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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.

Frankreich war es, Frankreich allein, das Angesichts dieser fried-
fertigen Haltung der deutschen Mächte den Krieg erzwang. Das Grund-
gesetz der constitutionellen Monarchie war kaum vereinbart, so arbeiteten
die Doctrinäre der Gironde bereits an seiner Vernichtung; sie wollten die
Republik und erkannten rasch, daß eine Kriegserklärung gegen den Schwager
des Königs das Ansehen des Thrones unrettbar erschüttern, daß die letzten
armseligen Ueberreste des alten Königthums zusammenbrechen mußten,
sobald die Sturmfluth der revolutionären Propaganda über den Welt-
theil dahin fegte. Der Widerwille der ungeheuren Mehrheit der Nation
gegen die Republik sollte durch den Glanz kriegerischer Erfolge, durch das
alte theuere Traumgebilde der natürlichen Grenzen beschwichtigt, die Geld-
noth des Staates durch einen großen Beutezug geheilt werden. Bei dem
reizbaren Stolze der tief erregten Nation und ihrer gründlichen Unkennt-
niß ausländischer Zustände fiel es der wilden Rhetorik der Brissot, Guadet
und Gensonne nicht schwer, aus Wahrem und Falschem ein kunstvolles
Trugbild zu weben, die thörichten Briefe des unglücklichen Hofes, den
offenen Verrath der Emigranten in Zusammenhang zu bringen mit den
unvorsichtigen Worten der Erklärungen von Padua und Pillnitz. Das
Volk begann zu glauben, daß seine neue Freiheit durch eine finstere Ver-
schwörung aller alten Mächte gefährdet sei, daß man das Schwert ziehen
müsse um das Recht der nationalen Selbstbestimmung gegen die Vor-
mundschaft Europas zu wahren. Derweil die kriegerische Stimmung in
der Gesetzgebenden Versammlung von Tag zu Tage wuchs, zeigte man in
den Verhandlungen mit dem Kaiser schnöden Uebermuth, bot den Reichs-
ständen im Elsaß nicht einmal eine bestimmte Entschädigung. Dann
forderte das Haus, hingerissen von den flammenden Reden der Gironde,
die feierliche Erklärung des Kaisers, daß er den Plan einer europäischen
Vereinigung aufgebe und, gemäß den alten Bundesverträgen der Bour-
bonen, Frankreich zu unterstützen bereit sei -- bei Strafe sofortigen Krieges.
Da Leopold eine würdige maßvolle Antwort gab, wurde am 20. April
1792 der Krieg gegen Oesterreich erklärt. Frevelhafter waren selbst die
Raubzüge Ludwigs XIV. nicht begonnen worden als dieser Kampf, der
nach allem menschlichen Ermessen das ungerüstete Frankreich in schimpf-
liche Niederlagen stürzen mußte. Eine doctrinäre Rede Condorcets ver-
kündete sodann der Welt, wie das Princip der republikanischen Freiheit sich
gegen den Despotismus erhebe. Dem gesammten alten Europa ward der
Handschuh hingeworfen; für Preußen aber trat der Wiener Vertrag in
Kraft, der unterdessen durch ein förmliches Vertheidigungsbündniß ergänzt
worden war.

Der Krieg wurde den deutschen Mächten aufgedrungen. Fast im
selben Augenblicke rückten die russischen Truppen jeden Widerstand nieder-
schmetternd in Polen ein, der Wille der Czarin gebot an der Weichsel.
Wieder wie so oft schon befand sich die centrale Macht des Festlandes

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Frankreich war es, Frankreich allein, das Angeſichts dieſer fried-
fertigen Haltung der deutſchen Mächte den Krieg erzwang. Das Grund-
geſetz der conſtitutionellen Monarchie war kaum vereinbart, ſo arbeiteten
die Doctrinäre der Gironde bereits an ſeiner Vernichtung; ſie wollten die
Republik und erkannten raſch, daß eine Kriegserklärung gegen den Schwager
des Königs das Anſehen des Thrones unrettbar erſchüttern, daß die letzten
armſeligen Ueberreſte des alten Königthums zuſammenbrechen mußten,
ſobald die Sturmfluth der revolutionären Propaganda über den Welt-
theil dahin fegte. Der Widerwille der ungeheuren Mehrheit der Nation
gegen die Republik ſollte durch den Glanz kriegeriſcher Erfolge, durch das
alte theuere Traumgebilde der natürlichen Grenzen beſchwichtigt, die Geld-
noth des Staates durch einen großen Beutezug geheilt werden. Bei dem
reizbaren Stolze der tief erregten Nation und ihrer gründlichen Unkennt-
niß ausländiſcher Zuſtände fiel es der wilden Rhetorik der Briſſot, Guadet
und Genſonné nicht ſchwer, aus Wahrem und Falſchem ein kunſtvolles
Trugbild zu weben, die thörichten Briefe des unglücklichen Hofes, den
offenen Verrath der Emigranten in Zuſammenhang zu bringen mit den
unvorſichtigen Worten der Erklärungen von Padua und Pillnitz. Das
Volk begann zu glauben, daß ſeine neue Freiheit durch eine finſtere Ver-
ſchwörung aller alten Mächte gefährdet ſei, daß man das Schwert ziehen
müſſe um das Recht der nationalen Selbſtbeſtimmung gegen die Vor-
mundſchaft Europas zu wahren. Derweil die kriegeriſche Stimmung in
der Geſetzgebenden Verſammlung von Tag zu Tage wuchs, zeigte man in
den Verhandlungen mit dem Kaiſer ſchnöden Uebermuth, bot den Reichs-
ſtänden im Elſaß nicht einmal eine beſtimmte Entſchädigung. Dann
forderte das Haus, hingeriſſen von den flammenden Reden der Gironde,
die feierliche Erklärung des Kaiſers, daß er den Plan einer europäiſchen
Vereinigung aufgebe und, gemäß den alten Bundesverträgen der Bour-
bonen, Frankreich zu unterſtützen bereit ſei — bei Strafe ſofortigen Krieges.
Da Leopold eine würdige maßvolle Antwort gab, wurde am 20. April
1792 der Krieg gegen Oeſterreich erklärt. Frevelhafter waren ſelbſt die
Raubzüge Ludwigs XIV. nicht begonnen worden als dieſer Kampf, der
nach allem menſchlichen Ermeſſen das ungerüſtete Frankreich in ſchimpf-
liche Niederlagen ſtürzen mußte. Eine doctrinäre Rede Condorcets ver-
kündete ſodann der Welt, wie das Princip der republikaniſchen Freiheit ſich
gegen den Despotismus erhebe. Dem geſammten alten Europa ward der
Handſchuh hingeworfen; für Preußen aber trat der Wiener Vertrag in
Kraft, der unterdeſſen durch ein förmliches Vertheidigungsbündniß ergänzt
worden war.

Der Krieg wurde den deutſchen Mächten aufgedrungen. Faſt im
ſelben Augenblicke rückten die ruſſiſchen Truppen jeden Widerſtand nieder-
ſchmetternd in Polen ein, der Wille der Czarin gebot an der Weichſel.
Wieder wie ſo oft ſchon befand ſich die centrale Macht des Feſtlandes

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[124/0140] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. Frankreich war es, Frankreich allein, das Angeſichts dieſer fried- fertigen Haltung der deutſchen Mächte den Krieg erzwang. Das Grund- geſetz der conſtitutionellen Monarchie war kaum vereinbart, ſo arbeiteten die Doctrinäre der Gironde bereits an ſeiner Vernichtung; ſie wollten die Republik und erkannten raſch, daß eine Kriegserklärung gegen den Schwager des Königs das Anſehen des Thrones unrettbar erſchüttern, daß die letzten armſeligen Ueberreſte des alten Königthums zuſammenbrechen mußten, ſobald die Sturmfluth der revolutionären Propaganda über den Welt- theil dahin fegte. Der Widerwille der ungeheuren Mehrheit der Nation gegen die Republik ſollte durch den Glanz kriegeriſcher Erfolge, durch das alte theuere Traumgebilde der natürlichen Grenzen beſchwichtigt, die Geld- noth des Staates durch einen großen Beutezug geheilt werden. Bei dem reizbaren Stolze der tief erregten Nation und ihrer gründlichen Unkennt- niß ausländiſcher Zuſtände fiel es der wilden Rhetorik der Briſſot, Guadet und Genſonné nicht ſchwer, aus Wahrem und Falſchem ein kunſtvolles Trugbild zu weben, die thörichten Briefe des unglücklichen Hofes, den offenen Verrath der Emigranten in Zuſammenhang zu bringen mit den unvorſichtigen Worten der Erklärungen von Padua und Pillnitz. Das Volk begann zu glauben, daß ſeine neue Freiheit durch eine finſtere Ver- ſchwörung aller alten Mächte gefährdet ſei, daß man das Schwert ziehen müſſe um das Recht der nationalen Selbſtbeſtimmung gegen die Vor- mundſchaft Europas zu wahren. Derweil die kriegeriſche Stimmung in der Geſetzgebenden Verſammlung von Tag zu Tage wuchs, zeigte man in den Verhandlungen mit dem Kaiſer ſchnöden Uebermuth, bot den Reichs- ſtänden im Elſaß nicht einmal eine beſtimmte Entſchädigung. Dann forderte das Haus, hingeriſſen von den flammenden Reden der Gironde, die feierliche Erklärung des Kaiſers, daß er den Plan einer europäiſchen Vereinigung aufgebe und, gemäß den alten Bundesverträgen der Bour- bonen, Frankreich zu unterſtützen bereit ſei — bei Strafe ſofortigen Krieges. Da Leopold eine würdige maßvolle Antwort gab, wurde am 20. April 1792 der Krieg gegen Oeſterreich erklärt. Frevelhafter waren ſelbſt die Raubzüge Ludwigs XIV. nicht begonnen worden als dieſer Kampf, der nach allem menſchlichen Ermeſſen das ungerüſtete Frankreich in ſchimpf- liche Niederlagen ſtürzen mußte. Eine doctrinäre Rede Condorcets ver- kündete ſodann der Welt, wie das Princip der republikaniſchen Freiheit ſich gegen den Despotismus erhebe. Dem geſammten alten Europa ward der Handſchuh hingeworfen; für Preußen aber trat der Wiener Vertrag in Kraft, der unterdeſſen durch ein förmliches Vertheidigungsbündniß ergänzt worden war. Der Krieg wurde den deutſchen Mächten aufgedrungen. Faſt im ſelben Augenblicke rückten die ruſſiſchen Truppen jeden Widerſtand nieder- ſchmetternd in Polen ein, der Wille der Czarin gebot an der Weichſel. Wieder wie ſo oft ſchon befand ſich die centrale Macht des Feſtlandes

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/140>, abgerufen am 24.04.2024.