Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
welche auf allgemein angenommenen Grundsätzen
ruhten, mit dem Deutschland verglich, wie ich
es mit meinen Augen und Empfindungen sah;
je mehr ich überlegte, nachsann und zu lernen
suchte, je mehr wurde ich überzeugt, es sei von
zwei ganz verschiedenen Ländern die Frage, ja
unser Vaterland sei überall so unbekannt, wie
ein tief in Asien oder Afrika zu entdeckendes
Reich, von welchem unsichre Sagen umgingen,
und das die Neugier unsrer wißbegierigen Lands-
leute eben so, wie jene mythischen Gegenden
reizen müsse; und so nahm ich mir damals, in
jener Frühlingsstimmung meiner Seele, vor, der
Entdecker dieser unbekannten Zonen zu werden.
Auf diese Weise bildete sich in jenen Stunden
in mir das Ideal einer Reisebeschreibung durch
Deutschland, das mich auch seitdem noch oft
überschlichen und mich gereizt hat, einige Blät-
ter wirklich nieder zu schreiben. Doch jetzt könnt'
ich leider Elegien dichten, daß es nun auch zu
jenen Elegien zu spät ist.

Einige Töne dieser Elegie, sagte Theodor,
klingen doch wohl in den Worten des Kloster-
bruders.

Am frühsten, sagte Ernst, in den wenigen
Zeilen unsers Dichters über den Münster in
Straßburg, die ich niemals ohne Bewegung habe
lesen können, dann in den Blättern von deut-
scher Art und Kunst; in neueren Tagen hat unser
Freund, Friedrich Schlegel, mit Liebe an das

Einleitung.
welche auf allgemein angenommenen Grundſaͤtzen
ruhten, mit dem Deutſchland verglich, wie ich
es mit meinen Augen und Empfindungen ſah;
je mehr ich uͤberlegte, nachſann und zu lernen
ſuchte, je mehr wurde ich uͤberzeugt, es ſei von
zwei ganz verſchiedenen Laͤndern die Frage, ja
unſer Vaterland ſei uͤberall ſo unbekannt, wie
ein tief in Aſien oder Afrika zu entdeckendes
Reich, von welchem unſichre Sagen umgingen,
und das die Neugier unſrer wißbegierigen Lands-
leute eben ſo, wie jene mythiſchen Gegenden
reizen muͤſſe; und ſo nahm ich mir damals, in
jener Fruͤhlingsſtimmung meiner Seele, vor, der
Entdecker dieſer unbekannten Zonen zu werden.
Auf dieſe Weiſe bildete ſich in jenen Stunden
in mir das Ideal einer Reiſebeſchreibung durch
Deutſchland, das mich auch ſeitdem noch oft
uͤberſchlichen und mich gereizt hat, einige Blaͤt-
ter wirklich nieder zu ſchreiben. Doch jetzt koͤnnt'
ich leider Elegien dichten, daß es nun auch zu
jenen Elegien zu ſpaͤt iſt.

Einige Toͤne dieſer Elegie, ſagte Theodor,
klingen doch wohl in den Worten des Kloſter-
bruders.

Am fruͤhſten, ſagte Ernſt, in den wenigen
Zeilen unſers Dichters uͤber den Muͤnſter in
Straßburg, die ich niemals ohne Bewegung habe
leſen koͤnnen, dann in den Blaͤttern von deut-
ſcher Art und Kunſt; in neueren Tagen hat unſer
Freund, Friedrich Schlegel, mit Liebe an das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0022" n="11"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
welche auf allgemein angenommenen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen<lb/>
ruhten, mit dem Deut&#x017F;chland verglich, wie ich<lb/>
es mit meinen Augen und Empfindungen &#x017F;ah;<lb/>
je mehr ich u&#x0364;berlegte, nach&#x017F;ann und zu lernen<lb/>
&#x017F;uchte, je mehr wurde ich u&#x0364;berzeugt, es &#x017F;ei von<lb/>
zwei ganz ver&#x017F;chiedenen La&#x0364;ndern die Frage, ja<lb/>
un&#x017F;er Vaterland &#x017F;ei u&#x0364;berall &#x017F;o unbekannt, wie<lb/>
ein tief in A&#x017F;ien oder Afrika zu entdeckendes<lb/>
Reich, von welchem un&#x017F;ichre Sagen umgingen,<lb/>
und das die Neugier un&#x017F;rer wißbegierigen Lands-<lb/>
leute eben &#x017F;o, wie jene mythi&#x017F;chen Gegenden<lb/>
reizen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e; und &#x017F;o nahm ich mir damals, in<lb/>
jener Fru&#x0364;hlings&#x017F;timmung meiner Seele, vor, der<lb/>
Entdecker die&#x017F;er unbekannten Zonen zu werden.<lb/>
Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e bildete &#x017F;ich in jenen Stunden<lb/>
in mir das Ideal einer Rei&#x017F;ebe&#x017F;chreibung durch<lb/>
Deut&#x017F;chland, das mich auch &#x017F;eitdem noch oft<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;chlichen und mich gereizt hat, einige Bla&#x0364;t-<lb/>
ter wirklich nieder zu &#x017F;chreiben. Doch jetzt ko&#x0364;nnt'<lb/>
ich leider Elegien dichten, daß es nun auch zu<lb/>
jenen Elegien zu &#x017F;pa&#x0364;t i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Einige To&#x0364;ne die&#x017F;er Elegie, &#x017F;agte Theodor,<lb/>
klingen doch wohl in den Worten des Klo&#x017F;ter-<lb/>
bruders.</p><lb/>
        <p>Am fru&#x0364;h&#x017F;ten, &#x017F;agte Ern&#x017F;t, in den wenigen<lb/>
Zeilen un&#x017F;ers Dichters u&#x0364;ber den Mu&#x0364;n&#x017F;ter in<lb/>
Straßburg, die ich niemals ohne Bewegung habe<lb/>
le&#x017F;en ko&#x0364;nnen, dann in den Bla&#x0364;ttern von deut-<lb/>
&#x017F;cher Art und Kun&#x017F;t; in neueren Tagen hat un&#x017F;er<lb/>
Freund, Friedrich Schlegel, mit Liebe an das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0022] Einleitung. welche auf allgemein angenommenen Grundſaͤtzen ruhten, mit dem Deutſchland verglich, wie ich es mit meinen Augen und Empfindungen ſah; je mehr ich uͤberlegte, nachſann und zu lernen ſuchte, je mehr wurde ich uͤberzeugt, es ſei von zwei ganz verſchiedenen Laͤndern die Frage, ja unſer Vaterland ſei uͤberall ſo unbekannt, wie ein tief in Aſien oder Afrika zu entdeckendes Reich, von welchem unſichre Sagen umgingen, und das die Neugier unſrer wißbegierigen Lands- leute eben ſo, wie jene mythiſchen Gegenden reizen muͤſſe; und ſo nahm ich mir damals, in jener Fruͤhlingsſtimmung meiner Seele, vor, der Entdecker dieſer unbekannten Zonen zu werden. Auf dieſe Weiſe bildete ſich in jenen Stunden in mir das Ideal einer Reiſebeſchreibung durch Deutſchland, das mich auch ſeitdem noch oft uͤberſchlichen und mich gereizt hat, einige Blaͤt- ter wirklich nieder zu ſchreiben. Doch jetzt koͤnnt' ich leider Elegien dichten, daß es nun auch zu jenen Elegien zu ſpaͤt iſt. Einige Toͤne dieſer Elegie, ſagte Theodor, klingen doch wohl in den Worten des Kloſter- bruders. Am fruͤhſten, ſagte Ernſt, in den wenigen Zeilen unſers Dichters uͤber den Muͤnſter in Straßburg, die ich niemals ohne Bewegung habe leſen koͤnnen, dann in den Blaͤttern von deut- ſcher Art und Kunſt; in neueren Tagen hat unſer Freund, Friedrich Schlegel, mit Liebe an das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/22
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/22>, abgerufen am 25.04.2024.