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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
ser Entstellung mein junges Herz bewegte. Da-
für aber suchte ich nachher auch, gleichsam wie
zum Trotz der Zeit in dieser falschen Bildung,
alles als ein Befreundetes und Verwandtes auf,
was mir meine Bücher und Lehrer nur zu oft
als das Abgeschmackte, Dunkle und Widerwär-
tige bezeichnet hatten; ich berauschte mich auf
meinem ersten Ausfluge in allen Erinnerungen
des Alterthums, begeisterte mich an den Denk-
malen einer längst verloschenen Liebe, ja that
wohl manchem Guten und Nützlichen mit erwie-
dertem Verfolgungsgeist unrecht, und stand bald
unter meiner Umgebung selbst wie eine unver-
ständliche Alterthümlichkeit, indem ich ihr Nicht-
begreifen nicht begriff, und verzweifeln wollte, daß
allen andern der Sinn und die Liebe so gänz-
lich fehlten, die mich bis zum Schmerzhaften er-
regten und rührten.

Freilich, fiel Theodor lachend ein, erschienst
du damals mit deiner Bekehrungssucht als ein
höchst wunderlicher Kauz, und ich erinnere mich
noch mit Freuden des Tages, als wir uns vor
vielen Jahren zuerst in Nürnberg trafen, und
wie einer deiner ehemaligen Lehrer, der dich dort
wieder aufgesucht hatte, und für alles Nützliche,
Neue, Fabrikartige fast fantastisch begeistert
war, dich aus den dunkeln Mauern nach Fürth
führte, wo er in den Spiegelschleifereien, Knopf-
Manufakturen und allen klappernden und rumo-
renden Gewerben wahrhaft schwelgte, und dein

Einleitung.
ſer Entſtellung mein junges Herz bewegte. Da-
fuͤr aber ſuchte ich nachher auch, gleichſam wie
zum Trotz der Zeit in dieſer falſchen Bildung,
alles als ein Befreundetes und Verwandtes auf,
was mir meine Buͤcher und Lehrer nur zu oft
als das Abgeſchmackte, Dunkle und Widerwaͤr-
tige bezeichnet hatten; ich berauſchte mich auf
meinem erſten Ausfluge in allen Erinnerungen
des Alterthums, begeiſterte mich an den Denk-
malen einer laͤngſt verloſchenen Liebe, ja that
wohl manchem Guten und Nuͤtzlichen mit erwie-
dertem Verfolgungsgeiſt unrecht, und ſtand bald
unter meiner Umgebung ſelbſt wie eine unver-
ſtaͤndliche Alterthuͤmlichkeit, indem ich ihr Nicht-
begreifen nicht begriff, und verzweifeln wollte, daß
allen andern der Sinn und die Liebe ſo gaͤnz-
lich fehlten, die mich bis zum Schmerzhaften er-
regten und ruͤhrten.

Freilich, fiel Theodor lachend ein, erſchienſt
du damals mit deiner Bekehrungsſucht als ein
hoͤchſt wunderlicher Kauz, und ich erinnere mich
noch mit Freuden des Tages, als wir uns vor
vielen Jahren zuerſt in Nuͤrnberg trafen, und
wie einer deiner ehemaligen Lehrer, der dich dort
wieder aufgeſucht hatte, und fuͤr alles Nuͤtzliche,
Neue, Fabrikartige faſt fantaſtiſch begeiſtert
war, dich aus den dunkeln Mauern nach Fuͤrth
fuͤhrte, wo er in den Spiegelſchleifereien, Knopf-
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[8/0019] Einleitung. ſer Entſtellung mein junges Herz bewegte. Da- fuͤr aber ſuchte ich nachher auch, gleichſam wie zum Trotz der Zeit in dieſer falſchen Bildung, alles als ein Befreundetes und Verwandtes auf, was mir meine Buͤcher und Lehrer nur zu oft als das Abgeſchmackte, Dunkle und Widerwaͤr- tige bezeichnet hatten; ich berauſchte mich auf meinem erſten Ausfluge in allen Erinnerungen des Alterthums, begeiſterte mich an den Denk- malen einer laͤngſt verloſchenen Liebe, ja that wohl manchem Guten und Nuͤtzlichen mit erwie- dertem Verfolgungsgeiſt unrecht, und ſtand bald unter meiner Umgebung ſelbſt wie eine unver- ſtaͤndliche Alterthuͤmlichkeit, indem ich ihr Nicht- begreifen nicht begriff, und verzweifeln wollte, daß allen andern der Sinn und die Liebe ſo gaͤnz- lich fehlten, die mich bis zum Schmerzhaften er- regten und ruͤhrten. Freilich, fiel Theodor lachend ein, erſchienſt du damals mit deiner Bekehrungsſucht als ein hoͤchſt wunderlicher Kauz, und ich erinnere mich noch mit Freuden des Tages, als wir uns vor vielen Jahren zuerſt in Nuͤrnberg trafen, und wie einer deiner ehemaligen Lehrer, der dich dort wieder aufgeſucht hatte, und fuͤr alles Nuͤtzliche, Neue, Fabrikartige faſt fantaſtiſch begeiſtert war, dich aus den dunkeln Mauern nach Fuͤrth fuͤhrte, wo er in den Spiegelſchleifereien, Knopf- Manufakturen und allen klappernden und rumo- renden Gewerben wahrhaft ſchwelgte, und dein

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/19>, abgerufen am 29.03.2024.