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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 12. H. von der vernünfft. Kunst/
für sich selbst sich in die Höhe heben würde/ in-
dem sie von denen drey lasterhafften Passionibus,
als obgemeldet/ gleichsam gebunden und gefan-
gen gehalten wird; So überzeuget doch einen ie-
den Menschen der innerliche Kampff/ und die
Gedancken/ die einander verklagen/ daß weil
der böse und gute Affect mit einander kämpffen/
man ja so wol die unvernünfftige Liebe durch
die Erhebung der vernünfftigen tilgen/
als
durch Tilgung der unvernünfftigen die ver-
nünfftige erheben könne/
und daß man also so
wohl auf die Tilgung unvernünfftiger/ als auf
die Erhebung vernünfftiger Liebe reflexion ma-
chen müsse.

3. Was die Tilgung unvernünfftiger Liebe
angehet/ muß wohl von derselben der Anfang
gemachet
werden. Wenn ein Medicus einen
gefährlichen Patienten für sich hat/ denckt er
eher auf Wegschaffung der Kranckheit durch
dienliche Medicamenta als auf Stärckung der
Gesundheit/ durch ein gutes und heilsamliches
Diaet. Und wo er einen Patienten hat/ der an
drey Kranckheiten zugleich darnieder liegt; Jst
er ja wohl darauf bedacht/ daß er diejenige/ die
am tieffsten eingewurtzelt ist/ als bey diesen Pa-
tienten die gefährlichste/ dämpffe oder tilge/
die andern aber/ die sich noch nicht so feste gesetzet
haben/ und also nicht so gefährlich sind/ indessen
hindere/ daß sie nicht mehr einreissen. Wohl-
lust/ Ehr-Geitz und Geld-Geitz ist eines für den

Men-

Das 12. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/
fuͤr ſich ſelbſt ſich in die Hoͤhe heben wuͤrde/ in-
dem ſie von denen drey laſterhafften Paſſionibus,
als obgemeldet/ gleichſam gebunden und gefan-
gen gehalten wird; So uͤberzeuget doch einen ie-
den Menſchen der innerliche Kampff/ und die
Gedancken/ die einander verklagen/ daß weil
der boͤſe und gute Affect mit einander kaͤmpffen/
man ja ſo wol die unvernuͤnfftige Liebe durch
die Erhebung der vernuͤnfftigen tilgen/
als
durch Tilgung der unvernuͤnfftigen die ver-
nuͤnfftige erheben koͤnne/
und daß man alſo ſo
wohl auf die Tilgung unvernuͤnfftiger/ als auf
die Erhebung vernuͤnfftiger Liebe reflexion ma-
chen muͤſſe.

3. Was die Tilgung unvernuͤnfftiger Liebe
angehet/ muß wohl von derſelben der Anfang
gemachet
werden. Wenn ein Medicus einen
gefaͤhrlichen Patienten fuͤr ſich hat/ denckt er
eher auf Wegſchaffung der Kranckheit durch
dienliche Medicamenta als auf Staͤrckung der
Geſundheit/ durch ein gutes und heilſamliches
Diæt. Und wo er einen Patienten hat/ der an
drey Kranckheiten zugleich darnieder liegt; Jſt
er ja wohl darauf bedacht/ daß er diejenige/ die
am tieffſten eingewurtzelt iſt/ als bey dieſen Pa-
tienten die gefaͤhrlichſte/ daͤmpffe oder tilge/
die andern aber/ die ſich noch nicht ſo feſte geſetzet
haben/ und alſo nicht ſo gefaͤhrlich ſind/ indeſſen
hindere/ daß ſie nicht mehr einreiſſen. Wohl-
luſt/ Ehr-Geitz und Geld-Geitz iſt eines fuͤr den

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[460/0472] Das 12. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/ fuͤr ſich ſelbſt ſich in die Hoͤhe heben wuͤrde/ in- dem ſie von denen drey laſterhafften Paſſionibus, als obgemeldet/ gleichſam gebunden und gefan- gen gehalten wird; So uͤberzeuget doch einen ie- den Menſchen der innerliche Kampff/ und die Gedancken/ die einander verklagen/ daß weil der boͤſe und gute Affect mit einander kaͤmpffen/ man ja ſo wol die unvernuͤnfftige Liebe durch die Erhebung der vernuͤnfftigen tilgen/ als durch Tilgung der unvernuͤnfftigen die ver- nuͤnfftige erheben koͤnne/ und daß man alſo ſo wohl auf die Tilgung unvernuͤnfftiger/ als auf die Erhebung vernuͤnfftiger Liebe reflexion ma- chen muͤſſe. 3. Was die Tilgung unvernuͤnfftiger Liebe angehet/ muß wohl von derſelben der Anfang gemachet werden. Wenn ein Medicus einen gefaͤhrlichen Patienten fuͤr ſich hat/ denckt er eher auf Wegſchaffung der Kranckheit durch dienliche Medicamenta als auf Staͤrckung der Geſundheit/ durch ein gutes und heilſamliches Diæt. Und wo er einen Patienten hat/ der an drey Kranckheiten zugleich darnieder liegt; Jſt er ja wohl darauf bedacht/ daß er diejenige/ die am tieffſten eingewurtzelt iſt/ als bey dieſen Pa- tienten die gefaͤhrlichſte/ daͤmpffe oder tilge/ die andern aber/ die ſich noch nicht ſo feſte geſetzet haben/ und alſo nicht ſo gefaͤhrlich ſind/ indeſſen hindere/ daß ſie nicht mehr einreiſſen. Wohl- luſt/ Ehr-Geitz und Geld-Geitz iſt eines fuͤr den Men-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/472>, abgerufen am 19.04.2024.