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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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Judicium machen müssen: Der Autor sey/ was se[i]-
nen Verstand betrifft/ ein Mann/ dem GOtt eine zim-
liche Capacität zu Erkäntniß der Wahrheit verliehen/
der aber dieselbe mehr zu Erkäntniß etlicher allgemei-
ner Jrrthümer angewendet/ als daß er den Ursprung
derselbigen/ nemlich die Praecipitanz und Dependi-
rung von anderer Autorität untersuchen und sich da-
für hüten/ oder auff die Erforschung der Wahrheit
mit gnugsamer Auffmerckung sich legen sollen. Was
aber den Willen anlanget/ sey er ein Mann/ der sich
zwey widerwärtige Affecten/ Liebe und Haß ohne ver-
nünfftige Gründe jämmerlich hin und wieder reissen
lasse/ und durch dieselben angetrieben von einem Ex-
tremo
auff das andere falle/ auch seinen guten natürli-
chen Verstand dadurch dergestalt unterdrücken lassen/
daß er durch ihren Antrieb Dinge schreibe/ derer er sich
selber schämen würde/ wenn er von diesen Affecten be-
freyet wäre; im übrigen aber daß es ihm an Hertzhaff-
tigkeit nicht mangele die Wahrheit zu erforschen/ und
wider jederman zu vertheidigen/ wenn besagte beyde
Affecten ihn nicht antrieben/ diese seine Hertzhafftig-
keit öffters gantz unrecht zu Vertheidigung der Jrrthü-
mer anzuwenden. Dieses Judicium von ihm zu fäl-
len/ haben mich folgende Ursachen bewogen; weil das
gantze Buch weiset/ daß er 1. in der Historia Physica
und was sonsten zu diesem Studio gehöret/ auch zum
theil in Mathesi nicht gemeine und geringe Profectus
haben müsse. 2. Daß er die eitelen Jrrthümer der
Scholastischen Philosophie, und sonderlich der in de-
nen Schulen eingeführten Syllogismus-Kunst gar
deutlich zu erkennen giebet/ und mit einer auffrichtigen
Hertzhafftigkeit befechtet. 3. Daß er dadurch sich ver-

füh ren
b

Judicium machen muͤſſen: Der Autor ſey/ was ſe[i]-
nen Verſtand betrifft/ ein Mann/ dem GOtt eine zim-
liche Capacitaͤt zu Erkaͤntniß der Wahrheit verliehen/
der aber dieſelbe mehr zu Erkaͤntniß etlicher allgemei-
ner Jrrthuͤmer angewendet/ als daß er den Urſprung
derſelbigen/ nemlich die Præcipitanz und Dependi-
rung von anderer Autoritaͤt unterſuchen und ſich da-
fuͤr huͤten/ oder auff die Erforſchung der Wahrheit
mit gnugſamer Auffmerckung ſich legen ſollen. Was
aber den Willen anlanget/ ſey er ein Mann/ der ſich
zwey widerwaͤrtige Affecten/ Liebe und Haß ohne ver-
nuͤnfftige Gruͤnde jaͤmmerlich hin und wieder reiſſen
laſſe/ und durch dieſelben angetrieben von einem Ex-
tremo
auff das andere falle/ auch ſeinen guten natuͤrli-
chen Verſtand dadurch dergeſtalt unterdruͤcken laſſen/
daß er durch ihren Antrieb Dinge ſchreibe/ derer er ſich
ſelber ſchaͤmen wuͤrde/ weñ er von dieſen Affecten be-
freyet waͤre; im uͤbrigen aber daß es ihm an Hertzhaff-
tigkeit nicht mangele die Wahrheit zu erforſchen/ und
wider jederman zu vertheidigen/ wenn beſagte beyde
Affecten ihn nicht antrieben/ dieſe ſeine Hertzhafftig-
keit oͤffters gantz unrecht zu Vertheidigung der Jrꝛthuͤ-
mer anzuwenden. Dieſes Judicium von ihm zu faͤl-
len/ haben mich folgende Urſachen bewogen; weil das
gantze Buch weiſet/ daß er 1. in der Hiſtoria Phyſica
und was ſonſten zu dieſem Studio gehoͤret/ auch zum
theil in Matheſi nicht gemeine und geringe Profectus
haben muͤſſe. 2. Daß er die eitelen Jrrthuͤmer der
Scholaſtiſchen Philoſophie, und ſonderlich der in de-
nen Schulen eingefuͤhrten Syllogiſmus-Kunſt gar
deutlich zu erkennen giebet/ und mit einer auffrichtigen
Hertzhafftigkeit befechtet. 3. Daß er dadurch ſich ver-

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[0019] Judicium machen muͤſſen: Der Autor ſey/ was ſei- nen Verſtand betrifft/ ein Mann/ dem GOtt eine zim- liche Capacitaͤt zu Erkaͤntniß der Wahrheit verliehen/ der aber dieſelbe mehr zu Erkaͤntniß etlicher allgemei- ner Jrrthuͤmer angewendet/ als daß er den Urſprung derſelbigen/ nemlich die Præcipitanz und Dependi- rung von anderer Autoritaͤt unterſuchen und ſich da- fuͤr huͤten/ oder auff die Erforſchung der Wahrheit mit gnugſamer Auffmerckung ſich legen ſollen. Was aber den Willen anlanget/ ſey er ein Mann/ der ſich zwey widerwaͤrtige Affecten/ Liebe und Haß ohne ver- nuͤnfftige Gruͤnde jaͤmmerlich hin und wieder reiſſen laſſe/ und durch dieſelben angetrieben von einem Ex- tremo auff das andere falle/ auch ſeinen guten natuͤrli- chen Verſtand dadurch dergeſtalt unterdruͤcken laſſen/ daß er durch ihren Antrieb Dinge ſchreibe/ derer er ſich ſelber ſchaͤmen wuͤrde/ weñ er von dieſen Affecten be- freyet waͤre; im uͤbrigen aber daß es ihm an Hertzhaff- tigkeit nicht mangele die Wahrheit zu erforſchen/ und wider jederman zu vertheidigen/ wenn beſagte beyde Affecten ihn nicht antrieben/ dieſe ſeine Hertzhafftig- keit oͤffters gantz unrecht zu Vertheidigung der Jrꝛthuͤ- mer anzuwenden. Dieſes Judicium von ihm zu faͤl- len/ haben mich folgende Urſachen bewogen; weil das gantze Buch weiſet/ daß er 1. in der Hiſtoria Phyſica und was ſonſten zu dieſem Studio gehoͤret/ auch zum theil in Matheſi nicht gemeine und geringe Profectus haben muͤſſe. 2. Daß er die eitelen Jrrthuͤmer der Scholaſtiſchen Philoſophie, und ſonderlich der in de- nen Schulen eingefuͤhrten Syllogiſmus-Kunſt gar deutlich zu erkennen giebet/ und mit einer auffrichtigen Hertzhafftigkeit befechtet. 3. Daß er dadurch ſich ver- fuͤh ren b

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/19>, abgerufen am 29.03.2024.