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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Schülern der alten Kriegskunst sehr lästig; auch die Haltung der fran-
zösischen Mannschaften besserte sich etwas durch die lange Kriegsübung.

So erstarkte der Gegner; Preußen dagegen fand sich zu Anfang des
dritten Feldzugs völlig gelähmt durch die Erschöpfung der Geldmittel.
Sein Staatsschatz war nahezu geleert. Der König hatte schon im
zweiten Kriegsjahre englischer Hilfsgelder nicht entbehren können. Ihm
und seinem Heere allein verdankte das Reich die Wiedereroberung der
rheinischen Hauptfestung. Er erbot sich nun den Reichskrieg auch im
nächsten Jahre fortzuführen, wenn die übrigen Reichsstände, die bisher
für die Vertheidigung der Westgrenze kaum 20,000 Mann ins Feld ge-
stellt, ihm in seiner Geldnoth aushülfen und den Unterhalt seines Heeres
am Rheine übernähmen. Aber der Scharfblick des kleinfürstlichen Par-
ticularismus sah in dem preußischen Vorschlage das Wiederaufleben der
Ideen des Fürstenbundes. Zagheit und Selbstsucht überall; an manchen
Höfen schon offener Verrath, da Frankreich längst darauf hinarbeitete die
kleinen Herren unter seinen Einfluß zu bringen. Auch Oesterreich war
der Neuerung nicht günstig, die den König von Preußen als Reichsfeld-
herrn, seine Truppen als Reichsheer hätte erscheinen lassen. Selbst eine
Anleihe, welche Hardenberg von den kleinen Höfen des Westens zu er-
langen hoffte, brachte nur einen kaum nennenswerthen Ertrag. Von seinen
Mitständen verlassen entschloß sich Friedrich Wilhelm endlich, sein gesammtes
rheinisches Heer in den Sold der Seemächte zu geben. Dieses ohnehin
für eine Großmacht kaum erträgliche Verhältniß führte zu den ärgsten
Zwistigkeiten, da der Subsidienvertrag unklare, vieldeutige Sätze enthielt.
Die Seemächte meinten über die Truppen ihres Verbündeten willkürlich
verfügen zu können und wollten im Interesse ihrer Handelspolitik die
sämmtlichen Heere der Coalition in den Niederlanden versammeln. Preußen
aber behielt sich selber die Wahl des Kriegsschauplatzes vor und versuchte
nochmals die Reichsgrenze am Mittelrhein zu vertheidigen. Oesterreich
wiederum hoffte auf Eroberungen in Flandern und Lothringen. Feld-
marschall Möllendorf eröffnete den Feldzug durch einen zweiten Sieg bei
Kaiserslautern; nachdem er im Sommer aus dem Gebirge hatte zurück-
gehen müssen, drang er im Herbst wieder vor und die preußischen Regi-
menter behaupteten zum dritten male siegreich die blutgetränkten Höhen
an der Lauter. Auch in den Niederlanden fehlte es nicht an glänzenden
Kriegsthaten der norddeutschen Hilfsvölker; der heldenkühne Ausfall des
hannoverschen Hauptmanns Scharnhorst aus Menin bewies, daß die alte
deutsche Waffentüchtigkeit noch nicht erstorben war. Jedoch der Muth der
Einzelnen konnte nicht sühnen was die Schwäche der Heerführung und die
Zweideutigkeit der kaiserlichen Politik verdarben. Im October ging das
österreichische Heer aus Belgien über den Rhein zurück. Der Feind rückte
nach, besetzte das Rheinland bis nach Coblenz hinauf, und also im Rücken
bedroht mußten die Preußen jetzt ebenfalls das linke Ufer räumen.

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Schülern der alten Kriegskunſt ſehr läſtig; auch die Haltung der fran-
zöſiſchen Mannſchaften beſſerte ſich etwas durch die lange Kriegsübung.

So erſtarkte der Gegner; Preußen dagegen fand ſich zu Anfang des
dritten Feldzugs völlig gelähmt durch die Erſchöpfung der Geldmittel.
Sein Staatsſchatz war nahezu geleert. Der König hatte ſchon im
zweiten Kriegsjahre engliſcher Hilfsgelder nicht entbehren können. Ihm
und ſeinem Heere allein verdankte das Reich die Wiedereroberung der
rheiniſchen Hauptfeſtung. Er erbot ſich nun den Reichskrieg auch im
nächſten Jahre fortzuführen, wenn die übrigen Reichsſtände, die bisher
für die Vertheidigung der Weſtgrenze kaum 20,000 Mann ins Feld ge-
ſtellt, ihm in ſeiner Geldnoth aushülfen und den Unterhalt ſeines Heeres
am Rheine übernähmen. Aber der Scharfblick des kleinfürſtlichen Par-
ticularismus ſah in dem preußiſchen Vorſchlage das Wiederaufleben der
Ideen des Fürſtenbundes. Zagheit und Selbſtſucht überall; an manchen
Höfen ſchon offener Verrath, da Frankreich längſt darauf hinarbeitete die
kleinen Herren unter ſeinen Einfluß zu bringen. Auch Oeſterreich war
der Neuerung nicht günſtig, die den König von Preußen als Reichsfeld-
herrn, ſeine Truppen als Reichsheer hätte erſcheinen laſſen. Selbſt eine
Anleihe, welche Hardenberg von den kleinen Höfen des Weſtens zu er-
langen hoffte, brachte nur einen kaum nennenswerthen Ertrag. Von ſeinen
Mitſtänden verlaſſen entſchloß ſich Friedrich Wilhelm endlich, ſein geſammtes
rheiniſches Heer in den Sold der Seemächte zu geben. Dieſes ohnehin
für eine Großmacht kaum erträgliche Verhältniß führte zu den ärgſten
Zwiſtigkeiten, da der Subſidienvertrag unklare, vieldeutige Sätze enthielt.
Die Seemächte meinten über die Truppen ihres Verbündeten willkürlich
verfügen zu können und wollten im Intereſſe ihrer Handelspolitik die
ſämmtlichen Heere der Coalition in den Niederlanden verſammeln. Preußen
aber behielt ſich ſelber die Wahl des Kriegsſchauplatzes vor und verſuchte
nochmals die Reichsgrenze am Mittelrhein zu vertheidigen. Oeſterreich
wiederum hoffte auf Eroberungen in Flandern und Lothringen. Feld-
marſchall Möllendorf eröffnete den Feldzug durch einen zweiten Sieg bei
Kaiſerslautern; nachdem er im Sommer aus dem Gebirge hatte zurück-
gehen müſſen, drang er im Herbſt wieder vor und die preußiſchen Regi-
menter behaupteten zum dritten male ſiegreich die blutgetränkten Höhen
an der Lauter. Auch in den Niederlanden fehlte es nicht an glänzenden
Kriegsthaten der norddeutſchen Hilfsvölker; der heldenkühne Ausfall des
hannoverſchen Hauptmanns Scharnhorſt aus Menin bewies, daß die alte
deutſche Waffentüchtigkeit noch nicht erſtorben war. Jedoch der Muth der
Einzelnen konnte nicht ſühnen was die Schwäche der Heerführung und die
Zweideutigkeit der kaiſerlichen Politik verdarben. Im October ging das
öſterreichiſche Heer aus Belgien über den Rhein zurück. Der Feind rückte
nach, beſetzte das Rheinland bis nach Coblenz hinauf, und alſo im Rücken
bedroht mußten die Preußen jetzt ebenfalls das linke Ufer räumen.

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[134/0150] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. Schülern der alten Kriegskunſt ſehr läſtig; auch die Haltung der fran- zöſiſchen Mannſchaften beſſerte ſich etwas durch die lange Kriegsübung. So erſtarkte der Gegner; Preußen dagegen fand ſich zu Anfang des dritten Feldzugs völlig gelähmt durch die Erſchöpfung der Geldmittel. Sein Staatsſchatz war nahezu geleert. Der König hatte ſchon im zweiten Kriegsjahre engliſcher Hilfsgelder nicht entbehren können. Ihm und ſeinem Heere allein verdankte das Reich die Wiedereroberung der rheiniſchen Hauptfeſtung. Er erbot ſich nun den Reichskrieg auch im nächſten Jahre fortzuführen, wenn die übrigen Reichsſtände, die bisher für die Vertheidigung der Weſtgrenze kaum 20,000 Mann ins Feld ge- ſtellt, ihm in ſeiner Geldnoth aushülfen und den Unterhalt ſeines Heeres am Rheine übernähmen. Aber der Scharfblick des kleinfürſtlichen Par- ticularismus ſah in dem preußiſchen Vorſchlage das Wiederaufleben der Ideen des Fürſtenbundes. Zagheit und Selbſtſucht überall; an manchen Höfen ſchon offener Verrath, da Frankreich längſt darauf hinarbeitete die kleinen Herren unter ſeinen Einfluß zu bringen. Auch Oeſterreich war der Neuerung nicht günſtig, die den König von Preußen als Reichsfeld- herrn, ſeine Truppen als Reichsheer hätte erſcheinen laſſen. Selbſt eine Anleihe, welche Hardenberg von den kleinen Höfen des Weſtens zu er- langen hoffte, brachte nur einen kaum nennenswerthen Ertrag. Von ſeinen Mitſtänden verlaſſen entſchloß ſich Friedrich Wilhelm endlich, ſein geſammtes rheiniſches Heer in den Sold der Seemächte zu geben. Dieſes ohnehin für eine Großmacht kaum erträgliche Verhältniß führte zu den ärgſten Zwiſtigkeiten, da der Subſidienvertrag unklare, vieldeutige Sätze enthielt. Die Seemächte meinten über die Truppen ihres Verbündeten willkürlich verfügen zu können und wollten im Intereſſe ihrer Handelspolitik die ſämmtlichen Heere der Coalition in den Niederlanden verſammeln. Preußen aber behielt ſich ſelber die Wahl des Kriegsſchauplatzes vor und verſuchte nochmals die Reichsgrenze am Mittelrhein zu vertheidigen. Oeſterreich wiederum hoffte auf Eroberungen in Flandern und Lothringen. Feld- marſchall Möllendorf eröffnete den Feldzug durch einen zweiten Sieg bei Kaiſerslautern; nachdem er im Sommer aus dem Gebirge hatte zurück- gehen müſſen, drang er im Herbſt wieder vor und die preußiſchen Regi- menter behaupteten zum dritten male ſiegreich die blutgetränkten Höhen an der Lauter. Auch in den Niederlanden fehlte es nicht an glänzenden Kriegsthaten der norddeutſchen Hilfsvölker; der heldenkühne Ausfall des hannoverſchen Hauptmanns Scharnhorſt aus Menin bewies, daß die alte deutſche Waffentüchtigkeit noch nicht erſtorben war. Jedoch der Muth der Einzelnen konnte nicht ſühnen was die Schwäche der Heerführung und die Zweideutigkeit der kaiſerlichen Politik verdarben. Im October ging das öſterreichiſche Heer aus Belgien über den Rhein zurück. Der Feind rückte nach, beſetzte das Rheinland bis nach Coblenz hinauf, und alſo im Rücken bedroht mußten die Preußen jetzt ebenfalls das linke Ufer räumen.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/150>, abgerufen am 29.03.2024.