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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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Den Grund aller Wissenschafften/ oder auff
eine phantastischere/ aber doch gewöhnliche und
die Käuffer anlockende Weise: Die Perl der Ge-
lahrheit/ den Braut-Schmuck der menschli-
chen Seele; Den Eimer/ die Wahrheit aus
der Tieffe der Unwissenheit heraus zu schöpf-
fen; Den wahrhafftigen Stein der Weisen;
Den in Teutschland gebohrnen
Phoenix, Die
Ertz-Königin der Weißheit
u. s. w. nennen
können. Aber ich habe nicht gewolt/ daß der Titel
das Buch/ sondern das Buch den Titel verkauffen
solte/ und lieber unter einen verachteten Titel gute
Waare/ als schlimme unter einen hochtrabenden
dem Leser vorstellen wollen. Hiernechst erkenne
ich auch gar wohl/ daß ich gantz nicht Ursache habe
mit meiner Philosophie mich als einen gelehrten
Mann für andern Gelehrten zu rühmen/ nachdem
ich in der That an mir selbst erfahren/ daß die Ge-
lahrheit/ die man von denen Gelehrten lernet/ an
der Wahrheit und Weißheit mehr hinderlich als
beförderlich sey/ und daß/ wie man in Erforschung
der Weißheit alle seine Locos Communes, seine
Eltern und Praeceptores vergessen/ und nichts als
seinen eigenen Verstand als eine Gabe GOttes
gebrauchen und anwenden müsse; also auch ein
unstudirter Mann/ er möge nun ein Soldate/
Kauffmann/ Hauß-Wirth/ ja gar ein Handwercks-
Mann oder Bauer/ oder eine Weibes-Persohn
seyn/ wenn sie nur die Praejudicia von sich legen
wollen/ noch viel bessere Dinge in Vortragungen
der Weißheitwerden thun können/ als ich oder ein
anderer/ die wir wegen der allzulangen Gewohnheit

uns

Den Grund aller Wiſſenſchafften/ oder auff
eine phantaſtiſchere/ aber doch gewoͤhnliche und
die Kaͤuffer anlockende Weiſe: Die Perl der Ge-
lahrheit/ den Braut-Schmuck der menſchli-
chen Seele; Den Eimer/ die Wahrheit aus
der Tieffe der Unwiſſenheit heraus zu ſchoͤpf-
fen; Den wahrhafftigen Stein der Weiſen;
Den in Teutſchland gebohrnen
Phœnix, Die
Ertz-Koͤnigin der Weißheit
u. ſ. w. nennen
koͤnnen. Aber ich habe nicht gewolt/ daß der Titel
das Buch/ ſondern das Buch den Titel verkauffen
ſolte/ und lieber unter einen verachteten Titel gute
Waare/ als ſchlimme unter einen hochtrabenden
dem Leſer vorſtellen wollen. Hiernechſt erkenne
ich auch gar wohl/ daß ich gantz nicht Urſache habe
mit meiner Philoſophie mich als einen gelehrten
Mann fuͤr andern Gelehrten zu ruͤhmen/ nachdem
ich in der That an mir ſelbſt erfahren/ daß die Ge-
lahrheit/ die man von denen Gelehrten lernet/ an
der Wahrheit und Weißheit mehr hinderlich als
befoͤrderlich ſey/ und daß/ wie man in Erforſchung
der Weißheit alle ſeine Locos Communes, ſeine
Eltern und Præceptores vergeſſen/ und nichts als
ſeinen eigenen Verſtand als eine Gabe GOttes
gebrauchen und anwenden muͤſſe; alſo auch ein
unſtudirter Mann/ er moͤge nun ein Soldate/
Kauffmann/ Hauß-Wirth/ ja gar ein Handwercks-
Mann oder Bauer/ oder eine Weibes-Perſohn
ſeyn/ wenn ſie nur die Præjudicia von ſich legen
wollen/ noch viel beſſere Dinge in Vortragungen
der Weißheitwerden thun koͤnnen/ als ich oder ein
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[0015] Den Grund aller Wiſſenſchafften/ oder auff eine phantaſtiſchere/ aber doch gewoͤhnliche und die Kaͤuffer anlockende Weiſe: Die Perl der Ge- lahrheit/ den Braut-Schmuck der menſchli- chen Seele; Den Eimer/ die Wahrheit aus der Tieffe der Unwiſſenheit heraus zu ſchoͤpf- fen; Den wahrhafftigen Stein der Weiſen; Den in Teutſchland gebohrnen Phœnix, Die Ertz-Koͤnigin der Weißheit u. ſ. w. nennen koͤnnen. Aber ich habe nicht gewolt/ daß der Titel das Buch/ ſondern das Buch den Titel verkauffen ſolte/ und lieber unter einen verachteten Titel gute Waare/ als ſchlimme unter einen hochtrabenden dem Leſer vorſtellen wollen. Hiernechſt erkenne ich auch gar wohl/ daß ich gantz nicht Urſache habe mit meiner Philoſophie mich als einen gelehrten Mann fuͤr andern Gelehrten zu ruͤhmen/ nachdem ich in der That an mir ſelbſt erfahren/ daß die Ge- lahrheit/ die man von denen Gelehrten lernet/ an der Wahrheit und Weißheit mehr hinderlich als befoͤrderlich ſey/ und daß/ wie man in Erforſchung der Weißheit alle ſeine Locos Communes, ſeine Eltern und Præceptores vergeſſen/ und nichts als ſeinen eigenen Verſtand als eine Gabe GOttes gebrauchen und anwenden muͤſſe; alſo auch ein unſtudirter Mann/ er moͤge nun ein Soldate/ Kauffmann/ Hauß-Wirth/ ja gar ein Handwercks- Mann oder Bauer/ oder eine Weibes-Perſohn ſeyn/ wenn ſie nur die Præjudicia von ſich legen wollen/ noch viel beſſere Dinge in Vortragungen der Weißheitwerden thun koͤnnen/ als ich oder ein anderer/ die wir wegen der allzulangen Gewohnheit uns

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/15>, abgerufen am 28.03.2024.