 Millionen Franken entwertheten
Papiergeldes, dazu die völlige Verwirrung aller Besitzverhältnisse und die
langjährige Ausbeutung des Landes durch den praktischen Communismus
des Pariser Pöbels. Aller Wohlstand, alle Sicherheit des Rechtes war
dahin, und dahin auch aller Adel feiner Bildung. Auf den Altären der
geschändeten Kirchen thronte die Göttin der Vernunft; das geschmackvollste
Volk Europas verehrte die rothe Mütze der Züchtlinge des Bagnos als
das Sinnbild seiner neuen Freiheit und taufte die Tage des Kalenders
auf die Namen des Schweines, des Esels und der Kartoffel. Wohl hatte
die Guillotine endlich ihre entsetzliche Arbeit eingestellt, doch die grausamen
Strafgesetze gegen Priester und Emigranten wurden mit unversöhnlicher
Rachsucht aufrecht erhalten. Noch immer blieb die Habe und das bürger-
liche Dasein von Tausenden der unberechenbaren Willkür der herrschenden
Partei preisgegeben. Neun Jahre voll unerhörten Elends hatten den
letzten Funken des politischen Idealismus zertreten, den Kämpfen des
öffentlichen Lebens jeden Inhalt genommen; der Streit der Parteien war,
wie seitdem immer in Frankreich, nur noch ein Ringen um den Besitz
der Macht schlechthin.

Die französische Nation verlangte nach Frieden, nach rechtlicher
Sicherheit für die neue Vertheilung des Volksvermögens, nach Wiederher-
stellung der alten Kirche. Ließ man sie frei gewähren, so schien die Zurück-
berufung des alten Königshauses unausbleiblich, nicht weil das ermüdete
Volk noch irgend ein Gefühl dynastischer Treue gehegt hätte, sondern weil
die monarchische Ordnung ein Zeitalter friedlichen Wohlstandes zu ver-
sprechen schien. Das Heer allein bewahrte in der allgemeinen Zerrüttung
noch einige Mannszucht, in der allgemeinen Ermattung noch einigen sitt-
lichen Schwung; so viele verdiente und unverdiente Erfolge hatten den
kriegerischen Ehrgeiz, den Stolz auf die unbesiegte Tricolore, vornehmlich
unter den jungen Generalen, wach gerufen. Durch dies Heer, die einzige
geordnete und begeisterte Macht im neuen Frankreich, behaupteten die
radicalen Parteien des Convents ihre Herrschaft gegen den Willen der
Nation. General Bonaparte warf am 13. Vendemiaire 1795 den Auf-
stand der Royalisten nieder und erzwang, daß zwei Drittel der Mitglieder
des Convents in die Volksvertretung der neuen Directorialverfassung ein-
traten. Damit war die Fortdauer des Krieges abermals entschieden, denn

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Krieg von 1796.
Helden der Schreckensherrſchaft hatten ſich einſt vermeſſen, die Revolution
ſolle tiefe Furchen ziehen; und ſo war es geſchehen, über alle Beſchreibung
gräßlich. In den neun Jahren ſeit dem Baſtilleſturme waren zweiund-
zwanzigtauſend dreihundert und einunddreißig neue Geſetze über das un-
glückliche Frankreich dahin geſtürmt, jede Brücke zwiſchen der Vergangen-
heit und der Gegenwart zerſtört, von allen Inſtitutionen des bourboniſchen
Staates keine einzige mehr übrig außer der Pariſer Akademie. Ein volles
Drittel des franzöſiſchen Bodens war ſeinen alten Eigenthümern gewalt-
ſam entriſſen. Dazu mehr als 47000 Millionen Franken entwertheten
Papiergeldes, dazu die völlige Verwirrung aller Beſitzverhältniſſe und die
langjährige Ausbeutung des Landes durch den praktiſchen Communismus
des Pariſer Pöbels. Aller Wohlſtand, alle Sicherheit des Rechtes war
dahin, und dahin auch aller Adel feiner Bildung. Auf den Altären der
geſchändeten Kirchen thronte die Göttin der Vernunft; das geſchmackvollſte
Volk Europas verehrte die rothe Mütze der Züchtlinge des Bagnos als
das Sinnbild ſeiner neuen Freiheit und taufte die Tage des Kalenders
auf die Namen des Schweines, des Eſels und der Kartoffel. Wohl hatte
die Guillotine endlich ihre entſetzliche Arbeit eingeſtellt, doch die grauſamen
Strafgeſetze gegen Prieſter und Emigranten wurden mit unverſöhnlicher
Rachſucht aufrecht erhalten. Noch immer blieb die Habe und das bürger-
liche Daſein von Tauſenden der unberechenbaren Willkür der herrſchenden
Partei preisgegeben. Neun Jahre voll unerhörten Elends hatten den
letzten Funken des politiſchen Idealismus zertreten, den Kämpfen des
öffentlichen Lebens jeden Inhalt genommen; der Streit der Parteien war,
wie ſeitdem immer in Frankreich, nur noch ein Ringen um den Beſitz
der Macht ſchlechthin.

Die franzöſiſche Nation verlangte nach Frieden, nach rechtlicher
Sicherheit für die neue Vertheilung des Volksvermögens, nach Wiederher-
ſtellung der alten Kirche. Ließ man ſie frei gewähren, ſo ſchien die Zurück-
berufung des alten Königshauſes unausbleiblich, nicht weil das ermüdete
Volk noch irgend ein Gefühl dynaſtiſcher Treue gehegt hätte, ſondern weil
die monarchiſche Ordnung ein Zeitalter friedlichen Wohlſtandes zu ver-
ſprechen ſchien. Das Heer allein bewahrte in der allgemeinen Zerrüttung
noch einige Mannszucht, in der allgemeinen Ermattung noch einigen ſitt-
lichen Schwung; ſo viele verdiente und unverdiente Erfolge hatten den
kriegeriſchen Ehrgeiz, den Stolz auf die unbeſiegte Tricolore, vornehmlich
unter den jungen Generalen, wach gerufen. Durch dies Heer, die einzige
geordnete und begeiſterte Macht im neuen Frankreich, behaupteten die
radicalen Parteien des Convents ihre Herrſchaft gegen den Willen der
Nation. General Bonaparte warf am 13. Vendemiaire 1795 den Auf-
ſtand der Royaliſten nieder und erzwang, daß zwei Drittel der Mitglieder
des Convents in die Volksvertretung der neuen Directorialverfaſſung ein-
traten. Damit war die Fortdauer des Krieges abermals entſchieden, denn

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[163/0179] Krieg von 1796. Helden der Schreckensherrſchaft hatten ſich einſt vermeſſen, die Revolution ſolle tiefe Furchen ziehen; und ſo war es geſchehen, über alle Beſchreibung gräßlich. In den neun Jahren ſeit dem Baſtilleſturme waren zweiund- zwanzigtauſend dreihundert und einunddreißig neue Geſetze über das un- glückliche Frankreich dahin geſtürmt, jede Brücke zwiſchen der Vergangen- heit und der Gegenwart zerſtört, von allen Inſtitutionen des bourboniſchen Staates keine einzige mehr übrig außer der Pariſer Akademie. Ein volles Drittel des franzöſiſchen Bodens war ſeinen alten Eigenthümern gewalt- ſam entriſſen. Dazu mehr als 47000 Millionen Franken entwertheten Papiergeldes, dazu die völlige Verwirrung aller Beſitzverhältniſſe und die langjährige Ausbeutung des Landes durch den praktiſchen Communismus des Pariſer Pöbels. Aller Wohlſtand, alle Sicherheit des Rechtes war dahin, und dahin auch aller Adel feiner Bildung. Auf den Altären der geſchändeten Kirchen thronte die Göttin der Vernunft; das geſchmackvollſte Volk Europas verehrte die rothe Mütze der Züchtlinge des Bagnos als das Sinnbild ſeiner neuen Freiheit und taufte die Tage des Kalenders auf die Namen des Schweines, des Eſels und der Kartoffel. Wohl hatte die Guillotine endlich ihre entſetzliche Arbeit eingeſtellt, doch die grauſamen Strafgeſetze gegen Prieſter und Emigranten wurden mit unverſöhnlicher Rachſucht aufrecht erhalten. Noch immer blieb die Habe und das bürger- liche Daſein von Tauſenden der unberechenbaren Willkür der herrſchenden Partei preisgegeben. Neun Jahre voll unerhörten Elends hatten den letzten Funken des politiſchen Idealismus zertreten, den Kämpfen des öffentlichen Lebens jeden Inhalt genommen; der Streit der Parteien war, wie ſeitdem immer in Frankreich, nur noch ein Ringen um den Beſitz der Macht ſchlechthin. Die franzöſiſche Nation verlangte nach Frieden, nach rechtlicher Sicherheit für die neue Vertheilung des Volksvermögens, nach Wiederher- ſtellung der alten Kirche. Ließ man ſie frei gewähren, ſo ſchien die Zurück- berufung des alten Königshauſes unausbleiblich, nicht weil das ermüdete Volk noch irgend ein Gefühl dynaſtiſcher Treue gehegt hätte, ſondern weil die monarchiſche Ordnung ein Zeitalter friedlichen Wohlſtandes zu ver- ſprechen ſchien. Das Heer allein bewahrte in der allgemeinen Zerrüttung noch einige Mannszucht, in der allgemeinen Ermattung noch einigen ſitt- lichen Schwung; ſo viele verdiente und unverdiente Erfolge hatten den kriegeriſchen Ehrgeiz, den Stolz auf die unbeſiegte Tricolore, vornehmlich unter den jungen Generalen, wach gerufen. Durch dies Heer, die einzige geordnete und begeiſterte Macht im neuen Frankreich, behaupteten die radicalen Parteien des Convents ihre Herrſchaft gegen den Willen der Nation. General Bonaparte warf am 13. Vendemiaire 1795 den Auf- ſtand der Royaliſten nieder und erzwang, daß zwei Drittel der Mitglieder des Convents in die Volksvertretung der neuen Directorialverfaſſung ein- traten. Damit war die Fortdauer des Krieges abermals entſchieden, denn 11*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/179>, abgerufen am 23.04.2024.