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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
stellungen so ab, daß ich in jener anbefohlnen
Muße hätte zu Grunde gehen müssen. Kann man
nun läugnen, daß dieser Autor nicht manches
wahr und gut auffaßt, daß er manche Zustände,
wie Charaktere, treffend schildert, und daß die
meisten seiner Bücher sich durch eine gewisse Rein-
lichkeit der Schreibart empfehlen? Ohne alle Iro-
nie sei es gesagt, viele seiner kleinen Erzählun-
gen haben mich wahrhaft ergötzt und befriedigt.
Seine größeren Werke, denen die meisten dieser
guten Eigenschaften abgehn, ersetzen diesen Man-
gel durch die unerschöpfliche Liebe, die schon in
Kinderseelen heroisch arbeitet, durch einige Ver-
führer im großen Styl und ansehnliche Gräuel,
oder gar durch Kunsturtheile, die mich vorzüglich
inniglich erfreuten, und die er leider seinen Bü-
chern nur zu selten einstreut. Wie war ich hin-
gerissen, als ich in einem seiner Romane an die
ausgeführte Meinung gerieth, mit welcher er den
Hogarth über Rafael setzt. Ja, meine Freunde,
es giebt gewisse Vorstellungen, die unmittelbar
uns Elasticität des Körpers und der Seele zu-
führen, und so schelte mir keiner die großartige
Albernheit, denn ich war nach diesem Kapitel
unverzüglich besser, und durfte doch noch keine
China gebrauchen.

So, sagte Theodor, wurde der ganz gesunde
Spartaner durch Tyrtäus Hymnenklang zum Krie-
gestanze beflügelt. Was folgte nun auf diese
Periode?


Einleitung.
ſtellungen ſo ab, daß ich in jener anbefohlnen
Muße haͤtte zu Grunde gehen muͤſſen. Kann man
nun laͤugnen, daß dieſer Autor nicht manches
wahr und gut auffaßt, daß er manche Zuſtaͤnde,
wie Charaktere, treffend ſchildert, und daß die
meiſten ſeiner Buͤcher ſich durch eine gewiſſe Rein-
lichkeit der Schreibart empfehlen? Ohne alle Iro-
nie ſei es geſagt, viele ſeiner kleinen Erzaͤhlun-
gen haben mich wahrhaft ergoͤtzt und befriedigt.
Seine groͤßeren Werke, denen die meiſten dieſer
guten Eigenſchaften abgehn, erſetzen dieſen Man-
gel durch die unerſchoͤpfliche Liebe, die ſchon in
Kinderſeelen heroiſch arbeitet, durch einige Ver-
fuͤhrer im großen Styl und anſehnliche Graͤuel,
oder gar durch Kunſturtheile, die mich vorzuͤglich
inniglich erfreuten, und die er leider ſeinen Buͤ-
chern nur zu ſelten einſtreut. Wie war ich hin-
geriſſen, als ich in einem ſeiner Romane an die
ausgefuͤhrte Meinung gerieth, mit welcher er den
Hogarth uͤber Rafael ſetzt. Ja, meine Freunde,
es giebt gewiſſe Vorſtellungen, die unmittelbar
uns Elaſticitaͤt des Koͤrpers und der Seele zu-
fuͤhren, und ſo ſchelte mir keiner die großartige
Albernheit, denn ich war nach dieſem Kapitel
unverzuͤglich beſſer, und durfte doch noch keine
China gebrauchen.

So, ſagte Theodor, wurde der ganz geſunde
Spartaner durch Tyrtaͤus Hymnenklang zum Krie-
gestanze befluͤgelt. Was folgte nun auf dieſe
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[27/0038] Einleitung. ſtellungen ſo ab, daß ich in jener anbefohlnen Muße haͤtte zu Grunde gehen muͤſſen. Kann man nun laͤugnen, daß dieſer Autor nicht manches wahr und gut auffaßt, daß er manche Zuſtaͤnde, wie Charaktere, treffend ſchildert, und daß die meiſten ſeiner Buͤcher ſich durch eine gewiſſe Rein- lichkeit der Schreibart empfehlen? Ohne alle Iro- nie ſei es geſagt, viele ſeiner kleinen Erzaͤhlun- gen haben mich wahrhaft ergoͤtzt und befriedigt. Seine groͤßeren Werke, denen die meiſten dieſer guten Eigenſchaften abgehn, erſetzen dieſen Man- gel durch die unerſchoͤpfliche Liebe, die ſchon in Kinderſeelen heroiſch arbeitet, durch einige Ver- fuͤhrer im großen Styl und anſehnliche Graͤuel, oder gar durch Kunſturtheile, die mich vorzuͤglich inniglich erfreuten, und die er leider ſeinen Buͤ- chern nur zu ſelten einſtreut. Wie war ich hin- geriſſen, als ich in einem ſeiner Romane an die ausgefuͤhrte Meinung gerieth, mit welcher er den Hogarth uͤber Rafael ſetzt. Ja, meine Freunde, es giebt gewiſſe Vorſtellungen, die unmittelbar uns Elaſticitaͤt des Koͤrpers und der Seele zu- fuͤhren, und ſo ſchelte mir keiner die großartige Albernheit, denn ich war nach dieſem Kapitel unverzuͤglich beſſer, und durfte doch noch keine China gebrauchen. So, ſagte Theodor, wurde der ganz geſunde Spartaner durch Tyrtaͤus Hymnenklang zum Krie- gestanze befluͤgelt. Was folgte nun auf dieſe Periode?

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/38>, abgerufen am 25.04.2024.