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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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daß er nie indifferent sey.
fangen. Derowegen ist zur Bestraffung der"
Gottlosen kein zorniger Mensch vonnöthen. Der"
Zorn ist ja eine Sünde/ wie wolte es sich nun"
schicken/ daß ein Sünder den andern straffte."
Was? sagst du/ soll ich mich nicht über einen"
Mörder/ über einen Hexen-Meister erzürnen?"
Nein. Denn ich erzürne mich ja nicht über"
mich/ wenn ich zur Ader lasse. Alle Straffen"
sind an Statt der Artzney-Mittel u. s. w. De-"
rowegen/ wenn ich als Richter einen zum Tode"
verurtheilen soll/ wenn der Blutschreyer Zeter"
über ihn ruffet/ setze ich mich aus den Richter-"
Stul/ nicht wie ein rasender oder feindseliger"
Mensch/ sondern mit einem sanfftmüthigen Ge-"
sichte/ und publicire ihm sein Todes-Urtheil/"
zwar mit einer ernsthafften aber nicht mit einer"
tollen Stimme/ und breche den Stab über ihn/"
nicht im Zorn/ sondern im Ernst. Wenn ich"
einem den Kopff abhauen lasse/ wenn ich einen"
Vater-Mörder säcken lasse/ wenn ich einen Ver-"
räther bestraffen lasse/ so thue ich solches ohne"
Zorn mit eben dem Gemüthe und Gesichte/ mit"
welchem ich eine Schlange oder andere gifftige"
Thiere tödte. Sprichst du: Man muß doch"
zornig seyn/ wenn man straffen soll: was dünckt"
dich? Erzürnet sich denn auch das Gesetz/ das"
die Straffe dictirt, über die/ die es nicht ken-"
net/ die es nicht gesehen hat/ die es glaubt/ daß"
sie nicht sündigen werden? Also must du eben"
so ein Gemüthe in Straffen haben/ wie der"

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daß er nie indifferent ſey.
fangen. Derowegen iſt zur Beſtraffung der„
Gottloſen kein zorniger Menſch vonnoͤthen. Der„
Zorn iſt ja eine Suͤnde/ wie wolte es ſich nun„
ſchicken/ daß ein Suͤnder den andern ſtraffte.„
Was? ſagſt du/ ſoll ich mich nicht uͤber einen„
Moͤrder/ uͤber einen Hexen-Meiſter erzuͤrnen?„
Nein. Denn ich erzuͤrne mich ja nicht uͤber„
mich/ wenn ich zur Ader laſſe. Alle Straffen„
ſind an Statt der Artzney-Mittel u. ſ. w. De-„
rowegen/ wenn ich als Richter einen zum Tode„
verurtheilen ſoll/ wenn der Blutſchreyer Zeter„
uͤber ihn ruffet/ ſetze ich mich aus den Richter-„
Stul/ nicht wie ein raſender oder feindſeliger„
Menſch/ ſondern mit einem ſanfftmuͤthigen Ge-„
ſichte/ und publicire ihm ſein Todes-Urtheil/„
zwar mit einer ernſthafften aber nicht mit einer„
tollen Stimme/ und breche den Stab uͤber ihn/„
nicht im Zorn/ ſondern im Ernſt. Wenn ich„
einem den Kopff abhauen laſſe/ wenn ich einen„
Vater-Moͤrder ſaͤcken laſſe/ wenn ich einen Ver-„
raͤther beſtraffen laſſe/ ſo thue ich ſolches ohne„
Zorn mit eben dem Gemuͤthe und Geſichte/ mit„
welchem ich eine Schlange oder andere gifftige„
Thiere toͤdte. Sprichſt du: Man muß doch„
zornig ſeyn/ wenn man ſtraffen ſoll: was duͤnckt„
dich? Erzuͤrnet ſich denn auch das Geſetz/ das„
die Straffe dictirt, uͤber die/ die es nicht ken-„
net/ die es nicht geſehen hat/ die es glaubt/ daß„
ſie nicht ſuͤndigen werden? Alſo muſt du eben„
ſo ein Gemuͤthe in Straffen haben/ wie der„

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[439/0451] daß er nie indifferent ſey. fangen. Derowegen iſt zur Beſtraffung der„ Gottloſen kein zorniger Menſch vonnoͤthen. Der„ Zorn iſt ja eine Suͤnde/ wie wolte es ſich nun„ ſchicken/ daß ein Suͤnder den andern ſtraffte.„ Was? ſagſt du/ ſoll ich mich nicht uͤber einen„ Moͤrder/ uͤber einen Hexen-Meiſter erzuͤrnen?„ Nein. Denn ich erzuͤrne mich ja nicht uͤber„ mich/ wenn ich zur Ader laſſe. Alle Straffen„ ſind an Statt der Artzney-Mittel u. ſ. w. De-„ rowegen/ wenn ich als Richter einen zum Tode„ verurtheilen ſoll/ wenn der Blutſchreyer Zeter„ uͤber ihn ruffet/ ſetze ich mich aus den Richter-„ Stul/ nicht wie ein raſender oder feindſeliger„ Menſch/ ſondern mit einem ſanfftmuͤthigen Ge-„ ſichte/ und publicire ihm ſein Todes-Urtheil/„ zwar mit einer ernſthafften aber nicht mit einer„ tollen Stimme/ und breche den Stab uͤber ihn/„ nicht im Zorn/ ſondern im Ernſt. Wenn ich„ einem den Kopff abhauen laſſe/ wenn ich einen„ Vater-Moͤrder ſaͤcken laſſe/ wenn ich einen Ver-„ raͤther beſtraffen laſſe/ ſo thue ich ſolches ohne„ Zorn mit eben dem Gemuͤthe und Geſichte/ mit„ welchem ich eine Schlange oder andere gifftige„ Thiere toͤdte. Sprichſt du: Man muß doch„ zornig ſeyn/ wenn man ſtraffen ſoll: was duͤnckt„ dich? Erzuͤrnet ſich denn auch das Geſetz/ das„ die Straffe dictirt, uͤber die/ die es nicht ken-„ net/ die es nicht geſehen hat/ die es glaubt/ daß„ ſie nicht ſuͤndigen werden? Alſo muſt du eben„ ſo ein Gemuͤthe in Straffen haben/ wie der„ Ge- E e 4

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/451>, abgerufen am 19.04.2024.