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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Klopstock. Winkelmann.
funden, schuf sich hier endlich eine würdige poetische Form; die ernüch-
terte Sprache gewann Schwung, Adel, Kühnheit; die ganze Welt des
Erhabenen wurde der deutschen Phantasie von Neuem aufgethan. Merk-
würdig schnell begriff die Nation, ein neues Zeitalter ihrer Bildung sei
angebrochen. Ein Schwarm von jungen Talenten drängte sich um den
Sänger, der auch in seiner persönlichen Haltung die Hoheit der neuen
Kunst stattlich vertrat, und erging sich in der naiven Selbstüberhebung,
die allen kräftig aufsteigenden Epochen eigenthümlich ist, stellte das Epos
des deutschen Meisters über Homer, seine Oden über Pindar. Eine
phantastische Schwärmerei für das Vaterland berauschte diese Dichterkreise
und ist von da, langsam aber mächtig fortwirkend, bis in die untersten
Schichten des deutschen Mittelstandes hinabgedrungen. Wie jede Nation,
wenn sie in einen Wendepunkt ihres Daseins eintritt, aus den großen
Erinnerungen der heimischen Vorzeit frischen Muth zu schöpfen pflegt,
so wendete sich die Sehnsucht jener Tage der einfältigen Größe der
germanischen Urzeit zu: nur im Schatten deutscher Eichenhaine, nur
in dem Lande Hermanns und der Barden sollten Wahrheit und Treue,
Kraft und Gluth ursprünglicher Empfindung heimisch sein. Wie jubelte
das neue Deutschland, als der Sänger des Messias die junge bebende
Streiterin, die deutsche Muse aufrief, den Wettlauf zu wagen mit
der Dichtung Englands.

Unterdessen erschloß Winkelmann unserem Volke die Erkenntniß der
antiken Kunst und fand die einfältig tiefe Wahrheit wieder, daß die
Kunst die Darstellung des Schönen ist. Er schuf zugleich die ersten
formvollendeten Werke der neuen deutschen Prosa. Klar, tief und
weihevoll erklang die Rede dieses Priesters der Schönheit, mächtige
Leidenschaft und große Gedanken zusammengedrängt in maßvoll knapper
Form; durch "die erleuchtete Kürze" seines Stiles wurde die formlos
breite Redseligkeit der gelehrten Pedanterei zuerst überwunden. Seine
Schriften gaben der jungen Literatur die Richtung auf das classische
Ideal. Wetteifernd, in leidenschaftlichem Entzücken, strebten Dich-
tung und Wissenschaft sich zu erfüllen mit dem Geiste des Alter-
thums; und da der Mensch nur schätzt was er überschätzt, so wollte dies
schönheitsfrohe Geschlecht, berauscht von der Freude der ersten Entdeckung,
in der antiken Gesittung nichts sehen als reine Menschlichkeit, Gesundheit,
Natur. Den Romanen war eigentlich nur die altrömische Welt wahr-
haft vertraut geworden; die Deutschen zog ein Gefühl der Wahlver-
wandtschaft zu dem hellenischen Genius. Ihnen zuerst unter den modernen
Völkern ging das volle Verständniß des griechischen Lebens auf, und als
ihre neue Bildung gereift war, durfte ihr Dichter frohlockend rufen:
aber die Sonne Homers, siehe, sie lächelt auch uns! Durch die Einkehr
in die Formenwelt des Alterthums erlangte die so oft arm und hart ge-
scholtene deutsche Sprache nicht nur einen guten Theil ihres alten

Klopſtock. Winkelmann.
funden, ſchuf ſich hier endlich eine würdige poetiſche Form; die ernüch-
terte Sprache gewann Schwung, Adel, Kühnheit; die ganze Welt des
Erhabenen wurde der deutſchen Phantaſie von Neuem aufgethan. Merk-
würdig ſchnell begriff die Nation, ein neues Zeitalter ihrer Bildung ſei
angebrochen. Ein Schwarm von jungen Talenten drängte ſich um den
Sänger, der auch in ſeiner perſönlichen Haltung die Hoheit der neuen
Kunſt ſtattlich vertrat, und erging ſich in der naiven Selbſtüberhebung,
die allen kräftig aufſteigenden Epochen eigenthümlich iſt, ſtellte das Epos
des deutſchen Meiſters über Homer, ſeine Oden über Pindar. Eine
phantaſtiſche Schwärmerei für das Vaterland berauſchte dieſe Dichterkreiſe
und iſt von da, langſam aber mächtig fortwirkend, bis in die unterſten
Schichten des deutſchen Mittelſtandes hinabgedrungen. Wie jede Nation,
wenn ſie in einen Wendepunkt ihres Daſeins eintritt, aus den großen
Erinnerungen der heimiſchen Vorzeit friſchen Muth zu ſchöpfen pflegt,
ſo wendete ſich die Sehnſucht jener Tage der einfältigen Größe der
germaniſchen Urzeit zu: nur im Schatten deutſcher Eichenhaine, nur
in dem Lande Hermanns und der Barden ſollten Wahrheit und Treue,
Kraft und Gluth urſprünglicher Empfindung heimiſch ſein. Wie jubelte
das neue Deutſchland, als der Sänger des Meſſias die junge bebende
Streiterin, die deutſche Muſe aufrief, den Wettlauf zu wagen mit
der Dichtung Englands.

Unterdeſſen erſchloß Winkelmann unſerem Volke die Erkenntniß der
antiken Kunſt und fand die einfältig tiefe Wahrheit wieder, daß die
Kunſt die Darſtellung des Schönen iſt. Er ſchuf zugleich die erſten
formvollendeten Werke der neuen deutſchen Proſa. Klar, tief und
weihevoll erklang die Rede dieſes Prieſters der Schönheit, mächtige
Leidenſchaft und große Gedanken zuſammengedrängt in maßvoll knapper
Form; durch „die erleuchtete Kürze“ ſeines Stiles wurde die formlos
breite Redſeligkeit der gelehrten Pedanterei zuerſt überwunden. Seine
Schriften gaben der jungen Literatur die Richtung auf das claſſiſche
Ideal. Wetteifernd, in leidenſchaftlichem Entzücken, ſtrebten Dich-
tung und Wiſſenſchaft ſich zu erfüllen mit dem Geiſte des Alter-
thums; und da der Menſch nur ſchätzt was er überſchätzt, ſo wollte dies
ſchönheitsfrohe Geſchlecht, berauſcht von der Freude der erſten Entdeckung,
in der antiken Geſittung nichts ſehen als reine Menſchlichkeit, Geſundheit,
Natur. Den Romanen war eigentlich nur die altrömiſche Welt wahr-
haft vertraut geworden; die Deutſchen zog ein Gefühl der Wahlver-
wandtſchaft zu dem helleniſchen Genius. Ihnen zuerſt unter den modernen
Völkern ging das volle Verſtändniß des griechiſchen Lebens auf, und als
ihre neue Bildung gereift war, durfte ihr Dichter frohlockend rufen:
aber die Sonne Homers, ſiehe, ſie lächelt auch uns! Durch die Einkehr
in die Formenwelt des Alterthums erlangte die ſo oft arm und hart ge-
ſcholtene deutſche Sprache nicht nur einen guten Theil ihres alten

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[95/0111] Klopſtock. Winkelmann. funden, ſchuf ſich hier endlich eine würdige poetiſche Form; die ernüch- terte Sprache gewann Schwung, Adel, Kühnheit; die ganze Welt des Erhabenen wurde der deutſchen Phantaſie von Neuem aufgethan. Merk- würdig ſchnell begriff die Nation, ein neues Zeitalter ihrer Bildung ſei angebrochen. Ein Schwarm von jungen Talenten drängte ſich um den Sänger, der auch in ſeiner perſönlichen Haltung die Hoheit der neuen Kunſt ſtattlich vertrat, und erging ſich in der naiven Selbſtüberhebung, die allen kräftig aufſteigenden Epochen eigenthümlich iſt, ſtellte das Epos des deutſchen Meiſters über Homer, ſeine Oden über Pindar. Eine phantaſtiſche Schwärmerei für das Vaterland berauſchte dieſe Dichterkreiſe und iſt von da, langſam aber mächtig fortwirkend, bis in die unterſten Schichten des deutſchen Mittelſtandes hinabgedrungen. Wie jede Nation, wenn ſie in einen Wendepunkt ihres Daſeins eintritt, aus den großen Erinnerungen der heimiſchen Vorzeit friſchen Muth zu ſchöpfen pflegt, ſo wendete ſich die Sehnſucht jener Tage der einfältigen Größe der germaniſchen Urzeit zu: nur im Schatten deutſcher Eichenhaine, nur in dem Lande Hermanns und der Barden ſollten Wahrheit und Treue, Kraft und Gluth urſprünglicher Empfindung heimiſch ſein. Wie jubelte das neue Deutſchland, als der Sänger des Meſſias die junge bebende Streiterin, die deutſche Muſe aufrief, den Wettlauf zu wagen mit der Dichtung Englands. Unterdeſſen erſchloß Winkelmann unſerem Volke die Erkenntniß der antiken Kunſt und fand die einfältig tiefe Wahrheit wieder, daß die Kunſt die Darſtellung des Schönen iſt. Er ſchuf zugleich die erſten formvollendeten Werke der neuen deutſchen Proſa. Klar, tief und weihevoll erklang die Rede dieſes Prieſters der Schönheit, mächtige Leidenſchaft und große Gedanken zuſammengedrängt in maßvoll knapper Form; durch „die erleuchtete Kürze“ ſeines Stiles wurde die formlos breite Redſeligkeit der gelehrten Pedanterei zuerſt überwunden. Seine Schriften gaben der jungen Literatur die Richtung auf das claſſiſche Ideal. Wetteifernd, in leidenſchaftlichem Entzücken, ſtrebten Dich- tung und Wiſſenſchaft ſich zu erfüllen mit dem Geiſte des Alter- thums; und da der Menſch nur ſchätzt was er überſchätzt, ſo wollte dies ſchönheitsfrohe Geſchlecht, berauſcht von der Freude der erſten Entdeckung, in der antiken Geſittung nichts ſehen als reine Menſchlichkeit, Geſundheit, Natur. Den Romanen war eigentlich nur die altrömiſche Welt wahr- haft vertraut geworden; die Deutſchen zog ein Gefühl der Wahlver- wandtſchaft zu dem helleniſchen Genius. Ihnen zuerſt unter den modernen Völkern ging das volle Verſtändniß des griechiſchen Lebens auf, und als ihre neue Bildung gereift war, durfte ihr Dichter frohlockend rufen: aber die Sonne Homers, ſiehe, ſie lächelt auch uns! Durch die Einkehr in die Formenwelt des Alterthums erlangte die ſo oft arm und hart ge- ſcholtene deutſche Sprache nicht nur einen guten Theil ihres alten

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/111>, abgerufen am 29.03.2024.