Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 13. H. Von dem Zorn des Menschen
Zorn warhafftig begriffen wären/ (si compre-
henderentur tanquam species univocae sub ira
tanquam genere univoco
) wie wolte man
denselben
Zorn beschreiben? Es würde noth-
wendig seyn/ daß derselbe general-Zorn eine Ge-
müths-Neigung wäre/ die so wohl auff das gute
als das böse/ so wohl auff das Gegenwärtige als
Zukünfftige ihr Absehen richtete: Welches doch
kein Mensch sagen würde: Weil so dann der
Zorn kein absonderlicher
Affect mehr seyn wür-
de/ sondern man würde auff diese Weise alle Ge-
müths-Bewegungen überhaupt Zorn nennen/
welches abermahls unförmlich wäre.

35. Können nun diese zwey unterschiedene
Zorn Bedeutungen nicht unter eine gemeine Be-
schreibung gebracht werden/ sondern haben
gantz unterschiedene und einander entgegen
gesetzte
Beschreibungen/ so gehören sie unter
die zwey-deutigen und dunckelen
Wörter
(inter aequivoca) und muß dannenhero von die-
sen Bedeutungen zum wenigsten nur eine die ei-
gentliche/ die andre aber eine uneigentliche
Redens-
Art seyn. Nun geben aber alle zu/
daß der Zorn/ so ferne er eine Rachbegierde ist/
ein eigentlicher Zorn sey; Ja die Schrifft selbst/
wenn sie von Zorn des Menschen redet/ verstehet
sie die Begierde sich zu rächen; derowegen muß
die andre Bedeutung nothwendig uneigentlich

seyn/

Das 13. H. Von dem Zorn des Menſchen
Zorn warhafftig begriffen waͤren/ (ſi compre-
henderentur tanquàm ſpecies univocæ ſub irâ
tanquam genere univoco
) wie wolte man
denſelben
Zorn beſchreiben? Es wuͤrde noth-
wendig ſeyn/ daß derſelbe general-Zorn eine Ge-
muͤths-Neigung waͤre/ die ſo wohl auff das gute
als das boͤſe/ ſo wohl auff das Gegenwaͤrtige als
Zukuͤnfftige ihr Abſehen richtete: Welches doch
kein Menſch ſagen wuͤrde: Weil ſo dann der
Zorn kein abſonderlicher
Affect mehr ſeyn wuͤr-
de/ ſondern man wuͤrde auff dieſe Weiſe alle Ge-
muͤths-Bewegungen uͤberhaupt Zorn nennen/
welches abermahls unfoͤrmlich waͤre.

35. Koͤnnen nun dieſe zwey unterſchiedene
Zorn Bedeutungen nicht unter eine gemeine Be-
ſchreibung gebracht werden/ ſondern haben
gantz unterſchiedene und einander entgegen
geſetzte
Beſchreibungen/ ſo gehoͤren ſie unter
die zwey-deutigen und dunckelen
Woͤrter
(inter æquivoca) und muß dannenhero von die-
ſen Bedeutungen zum wenigſten nur eine die ei-
gentliche/ die andre aber eine uneigentliche
Redens-
Art ſeyn. Nun geben aber alle zu/
daß der Zorn/ ſo ferne er eine Rachbegierde iſt/
ein eigentlicher Zorn ſey; Ja die Schrifft ſelbſt/
wenn ſie von Zorn des Menſchen redet/ verſtehet
ſie die Begierde ſich zu raͤchen; derowegen muß
die andre Bedeutung nothwendig uneigentlich

ſeyn/
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0436" n="424"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 13. H. Von dem Zorn des Men&#x017F;chen</hi></fw><lb/>
Z<hi rendition="#fr">orn</hi> warhafftig begriffen wa&#x0364;ren/ (<hi rendition="#aq">&#x017F;i compre-<lb/>
henderentur tanquàm &#x017F;pecies univocæ &#x017F;ub irâ<lb/>
tanquam genere univoco</hi>) <hi rendition="#fr">wie wolte man<lb/>
den&#x017F;elben</hi> Z<hi rendition="#fr">orn be&#x017F;chreiben</hi>? Es wu&#x0364;rde noth-<lb/>
wendig &#x017F;eyn/ daß der&#x017F;elbe <hi rendition="#aq">general-</hi>Zorn eine Ge-<lb/>
mu&#x0364;ths-Neigung wa&#x0364;re/ die &#x017F;o wohl auff das gute<lb/>
als das bo&#x0364;&#x017F;e/ &#x017F;o wohl auff das Gegenwa&#x0364;rtige als<lb/>
Zuku&#x0364;nfftige ihr Ab&#x017F;ehen richtete: Welches doch<lb/>
kein Men&#x017F;ch &#x017F;agen wu&#x0364;rde: Weil &#x017F;o dann <hi rendition="#fr">der<lb/>
Zorn kein ab&#x017F;onderlicher</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Affect</hi></hi> <hi rendition="#fr">mehr</hi> &#x017F;eyn wu&#x0364;r-<lb/>
de/ &#x017F;ondern man wu&#x0364;rde auff die&#x017F;e Wei&#x017F;e alle Ge-<lb/>
mu&#x0364;ths-Bewegungen u&#x0364;berhaupt <hi rendition="#fr">Zorn</hi> nennen/<lb/>
welches abermahls unfo&#x0364;rmlich wa&#x0364;re.</p><lb/>
        <p>35. Ko&#x0364;nnen nun die&#x017F;e zwey unter&#x017F;chiedene<lb/>
Zorn Bedeutungen nicht unter eine gemeine Be-<lb/>
&#x017F;chreibung gebracht werden/ &#x017F;ondern haben<lb/><hi rendition="#fr">gantz unter&#x017F;chiedene und einander entgegen<lb/>
ge&#x017F;etzte</hi> B<hi rendition="#fr">e&#x017F;chreibungen/ &#x017F;o geho&#x0364;ren &#x017F;ie unter<lb/>
die zwey-deutigen und dunckelen</hi> W<hi rendition="#fr">o&#x0364;rter</hi><lb/>
(<hi rendition="#aq">inter æquivoca</hi>) und muß dannenhero von die-<lb/>
&#x017F;en Bedeutungen zum wenig&#x017F;ten <hi rendition="#fr">nur eine die ei-<lb/>
gentliche/ die andre aber eine uneigentliche<lb/>
Redens-</hi>A<hi rendition="#fr">rt &#x017F;eyn.</hi> Nun geben aber alle zu/<lb/>
daß der Zorn/ &#x017F;o ferne er eine Rachbegierde i&#x017F;t/<lb/>
ein eigentlicher Zorn &#x017F;ey; Ja die Schrifft &#x017F;elb&#x017F;t/<lb/>
wenn &#x017F;ie von Zorn des Men&#x017F;chen redet/ ver&#x017F;tehet<lb/>
&#x017F;ie die Begierde &#x017F;ich zu ra&#x0364;chen; derowegen muß<lb/>
die andre Bedeutung nothwendig uneigentlich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eyn/</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[424/0436] Das 13. H. Von dem Zorn des Menſchen Zorn warhafftig begriffen waͤren/ (ſi compre- henderentur tanquàm ſpecies univocæ ſub irâ tanquam genere univoco) wie wolte man denſelben Zorn beſchreiben? Es wuͤrde noth- wendig ſeyn/ daß derſelbe general-Zorn eine Ge- muͤths-Neigung waͤre/ die ſo wohl auff das gute als das boͤſe/ ſo wohl auff das Gegenwaͤrtige als Zukuͤnfftige ihr Abſehen richtete: Welches doch kein Menſch ſagen wuͤrde: Weil ſo dann der Zorn kein abſonderlicher Affect mehr ſeyn wuͤr- de/ ſondern man wuͤrde auff dieſe Weiſe alle Ge- muͤths-Bewegungen uͤberhaupt Zorn nennen/ welches abermahls unfoͤrmlich waͤre. 35. Koͤnnen nun dieſe zwey unterſchiedene Zorn Bedeutungen nicht unter eine gemeine Be- ſchreibung gebracht werden/ ſondern haben gantz unterſchiedene und einander entgegen geſetzte Beſchreibungen/ ſo gehoͤren ſie unter die zwey-deutigen und dunckelen Woͤrter (inter æquivoca) und muß dannenhero von die- ſen Bedeutungen zum wenigſten nur eine die ei- gentliche/ die andre aber eine uneigentliche Redens-Art ſeyn. Nun geben aber alle zu/ daß der Zorn/ ſo ferne er eine Rachbegierde iſt/ ein eigentlicher Zorn ſey; Ja die Schrifft ſelbſt/ wenn ſie von Zorn des Menſchen redet/ verſtehet ſie die Begierde ſich zu raͤchen; derowegen muß die andre Bedeutung nothwendig uneigentlich ſeyn/

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/436
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/436>, abgerufen am 16.04.2024.