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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Am frühen Morgen begegnete Anton dem um-
irrenden Friedrich in den Gängen des Gartens.
Wie ist dir, mein Geliebter? fragte Anton be-
sorgt; ich hörte dich in der Nacht dein Zimmer
verlassen und dann im Garten auf und nie-
der gehn; du scheinst nicht geschlafen zu haben:
hast du traurige Nachrichten erhalten, oder bist
du krank?

Gesund und froh, antwortete Friedrich, aber
so bewegt, daß alles mich nur wie ein Traum
umgiebt, daß ich nicht hoffen, oder mich freuen
kann, am wenigsten Rath ersinnen. Adelheid
hat mir durch den gestrigen Boten geschrieben,
daß ihr Oheim in wenigen Tagen eine Reise
unternehmen müsse, diese Zeit will sie benutzen,
um in Gesellschaft und durch Hülfe meines
Freundes Ewald zu entfliehen, ich soll ihr ei-
nen sichern Ort vorschlagen, wo sie eine Zeit
lang verborgen leben möge, und wo ich sie tref-
fen könne. Alles dieses war fast seit einem
Jahre unter uns beredet, aber nun es wirklich
eintrift und geschehen soll, überschüttet es mich
so mit Verwirrung und Angst, daß ich mir nicht


Am fruͤhen Morgen begegnete Anton dem um-
irrenden Friedrich in den Gaͤngen des Gartens.
Wie iſt dir, mein Geliebter? fragte Anton be-
ſorgt; ich hoͤrte dich in der Nacht dein Zimmer
verlaſſen und dann im Garten auf und nie-
der gehn; du ſcheinſt nicht geſchlafen zu haben:
haſt du traurige Nachrichten erhalten, oder biſt
du krank?

Geſund und froh, antwortete Friedrich, aber
ſo bewegt, daß alles mich nur wie ein Traum
umgiebt, daß ich nicht hoffen, oder mich freuen
kann, am wenigſten Rath erſinnen. Adelheid
hat mir durch den geſtrigen Boten geſchrieben,
daß ihr Oheim in wenigen Tagen eine Reiſe
unternehmen muͤſſe, dieſe Zeit will ſie benutzen,
um in Geſellſchaft und durch Huͤlfe meines
Freundes Ewald zu entfliehen, ich ſoll ihr ei-
nen ſichern Ort vorſchlagen, wo ſie eine Zeit
lang verborgen leben moͤge, und wo ich ſie tref-
fen koͤnne. Alles dieſes war faſt ſeit einem
Jahre unter uns beredet, aber nun es wirklich
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[[3]/0012] Am fruͤhen Morgen begegnete Anton dem um- irrenden Friedrich in den Gaͤngen des Gartens. Wie iſt dir, mein Geliebter? fragte Anton be- ſorgt; ich hoͤrte dich in der Nacht dein Zimmer verlaſſen und dann im Garten auf und nie- der gehn; du ſcheinſt nicht geſchlafen zu haben: haſt du traurige Nachrichten erhalten, oder biſt du krank? Geſund und froh, antwortete Friedrich, aber ſo bewegt, daß alles mich nur wie ein Traum umgiebt, daß ich nicht hoffen, oder mich freuen kann, am wenigſten Rath erſinnen. Adelheid hat mir durch den geſtrigen Boten geſchrieben, daß ihr Oheim in wenigen Tagen eine Reiſe unternehmen muͤſſe, dieſe Zeit will ſie benutzen, um in Geſellſchaft und durch Huͤlfe meines Freundes Ewald zu entfliehen, ich ſoll ihr ei- nen ſichern Ort vorſchlagen, wo ſie eine Zeit lang verborgen leben moͤge, und wo ich ſie tref- fen koͤnne. Alles dieſes war faſt ſeit einem Jahre unter uns beredet, aber nun es wirklich eintrift und geſchehen ſoll, uͤberſchuͤttet es mich ſo mit Verwirrung und Angſt, daß ich mir nicht

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/12>, abgerufen am 23.04.2024.