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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Bund der Kaiserhöfe gegen Preußen.
ankündigte; er sagte: "diese zwei Provinzen in Eurer Hand würden uns
mehr Noth machen als alle Demokratien der Welt." Rußland aber stand
auf Oesterreichs Seite; mit glücklichem Erfolg hatte Thugut seit andert-
halb Jahren um Katharinas Gunst geworben. Die beiden Kaiserhöfe
waren einig den preußischen Ehrgeiz mit jedem Mittel zu bändigen und
schlossen, da Preußen nicht nachgab, am 3. Januar 1795 ein geheimes
Kriegsbündniß gegen ihren Bundesgenossen. Der Vertrag bestimmte:
Theilung Polens dergestalt, daß Rußland und Oesterreich die Hauptmasse
erhalten, Preußen mit Warschau und einem schmalen Striche an der ost-
preußischen Grenze abgefunden wird. Außerdem ward ein umfassender
Eroberungsplan verabredet: Rußland soll in den Donauprovinzen eine
Secundogenitur gründen, Oesterreich erhält freie Hand zur Erwerbung
von Baiern, Bosnien und Serbien, sowie der venetianischen Republik;
ja die Kaiserin giebt im Voraus ihre Zustimmung zu allen anderen
Eroberungen, welche ihr Bundesgenosse noch für nöthig halten sollte;
widerspricht Preußen, so wird es mit Aufbietung aller Kraft durch die
Waffen gezwungen. Alle die vermessenen Wünsche Kaiser Josephs lebten
also wieder auf; an der unteren Donau, im Herzen Süddeutschlands und
vor Allem an der Adria dachte Thugut die Macht seines Staates zu er-
weitern, und Katharina ließ ihn gern gewähren, weil sie in dem allge-
meinen Umsturz das zweite große Ziel ihrer Staatskunst, die Herrschaft
über Byzanz zu erreichen hoffte.

Dahin also war der preußische Staat in den fünf Jahren seit dem
Reichenbacher Tage gelangt: die Seemächte und das deutsche Reich weigerten
ihm die Mittel zur Kriegführung, Rußland und Oesterreich bedrohten
ihn mit einem Angriff. Der Vertrag vom 3. Januar blieb in Berlin
noch mehrere Monate lang unbekannt, doch über die Gesinnungen der
Kaiserhöfe bestand kein Zweifel. Längst hatte Thugut in Böhmen Truppen
angesammelt um wider den preußischen Alliirten vorzubrechen. Konnte
Preußen, ohne Geldmittel wie man war, mit solchen Bundesgenossen den
französischen Krieg fortsetzen, dessen letzte Ziele in dem verworrenen Ränke-
spiele der Diplomatie immer dunkler und räthselhafter wurden? Sämmt-
liche Räthe des Königs verlangten schon längst Frieden oder Bündniß
mit Frankreich: auch der geistreiche Minister Hardenberg, der die fränkischen
Markgrafschaften durch eine treffliche Verwaltung für die Monarchie ge-
wonnen hatte und jetzt zuerst auf die auswärtige Politik einzuwirken an-
fing. Der Armee, selbst dem tapferen Blücher, war der Krieg an der
Seite der Oesterreicher gänzlich verleidet, nicht minder dem Volke, das
der Lorbeeren genug zu haben glaubte. Der junge Vincke sprach allen
aufgeklärten Preußen aus der Seele, wenn er bitter fragte: wie lange
wollen wir noch ein freiwilliges Opfer österreichischer Falschheit bleiben?
Hans von Held, die böseste Zunge der literarischen Opposition, mahnte
beweglich: "Friedrich Wilhelm, ruf' es wieder, ruf' dein tapfres Heer

Bund der Kaiſerhöfe gegen Preußen.
ankündigte; er ſagte: „dieſe zwei Provinzen in Eurer Hand würden uns
mehr Noth machen als alle Demokratien der Welt.“ Rußland aber ſtand
auf Oeſterreichs Seite; mit glücklichem Erfolg hatte Thugut ſeit andert-
halb Jahren um Katharinas Gunſt geworben. Die beiden Kaiſerhöfe
waren einig den preußiſchen Ehrgeiz mit jedem Mittel zu bändigen und
ſchloſſen, da Preußen nicht nachgab, am 3. Januar 1795 ein geheimes
Kriegsbündniß gegen ihren Bundesgenoſſen. Der Vertrag beſtimmte:
Theilung Polens dergeſtalt, daß Rußland und Oeſterreich die Hauptmaſſe
erhalten, Preußen mit Warſchau und einem ſchmalen Striche an der oſt-
preußiſchen Grenze abgefunden wird. Außerdem ward ein umfaſſender
Eroberungsplan verabredet: Rußland ſoll in den Donauprovinzen eine
Secundogenitur gründen, Oeſterreich erhält freie Hand zur Erwerbung
von Baiern, Bosnien und Serbien, ſowie der venetianiſchen Republik;
ja die Kaiſerin giebt im Voraus ihre Zuſtimmung zu allen anderen
Eroberungen, welche ihr Bundesgenoſſe noch für nöthig halten ſollte;
widerſpricht Preußen, ſo wird es mit Aufbietung aller Kraft durch die
Waffen gezwungen. Alle die vermeſſenen Wünſche Kaiſer Joſephs lebten
alſo wieder auf; an der unteren Donau, im Herzen Süddeutſchlands und
vor Allem an der Adria dachte Thugut die Macht ſeines Staates zu er-
weitern, und Katharina ließ ihn gern gewähren, weil ſie in dem allge-
meinen Umſturz das zweite große Ziel ihrer Staatskunſt, die Herrſchaft
über Byzanz zu erreichen hoffte.

Dahin alſo war der preußiſche Staat in den fünf Jahren ſeit dem
Reichenbacher Tage gelangt: die Seemächte und das deutſche Reich weigerten
ihm die Mittel zur Kriegführung, Rußland und Oeſterreich bedrohten
ihn mit einem Angriff. Der Vertrag vom 3. Januar blieb in Berlin
noch mehrere Monate lang unbekannt, doch über die Geſinnungen der
Kaiſerhöfe beſtand kein Zweifel. Längſt hatte Thugut in Böhmen Truppen
angeſammelt um wider den preußiſchen Alliirten vorzubrechen. Konnte
Preußen, ohne Geldmittel wie man war, mit ſolchen Bundesgenoſſen den
franzöſiſchen Krieg fortſetzen, deſſen letzte Ziele in dem verworrenen Ränke-
ſpiele der Diplomatie immer dunkler und räthſelhafter wurden? Sämmt-
liche Räthe des Königs verlangten ſchon längſt Frieden oder Bündniß
mit Frankreich: auch der geiſtreiche Miniſter Hardenberg, der die fränkiſchen
Markgrafſchaften durch eine treffliche Verwaltung für die Monarchie ge-
wonnen hatte und jetzt zuerſt auf die auswärtige Politik einzuwirken an-
fing. Der Armee, ſelbſt dem tapferen Blücher, war der Krieg an der
Seite der Oeſterreicher gänzlich verleidet, nicht minder dem Volke, das
der Lorbeeren genug zu haben glaubte. Der junge Vincke ſprach allen
aufgeklärten Preußen aus der Seele, wenn er bitter fragte: wie lange
wollen wir noch ein freiwilliges Opfer öſterreichiſcher Falſchheit bleiben?
Hans von Held, die böſeſte Zunge der literariſchen Oppoſition, mahnte
beweglich: „Friedrich Wilhelm, ruf’ es wieder, ruf’ dein tapfres Heer

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[137/0153] Bund der Kaiſerhöfe gegen Preußen. ankündigte; er ſagte: „dieſe zwei Provinzen in Eurer Hand würden uns mehr Noth machen als alle Demokratien der Welt.“ Rußland aber ſtand auf Oeſterreichs Seite; mit glücklichem Erfolg hatte Thugut ſeit andert- halb Jahren um Katharinas Gunſt geworben. Die beiden Kaiſerhöfe waren einig den preußiſchen Ehrgeiz mit jedem Mittel zu bändigen und ſchloſſen, da Preußen nicht nachgab, am 3. Januar 1795 ein geheimes Kriegsbündniß gegen ihren Bundesgenoſſen. Der Vertrag beſtimmte: Theilung Polens dergeſtalt, daß Rußland und Oeſterreich die Hauptmaſſe erhalten, Preußen mit Warſchau und einem ſchmalen Striche an der oſt- preußiſchen Grenze abgefunden wird. Außerdem ward ein umfaſſender Eroberungsplan verabredet: Rußland ſoll in den Donauprovinzen eine Secundogenitur gründen, Oeſterreich erhält freie Hand zur Erwerbung von Baiern, Bosnien und Serbien, ſowie der venetianiſchen Republik; ja die Kaiſerin giebt im Voraus ihre Zuſtimmung zu allen anderen Eroberungen, welche ihr Bundesgenoſſe noch für nöthig halten ſollte; widerſpricht Preußen, ſo wird es mit Aufbietung aller Kraft durch die Waffen gezwungen. Alle die vermeſſenen Wünſche Kaiſer Joſephs lebten alſo wieder auf; an der unteren Donau, im Herzen Süddeutſchlands und vor Allem an der Adria dachte Thugut die Macht ſeines Staates zu er- weitern, und Katharina ließ ihn gern gewähren, weil ſie in dem allge- meinen Umſturz das zweite große Ziel ihrer Staatskunſt, die Herrſchaft über Byzanz zu erreichen hoffte. Dahin alſo war der preußiſche Staat in den fünf Jahren ſeit dem Reichenbacher Tage gelangt: die Seemächte und das deutſche Reich weigerten ihm die Mittel zur Kriegführung, Rußland und Oeſterreich bedrohten ihn mit einem Angriff. Der Vertrag vom 3. Januar blieb in Berlin noch mehrere Monate lang unbekannt, doch über die Geſinnungen der Kaiſerhöfe beſtand kein Zweifel. Längſt hatte Thugut in Böhmen Truppen angeſammelt um wider den preußiſchen Alliirten vorzubrechen. Konnte Preußen, ohne Geldmittel wie man war, mit ſolchen Bundesgenoſſen den franzöſiſchen Krieg fortſetzen, deſſen letzte Ziele in dem verworrenen Ränke- ſpiele der Diplomatie immer dunkler und räthſelhafter wurden? Sämmt- liche Räthe des Königs verlangten ſchon längſt Frieden oder Bündniß mit Frankreich: auch der geiſtreiche Miniſter Hardenberg, der die fränkiſchen Markgrafſchaften durch eine treffliche Verwaltung für die Monarchie ge- wonnen hatte und jetzt zuerſt auf die auswärtige Politik einzuwirken an- fing. Der Armee, ſelbſt dem tapferen Blücher, war der Krieg an der Seite der Oeſterreicher gänzlich verleidet, nicht minder dem Volke, das der Lorbeeren genug zu haben glaubte. Der junge Vincke ſprach allen aufgeklärten Preußen aus der Seele, wenn er bitter fragte: wie lange wollen wir noch ein freiwilliges Opfer öſterreichiſcher Falſchheit bleiben? Hans von Held, die böſeſte Zunge der literariſchen Oppoſition, mahnte beweglich: „Friedrich Wilhelm, ruf’ es wieder, ruf’ dein tapfres Heer

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/153>, abgerufen am 25.04.2024.