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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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das Gute u. Böse zu erkennen überhaupt.
1.

WJr haben zu Anfang der Ver-
nunfft-Lehre gesagt/ daß die Ge-
lahrheit eine Erkäntniß des Wah-
ren
und Falschen/ Guten und Bö-
sen
sey. Weil wir demnach bisher
von der Erkäntniß der Wahren und Falschen ge-
redet/ so viel wir vonnöthen zu seyn erachtet für-
einen Menschen/ der sich ad vitam civilem ge-
schickt machen wil; so müssen wir nunmehro
auch zu dem andern Stück der Erkäntniß/ nem-
lich des Guten und Bösen schreiten/ so viel diesel-
be aus der gesunden Vernunfft begriffen werden
kan/ wiewohl wir hiervon etwas ausführlicher
handeln werden/ indem ohne die ausführliche
Erkäntniß des Guten und Bösen man im ge-
meinen bürgerlichen Leben gar nicht fort-
kommen kan.

2.

Wir müssen aber zuförderst hier erwegen/
was für ein Unterscheid zwischen dem Wahren
und Guten/ ingleichen zwischen dem Falschen
und Bösen sey. Denn alles Wahre scheinet
gut/ und alles Falsche oder aller Jrrthum böse zu
seyn; aber insgemein sagt man doch/ daß das
Gute und Böse entweder ein warhafftiges/ oder
ein eingebildetes Gut oder Ubel sey.

3.

Dieses desto besser zu begreiffen/ kommen
diese beyderley benennungen darinnen überein/
daß keine auff das Wesen der Dinge an und für
sich selbst/ sondern auff derselben Beschaffen-

heit
A 3
das Gute u. Boͤſe zu erkennen uͤberhaupt.
1.

WJr haben zu Anfang der Ver-
nunfft-Lehre geſagt/ daß die Ge-
lahrheit eine Erkaͤntniß des Wah-
ren
und Falſchen/ Guten und Boͤ-
ſen
ſey. Weil wir demnach bisher
von der Erkaͤntniß der Wahren und Falſchen ge-
redet/ ſo viel wir vonnoͤthen zu ſeyn erachtet fuͤr-
einen Menſchen/ der ſich ad vitam civilem ge-
ſchickt machen wil; ſo muͤſſen wir nunmehro
auch zu dem andern Stuͤck der Erkaͤntniß/ nem-
lich des Guten und Boͤſen ſchreiten/ ſo viel dieſel-
be aus der geſunden Vernunfft begriffen werden
kan/ wiewohl wir hiervon etwas ausfuͤhrlicher
handeln werden/ indem ohne die ausfuͤhrliche
Erkaͤntniß des Guten und Boͤſen man im ge-
meinen buͤrgerlichen Leben gar nicht fort-
kommen kan.

2.

Wir muͤſſen aber zufoͤrderſt hier erwegen/
was fuͤr ein Unterſcheid zwiſchen dem Wahren
und Guten/ ingleichen zwiſchen dem Falſchen
und Boͤſen ſey. Denn alles Wahre ſcheinet
gut/ und alles Falſche oder aller Jrrthum boͤſe zu
ſeyn; aber insgemein ſagt man doch/ daß das
Gute und Boͤſe entweder ein warhafftiges/ oder
ein eingebildetes Gut oder Ubel ſey.

3.

Dieſes deſto beſſer zu begreiffen/ kommen
dieſe beyderley benennungen darinnen uͤberein/
daß keine auff das Weſen der Dinge an und fuͤr
ſich ſelbſt/ ſondern auff derſelben Beſchaffen-

heit
A 3
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[5/0037] das Gute u. Boͤſe zu erkennen uͤberhaupt. 1. WJr haben zu Anfang der Ver- nunfft-Lehre geſagt/ daß die Ge- lahrheit eine Erkaͤntniß des Wah- ren und Falſchen/ Guten und Boͤ- ſen ſey. Weil wir demnach bisher von der Erkaͤntniß der Wahren und Falſchen ge- redet/ ſo viel wir vonnoͤthen zu ſeyn erachtet fuͤr- einen Menſchen/ der ſich ad vitam civilem ge- ſchickt machen wil; ſo muͤſſen wir nunmehro auch zu dem andern Stuͤck der Erkaͤntniß/ nem- lich des Guten und Boͤſen ſchreiten/ ſo viel dieſel- be aus der geſunden Vernunfft begriffen werden kan/ wiewohl wir hiervon etwas ausfuͤhrlicher handeln werden/ indem ohne die ausfuͤhrliche Erkaͤntniß des Guten und Boͤſen man im ge- meinen buͤrgerlichen Leben gar nicht fort- kommen kan. 2. Wir muͤſſen aber zufoͤrderſt hier erwegen/ was fuͤr ein Unterſcheid zwiſchen dem Wahren und Guten/ ingleichen zwiſchen dem Falſchen und Boͤſen ſey. Denn alles Wahre ſcheinet gut/ und alles Falſche oder aller Jrrthum boͤſe zu ſeyn; aber insgemein ſagt man doch/ daß das Gute und Boͤſe entweder ein warhafftiges/ oder ein eingebildetes Gut oder Ubel ſey. 3. Dieſes deſto beſſer zu begreiffen/ kommen dieſe beyderley benennungen darinnen uͤberein/ daß keine auff das Weſen der Dinge an und fuͤr ſich ſelbſt/ ſondern auff derſelben Beſchaffen- heit A 3

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/37>, abgerufen am 18.04.2024.