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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Tochter der Eifersucht.
selbigen darinnen entschieden/ daß der Neid gar
nicht auff andre reflectiret/ die das Gut/ so wir
beneiden/ nicht haben/ sondern nur auff den/ den
wir beneiden/ die Indignation aber ist ein
Neid in den Mantel der Liebe eingehüllet/ weil
unser Hertz seine Boßheit dadurch zu bedecken
sucht/ daß es uns bereden wil/ wir beneideten
den andern nicht/ sondern wir betaureten viel-
mehr den dritten/ daß er das Vermögen oder
das Gute nicht hätte/ das wir an den andern mit
scheelen Augen ansehen. Wir sprechen: Der
arme Mann lässet es sich so blut-sauer werden/
und muß Noth leiden/ und der faule liederliche
Kerl da/ der Müßiggänger/ hat Geld/ er möchte es
fressen/ und thut keinen Menschen nichts zu Gute.
Wenn ich so viel Geld hätte/ wie wolte ich andern
Leuten Gutes thun/ u. s. w. Unter dieser Schein-
Liebe ist nichts als Neid/ wo nicht gar der for-
male
Geitz. Wäre es Liebe/ so würden wir
uns bemühen/ dem/ den wir zum Scheine nach
betauren/ Gutes zu thun von dem unsrigen. Aber
wir lassen es wohl bleiben/ und unser Hertz trach-
tet nur hauptsächlich darnach/ daß der andre sei-
nes Guts qvit seyn soll/ oder daß wir solches ger-
ne hätten. Und wenn es der/ den wir bedauren/
hätte/ würde unser Neid eben auch etwas an ihm
finden/ daß wir tadelten/ und ihn seiner Güter
unwürdig achteten. Und aus diesen kan man
leicht erkennen/ was von des Cartesii (b) Mei-

nung
(b) Cartes. de pass. Part. 3. art. 183.

Tochter der Eiferſucht.
ſelbigen darinnen entſchieden/ daß der Neid gar
nicht auff andre reflectiret/ die das Gut/ ſo wir
beneiden/ nicht haben/ ſondern nur auff den/ den
wir beneiden/ die Indignation aber iſt ein
Neid in den Mantel der Liebe eingehuͤllet/ weil
unſer Hertz ſeine Boßheit dadurch zu bedecken
ſucht/ daß es uns bereden wil/ wir beneideten
den andern nicht/ ſondern wir betaureten viel-
mehr den dritten/ daß er das Vermoͤgen oder
das Gute nicht haͤtte/ das wir an den andern mit
ſcheelen Augen anſehen. Wir ſprechen: Der
arme Mann laͤſſet es ſich ſo blut-ſauer werden/
und muß Noth leiden/ und der faule liederliche
Kerl da/ der Muͤßiggaͤnger/ hat Geld/ er moͤchte es
freſſen/ und thut keinen Menſchen nichts zu Gute.
Weñ ich ſo viel Geld haͤtte/ wie wolte ich andern
Leuten Gutes thun/ u. ſ. w. Unter dieſer Schein-
Liebe iſt nichts als Neid/ wo nicht gar der for-
male
Geitz. Waͤre es Liebe/ ſo wuͤrden wir
uns bemuͤhen/ dem/ den wir zum Scheine nach
betauren/ Gutes zu thun von dem unſrigen. Aber
wir laſſen es wohl bleiben/ und unſer Hertz trach-
tet nur hauptſaͤchlich darnach/ daß der andre ſei-
nes Guts qvit ſeyn ſoll/ oder daß wir ſolches ger-
ne haͤtten. Und wenn es der/ den wir bedauren/
haͤtte/ wuͤrde unſer Neid eben auch etwas an ihm
finden/ daß wir tadelten/ und ihn ſeiner Guͤter
unwuͤrdig achteten. Und aus dieſen kan man
leicht erkennen/ was von des Carteſii (b) Mei-

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(b) Carteſ. de paſſ. Part. 3. art. 183.
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[445/0457] Tochter der Eiferſucht. ſelbigen darinnen entſchieden/ daß der Neid gar nicht auff andre reflectiret/ die das Gut/ ſo wir beneiden/ nicht haben/ ſondern nur auff den/ den wir beneiden/ die Indignation aber iſt ein Neid in den Mantel der Liebe eingehuͤllet/ weil unſer Hertz ſeine Boßheit dadurch zu bedecken ſucht/ daß es uns bereden wil/ wir beneideten den andern nicht/ ſondern wir betaureten viel- mehr den dritten/ daß er das Vermoͤgen oder das Gute nicht haͤtte/ das wir an den andern mit ſcheelen Augen anſehen. Wir ſprechen: Der arme Mann laͤſſet es ſich ſo blut-ſauer werden/ und muß Noth leiden/ und der faule liederliche Kerl da/ der Muͤßiggaͤnger/ hat Geld/ er moͤchte es freſſen/ und thut keinen Menſchen nichts zu Gute. Weñ ich ſo viel Geld haͤtte/ wie wolte ich andern Leuten Gutes thun/ u. ſ. w. Unter dieſer Schein- Liebe iſt nichts als Neid/ wo nicht gar der for- male Geitz. Waͤre es Liebe/ ſo wuͤrden wir uns bemuͤhen/ dem/ den wir zum Scheine nach betauren/ Gutes zu thun von dem unſrigen. Aber wir laſſen es wohl bleiben/ und unſer Hertz trach- tet nur hauptſaͤchlich darnach/ daß der andre ſei- nes Guts qvit ſeyn ſoll/ oder daß wir ſolches ger- ne haͤtten. Und wenn es der/ den wir bedauren/ haͤtte/ wuͤrde unſer Neid eben auch etwas an ihm finden/ daß wir tadelten/ und ihn ſeiner Guͤter unwuͤrdig achteten. Und aus dieſen kan man leicht erkennen/ was von des Carteſii (b) Mei- nung (b) Carteſ. de paſſ. Part. 3. art. 183.

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/457>, abgerufen am 23.04.2024.