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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Drohende Verwicklung mit Frankreich.
Herrenalb durch ihre Unterthanen aus dem Lande gejagt, ihrer Genossin
in Elten der Eid verweigert wurde. Kleine Bauernunruhen brachen
aus im Trierschen, in den Herrschaften einiger Reichsritter und vor
Allem in Speyer, dem verrufensten der deutschen Bisthümer, wo seit den
Zeiten des Bauernkrieges eine harte Pfaffenherrschaft schaltete und die
Gesetztafel für die weltliche Dienerschaft den Beamten "die Erfüllung des
Willens des Herrn, somit das gemeine Beste" als höchstes Ziel vorhielt.
In Mecklenburg rotteten sich mißhandelte Fröhner zusammen und drohten:
"den Edelmann wille wi dodslagen." Die armseligen örtlichen Zänkereien,
welche den meisten Reichsstädten die Würze des Lebens bildeten, zeigten
neuerdings einen ungewohnt gehässigen Ton; die Sprache gegen die Obrig-
keit ward etwas lauter und schärfer; die geistlichen Fürsten den Rhein
entlang erließen schon in ihrer Herzensangst gestrenge Strafmandate wider
die Aufsässigkeit der Unterthanen.

Das Alles bedeutete wenig; der politische Schlummer war in Wahr-
heit nirgends im Reiche so tief wie hier, auch die literarische Bewegung
des evangelischen Deutschlands hatte das verkommene Völkchen der Krumm-
stabslande noch kaum berührt. Aber wenn ein Umsturz von unten her
nicht drohte, wenn selbst Forster in den Tagen seiner radicalen Schwärmerei
gestehen mußte, dies Deutschland sei für eine Revolution nicht reif, so
fehlte doch dem halt- und waffenlosen Kleinstaatenthum auch jede Kraft
des Widerstands gegen fremde Gewalt. Die erstorbenen Glieder des Reichs
waren Frankreichs Nachbarn, seit zwei Jahrhunderten gewohnt den Macht-
geboten des Versailler Hofes sich zu beugen; sie lagen im Gemenge mit
den Gebieten der lebenskräftigeren weltlichen Staaten. Versuchte das
revolutionäre Frankreich die alte Herrscherstellung der Bourbonen am
deutschen Rhein in neuen Formen gewaltsam herzustellen, so konnte das
stiftische Deutschland leicht mit einem Schlage zusammenbrechen, die letzten
Trümmer des heiligen Reichs im Sturze mit sich niederreißen.

Und solche Gefahr drohte schon seit den ersten, den sogenannten un-
schuldigen Tagen der Revolution. Es war die Größe und der Fluch dieser
Bewegung, daß sie über Frankreichs Grenzen hinausfluthen mußte. Der
gräßliche Bauernkrieg des Sommers 1789 und die neuen Gesetze, welche
das Ergebniß dieser Massenbewegung anerkannten, verwirklichten nur eine
Welt von Wünschen und Gedanken, welche das ganze Jahrhundert hin-
durch über alle Völker des Westens sich verbreitet hatten; was Wunder,
daß die französische Nation sich jetzt als das Messias-Volk der Freiheit
fühlte. Sie schrieb den furchtbar plötzlichen Zusammenbruch des bourbo-
nischen Staates nicht der Thatsache zu, daß die alte Ordnung in Frank-
reich noch ungleich verfaulter war als in den Nachbarlanden, sondern der
Ueberlegenheit des französischen Genies. Der Unwille über die tief ge-
sunkene europäische Machtstellung des Staates war unter den Ursachen
der Revolution nicht die schwächste gewesen; nun, da die Kraft dieses

Drohende Verwicklung mit Frankreich.
Herrenalb durch ihre Unterthanen aus dem Lande gejagt, ihrer Genoſſin
in Elten der Eid verweigert wurde. Kleine Bauernunruhen brachen
aus im Trierſchen, in den Herrſchaften einiger Reichsritter und vor
Allem in Speyer, dem verrufenſten der deutſchen Bisthümer, wo ſeit den
Zeiten des Bauernkrieges eine harte Pfaffenherrſchaft ſchaltete und die
Geſetztafel für die weltliche Dienerſchaft den Beamten „die Erfüllung des
Willens des Herrn, ſomit das gemeine Beſte“ als höchſtes Ziel vorhielt.
In Mecklenburg rotteten ſich mißhandelte Fröhner zuſammen und drohten:
„den Edelmann wille wi dodſlagen.“ Die armſeligen örtlichen Zänkereien,
welche den meiſten Reichsſtädten die Würze des Lebens bildeten, zeigten
neuerdings einen ungewohnt gehäſſigen Ton; die Sprache gegen die Obrig-
keit ward etwas lauter und ſchärfer; die geiſtlichen Fürſten den Rhein
entlang erließen ſchon in ihrer Herzensangſt geſtrenge Strafmandate wider
die Aufſäſſigkeit der Unterthanen.

Das Alles bedeutete wenig; der politiſche Schlummer war in Wahr-
heit nirgends im Reiche ſo tief wie hier, auch die literariſche Bewegung
des evangeliſchen Deutſchlands hatte das verkommene Völkchen der Krumm-
ſtabslande noch kaum berührt. Aber wenn ein Umſturz von unten her
nicht drohte, wenn ſelbſt Forſter in den Tagen ſeiner radicalen Schwärmerei
geſtehen mußte, dies Deutſchland ſei für eine Revolution nicht reif, ſo
fehlte doch dem halt- und waffenloſen Kleinſtaatenthum auch jede Kraft
des Widerſtands gegen fremde Gewalt. Die erſtorbenen Glieder des Reichs
waren Frankreichs Nachbarn, ſeit zwei Jahrhunderten gewohnt den Macht-
geboten des Verſailler Hofes ſich zu beugen; ſie lagen im Gemenge mit
den Gebieten der lebenskräftigeren weltlichen Staaten. Verſuchte das
revolutionäre Frankreich die alte Herrſcherſtellung der Bourbonen am
deutſchen Rhein in neuen Formen gewaltſam herzuſtellen, ſo konnte das
ſtiftiſche Deutſchland leicht mit einem Schlage zuſammenbrechen, die letzten
Trümmer des heiligen Reichs im Sturze mit ſich niederreißen.

Und ſolche Gefahr drohte ſchon ſeit den erſten, den ſogenannten un-
ſchuldigen Tagen der Revolution. Es war die Größe und der Fluch dieſer
Bewegung, daß ſie über Frankreichs Grenzen hinausfluthen mußte. Der
gräßliche Bauernkrieg des Sommers 1789 und die neuen Geſetze, welche
das Ergebniß dieſer Maſſenbewegung anerkannten, verwirklichten nur eine
Welt von Wünſchen und Gedanken, welche das ganze Jahrhundert hin-
durch über alle Völker des Weſtens ſich verbreitet hatten; was Wunder,
daß die franzöſiſche Nation ſich jetzt als das Meſſias-Volk der Freiheit
fühlte. Sie ſchrieb den furchtbar plötzlichen Zuſammenbruch des bourbo-
niſchen Staates nicht der Thatſache zu, daß die alte Ordnung in Frank-
reich noch ungleich verfaulter war als in den Nachbarlanden, ſondern der
Ueberlegenheit des franzöſiſchen Genies. Der Unwille über die tief ge-
ſunkene europäiſche Machtſtellung des Staates war unter den Urſachen
der Revolution nicht die ſchwächſte geweſen; nun, da die Kraft dieſes

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[119/0135] Drohende Verwicklung mit Frankreich. Herrenalb durch ihre Unterthanen aus dem Lande gejagt, ihrer Genoſſin in Elten der Eid verweigert wurde. Kleine Bauernunruhen brachen aus im Trierſchen, in den Herrſchaften einiger Reichsritter und vor Allem in Speyer, dem verrufenſten der deutſchen Bisthümer, wo ſeit den Zeiten des Bauernkrieges eine harte Pfaffenherrſchaft ſchaltete und die Geſetztafel für die weltliche Dienerſchaft den Beamten „die Erfüllung des Willens des Herrn, ſomit das gemeine Beſte“ als höchſtes Ziel vorhielt. In Mecklenburg rotteten ſich mißhandelte Fröhner zuſammen und drohten: „den Edelmann wille wi dodſlagen.“ Die armſeligen örtlichen Zänkereien, welche den meiſten Reichsſtädten die Würze des Lebens bildeten, zeigten neuerdings einen ungewohnt gehäſſigen Ton; die Sprache gegen die Obrig- keit ward etwas lauter und ſchärfer; die geiſtlichen Fürſten den Rhein entlang erließen ſchon in ihrer Herzensangſt geſtrenge Strafmandate wider die Aufſäſſigkeit der Unterthanen. Das Alles bedeutete wenig; der politiſche Schlummer war in Wahr- heit nirgends im Reiche ſo tief wie hier, auch die literariſche Bewegung des evangeliſchen Deutſchlands hatte das verkommene Völkchen der Krumm- ſtabslande noch kaum berührt. Aber wenn ein Umſturz von unten her nicht drohte, wenn ſelbſt Forſter in den Tagen ſeiner radicalen Schwärmerei geſtehen mußte, dies Deutſchland ſei für eine Revolution nicht reif, ſo fehlte doch dem halt- und waffenloſen Kleinſtaatenthum auch jede Kraft des Widerſtands gegen fremde Gewalt. Die erſtorbenen Glieder des Reichs waren Frankreichs Nachbarn, ſeit zwei Jahrhunderten gewohnt den Macht- geboten des Verſailler Hofes ſich zu beugen; ſie lagen im Gemenge mit den Gebieten der lebenskräftigeren weltlichen Staaten. Verſuchte das revolutionäre Frankreich die alte Herrſcherſtellung der Bourbonen am deutſchen Rhein in neuen Formen gewaltſam herzuſtellen, ſo konnte das ſtiftiſche Deutſchland leicht mit einem Schlage zuſammenbrechen, die letzten Trümmer des heiligen Reichs im Sturze mit ſich niederreißen. Und ſolche Gefahr drohte ſchon ſeit den erſten, den ſogenannten un- ſchuldigen Tagen der Revolution. Es war die Größe und der Fluch dieſer Bewegung, daß ſie über Frankreichs Grenzen hinausfluthen mußte. Der gräßliche Bauernkrieg des Sommers 1789 und die neuen Geſetze, welche das Ergebniß dieſer Maſſenbewegung anerkannten, verwirklichten nur eine Welt von Wünſchen und Gedanken, welche das ganze Jahrhundert hin- durch über alle Völker des Weſtens ſich verbreitet hatten; was Wunder, daß die franzöſiſche Nation ſich jetzt als das Meſſias-Volk der Freiheit fühlte. Sie ſchrieb den furchtbar plötzlichen Zuſammenbruch des bourbo- niſchen Staates nicht der Thatſache zu, daß die alte Ordnung in Frank- reich noch ungleich verfaulter war als in den Nachbarlanden, ſondern der Ueberlegenheit des franzöſiſchen Genies. Der Unwille über die tief ge- ſunkene europäiſche Machtſtellung des Staates war unter den Urſachen der Revolution nicht die ſchwächſte geweſen; nun, da die Kraft dieſes

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/135>, abgerufen am 24.04.2024.