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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Absichten des jungen Königs.
Wohl war es ein Segen für seine schwere, zum Trübsinn geneigte Natur,
daß er in den Armen eines heiteren und hochherzigen Weibes einmal
erwarmen und die ganze Lust des Lebens empfinden durfte; dennoch hat
das Glück der Ehe ihn, wie so viele germanische Gemüthsmenschen, eine
Zeit lang mehr gedrückt als gehoben. Er fand als junger Gatte an den
unschuldigen Freuden seines Hauses volles Genügen und widmete dem
Staate nur ehrlichen Fleiß, doch nicht jene Hingebung des ganzen Denkens,
die das Fürstenamt fordert; befangen in der unbewußten Selbstsucht der
Glücklichen, trat er ungern aus der reinen Luft seines Heimwesens hinaus
und begnügte sich, die Fäulniß, welche den Staat und die Gesellschaft
zerfraß, von seiner persönlichen Umgebung fern zu halten, statt sie nach
Königspflicht unbarmherzig zu bekämpfen.

Der Kronprinz wurde von seinem freimüthigen Lehrer Sack früh auf
den althohenzollernschen Gedanken der evangelischen Union hingewiesen,
an eine innige und doch freie Auffassung des christlichen Glaubens ge-
wöhnt. Er lernte durch Engel die philanthropischen Ideen des Zeitalters
der Aufklärung, durch Suarez die Staatslehren der Juristen des All-
gemeinen Landrechts kennen, bewährte sich in den Feldzügen am Rhein
und in Polen wie in den Friedensübungen als ein tapferer sachkundiger
Offizier. Aber -- wie oft hat er es selbst beklagt -- allen Staatsgeschäften
hielt man ihn fern. Als der Siebenundzwanzigjährige die Herrschaft an-
trat, stand er in einer fremden Welt, selber voll tiefer Ehrfurcht vor den
Werken seines Großoheims, umgeben von alten eigenrichtigen Herren, die
dem Schüchternen mit dem ganzen Dünkel fridericianischer Allwissenheit
begegneten. Nichts lag ihm ferner als eine phantastische Ueberschätzung
der königlichen Würde; wie der Name Staat aus den Gesetzen Friedrichs II.
allmählich in den Sprachgebrauch des Volks hinübergedrungen war, so
verstand es sich auch längst von selbst, daß jeder König von Preußen sein
hohes Amt als eine schwere politische Pflicht auffaßte. Der junge König
hatte ein warmes Herz für den geringen Mann, schlicht bürgerliche Nei-
gungen wie sein Urgroßvater, gar keine Vorliebe für den Adel; sein Wunsch
war, die von seinen Vorfahren seit hundert Jahren schrittweis vorbereitete
Befreiung des Landvolks zu vollenden. In demselben Sinne wie der
erste Friedrich Wilhelm konnte er sagen: "ich denke wie ein Republikaner."
Nicht als ob ihn die Ideen der französischen Revolution bezaubert hätten;
das blutige Schauspiel der gewaltsamen Volkserhebung blieb seiner Fried-
fertigkeit und seinem Rechtssinne gleich widerwärtig. Doch sein natür-
liches Billigkeitsgefühl, die Ueberlieferungen seines Hauses und die in
Suarez's Schule aufgenommenen politischen Gedanken drängten ihn auf
die Bahn der socialen Reformen. Menschenfreundlicher Sinn machte ihn
zum Freihändler, zum Gegner jener Gesetze, welche den kleinen Leuten
die Lebensbedürfnisse vertheuerten oder die Verwerthung der Arbeitskraft
erschwerten. Sein gesunder Verstand entdeckte bald fast alle die einzelnen

Abſichten des jungen Königs.
Wohl war es ein Segen für ſeine ſchwere, zum Trübſinn geneigte Natur,
daß er in den Armen eines heiteren und hochherzigen Weibes einmal
erwarmen und die ganze Luſt des Lebens empfinden durfte; dennoch hat
das Glück der Ehe ihn, wie ſo viele germaniſche Gemüthsmenſchen, eine
Zeit lang mehr gedrückt als gehoben. Er fand als junger Gatte an den
unſchuldigen Freuden ſeines Hauſes volles Genügen und widmete dem
Staate nur ehrlichen Fleiß, doch nicht jene Hingebung des ganzen Denkens,
die das Fürſtenamt fordert; befangen in der unbewußten Selbſtſucht der
Glücklichen, trat er ungern aus der reinen Luft ſeines Heimweſens hinaus
und begnügte ſich, die Fäulniß, welche den Staat und die Geſellſchaft
zerfraß, von ſeiner perſönlichen Umgebung fern zu halten, ſtatt ſie nach
Königspflicht unbarmherzig zu bekämpfen.

Der Kronprinz wurde von ſeinem freimüthigen Lehrer Sack früh auf
den althohenzollernſchen Gedanken der evangeliſchen Union hingewieſen,
an eine innige und doch freie Auffaſſung des chriſtlichen Glaubens ge-
wöhnt. Er lernte durch Engel die philanthropiſchen Ideen des Zeitalters
der Aufklärung, durch Suarez die Staatslehren der Juriſten des All-
gemeinen Landrechts kennen, bewährte ſich in den Feldzügen am Rhein
und in Polen wie in den Friedensübungen als ein tapferer ſachkundiger
Offizier. Aber — wie oft hat er es ſelbſt beklagt — allen Staatsgeſchäften
hielt man ihn fern. Als der Siebenundzwanzigjährige die Herrſchaft an-
trat, ſtand er in einer fremden Welt, ſelber voll tiefer Ehrfurcht vor den
Werken ſeines Großoheims, umgeben von alten eigenrichtigen Herren, die
dem Schüchternen mit dem ganzen Dünkel fridericianiſcher Allwiſſenheit
begegneten. Nichts lag ihm ferner als eine phantaſtiſche Ueberſchätzung
der königlichen Würde; wie der Name Staat aus den Geſetzen Friedrichs II.
allmählich in den Sprachgebrauch des Volks hinübergedrungen war, ſo
verſtand es ſich auch längſt von ſelbſt, daß jeder König von Preußen ſein
hohes Amt als eine ſchwere politiſche Pflicht auffaßte. Der junge König
hatte ein warmes Herz für den geringen Mann, ſchlicht bürgerliche Nei-
gungen wie ſein Urgroßvater, gar keine Vorliebe für den Adel; ſein Wunſch
war, die von ſeinen Vorfahren ſeit hundert Jahren ſchrittweis vorbereitete
Befreiung des Landvolks zu vollenden. In demſelben Sinne wie der
erſte Friedrich Wilhelm konnte er ſagen: „ich denke wie ein Republikaner.“
Nicht als ob ihn die Ideen der franzöſiſchen Revolution bezaubert hätten;
das blutige Schauſpiel der gewaltſamen Volkserhebung blieb ſeiner Fried-
fertigkeit und ſeinem Rechtsſinne gleich widerwärtig. Doch ſein natür-
liches Billigkeitsgefühl, die Ueberlieferungen ſeines Hauſes und die in
Suarez’s Schule aufgenommenen politiſchen Gedanken drängten ihn auf
die Bahn der ſocialen Reformen. Menſchenfreundlicher Sinn machte ihn
zum Freihändler, zum Gegner jener Geſetze, welche den kleinen Leuten
die Lebensbedürfniſſe vertheuerten oder die Verwerthung der Arbeitskraft
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[149/0165] Abſichten des jungen Königs. Wohl war es ein Segen für ſeine ſchwere, zum Trübſinn geneigte Natur, daß er in den Armen eines heiteren und hochherzigen Weibes einmal erwarmen und die ganze Luſt des Lebens empfinden durfte; dennoch hat das Glück der Ehe ihn, wie ſo viele germaniſche Gemüthsmenſchen, eine Zeit lang mehr gedrückt als gehoben. Er fand als junger Gatte an den unſchuldigen Freuden ſeines Hauſes volles Genügen und widmete dem Staate nur ehrlichen Fleiß, doch nicht jene Hingebung des ganzen Denkens, die das Fürſtenamt fordert; befangen in der unbewußten Selbſtſucht der Glücklichen, trat er ungern aus der reinen Luft ſeines Heimweſens hinaus und begnügte ſich, die Fäulniß, welche den Staat und die Geſellſchaft zerfraß, von ſeiner perſönlichen Umgebung fern zu halten, ſtatt ſie nach Königspflicht unbarmherzig zu bekämpfen. Der Kronprinz wurde von ſeinem freimüthigen Lehrer Sack früh auf den althohenzollernſchen Gedanken der evangeliſchen Union hingewieſen, an eine innige und doch freie Auffaſſung des chriſtlichen Glaubens ge- wöhnt. Er lernte durch Engel die philanthropiſchen Ideen des Zeitalters der Aufklärung, durch Suarez die Staatslehren der Juriſten des All- gemeinen Landrechts kennen, bewährte ſich in den Feldzügen am Rhein und in Polen wie in den Friedensübungen als ein tapferer ſachkundiger Offizier. Aber — wie oft hat er es ſelbſt beklagt — allen Staatsgeſchäften hielt man ihn fern. Als der Siebenundzwanzigjährige die Herrſchaft an- trat, ſtand er in einer fremden Welt, ſelber voll tiefer Ehrfurcht vor den Werken ſeines Großoheims, umgeben von alten eigenrichtigen Herren, die dem Schüchternen mit dem ganzen Dünkel fridericianiſcher Allwiſſenheit begegneten. Nichts lag ihm ferner als eine phantaſtiſche Ueberſchätzung der königlichen Würde; wie der Name Staat aus den Geſetzen Friedrichs II. allmählich in den Sprachgebrauch des Volks hinübergedrungen war, ſo verſtand es ſich auch längſt von ſelbſt, daß jeder König von Preußen ſein hohes Amt als eine ſchwere politiſche Pflicht auffaßte. Der junge König hatte ein warmes Herz für den geringen Mann, ſchlicht bürgerliche Nei- gungen wie ſein Urgroßvater, gar keine Vorliebe für den Adel; ſein Wunſch war, die von ſeinen Vorfahren ſeit hundert Jahren ſchrittweis vorbereitete Befreiung des Landvolks zu vollenden. In demſelben Sinne wie der erſte Friedrich Wilhelm konnte er ſagen: „ich denke wie ein Republikaner.“ Nicht als ob ihn die Ideen der franzöſiſchen Revolution bezaubert hätten; das blutige Schauſpiel der gewaltſamen Volkserhebung blieb ſeiner Fried- fertigkeit und ſeinem Rechtsſinne gleich widerwärtig. Doch ſein natür- liches Billigkeitsgefühl, die Ueberlieferungen ſeines Hauſes und die in Suarez’s Schule aufgenommenen politiſchen Gedanken drängten ihn auf die Bahn der ſocialen Reformen. Menſchenfreundlicher Sinn machte ihn zum Freihändler, zum Gegner jener Geſetze, welche den kleinen Leuten die Lebensbedürfniſſe vertheuerten oder die Verwerthung der Arbeitskraft erſchwerten. Sein geſunder Verſtand entdeckte bald faſt alle die einzelnen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/165>, abgerufen am 28.03.2024.