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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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der Menschlichen Gemüths-Neigungen.
bald gefasset werden? Also welcher Gelehrter
will sich unterstehen das unterschiedene Wasser
und Feuer der Edelgesteine/ dadurch man sel-
bige unterscheidet/ auch in der subtilesten disser-
tation
deutlicher zubeschreiben/ als ein Jubilirer
selbige in einer kurtzen Zeit an denen Edelgestet-
nen selbst zeigen kan.

4. Wilst du aber andre Leute kennen
lernen/ mustu ein gut Auge haben.
Denn
dieses kan dir dein Lehrmeister so wenig geben
als ein Jubilirer dem/ so Edelgesteine will ken-
nen lernen. Dieses gute Auge bestehet darin-
nen/ daß du deinen Verstand von Vorurthei-
len gesaubert
habest/ und dich selbsten zu vor-
hero kennen lernen.
Denn sonst wirstu in der
Erkäntniß anderer Menschen dich öffter betrie-
gen/ als wohl urtheilen/ zum wenigsten nie etwas
gegründetes in dieser Wissenschafft praestiren.
Jch habe es schon offte erfahren/ daß viele die
Kunst andere Menschen zu kennen/ gerne lernen
wollen/ wenn sie aber vernommen/ daß sie durch
diesen Weg eingehen müsten/ habe ich ihrer noch
wenig gefunden/ die nicht mit Verdruß oder
Betrübniß wieder zurücke gangen wären.

5. Bringstu aber auch gleich ein gut
Auge mit/ so bemühe dich doch/ daß du in
dem Urtheil von andern Menschen al-
le
Affecten beyseite legest/ so wohl Haß
als Liebe
u. s. w. Was ich gerne hätte/ das
betrachte ich schon nicht allemahl so bedachtsam/

als

der Menſchlichen Gemuͤths-Neigungen.
bald gefaſſet werden? Alſo welcher Gelehrter
will ſich unterſtehen das unterſchiedene Waſſer
und Feuer der Edelgeſteine/ dadurch man ſel-
bige unterſcheidet/ auch in der ſubtileſten diſſer-
tation
deutlicher zubeſchreiben/ als ein Jubilirer
ſelbige in einer kurtzen Zeit an denen Edelgeſtet-
nen ſelbſt zeigen kan.

4. Wilſt du aber andre Leute kennen
lernen/ muſtu ein gut Auge haben.
Denn
dieſes kan dir dein Lehrmeiſter ſo wenig geben
als ein Jubilirer dem/ ſo Edelgeſteine will ken-
nen lernen. Dieſes gute Auge beſtehet darin-
nen/ daß du deinen Verſtand von Vorurthei-
len geſaubert
habeſt/ und dich ſelbſten zu vor-
hero kennen lernen.
Denn ſonſt wirſtu in der
Erkaͤntniß anderer Menſchen dich oͤffter betrie-
gen/ als wohl urtheilen/ zum wenigſten nie etwas
gegruͤndetes in dieſer Wiſſenſchafft præſtiren.
Jch habe es ſchon offte erfahren/ daß viele die
Kunſt andere Menſchen zu kennen/ gerne lernen
wollen/ wenn ſie aber vernommen/ daß ſie durch
dieſen Weg eingehen muͤſten/ habe ich ihrer noch
wenig gefunden/ die nicht mit Verdruß oder
Betruͤbniß wieder zuruͤcke gangen waͤren.

5. Bringſtu aber auch gleich ein gut
Auge mit/ ſo bemuͤhe dich doch/ daß du in
dem Urtheil von andern Menſchen al-
le
Affecten beyſeite legeſt/ ſo wohl Haß
als Liebe
u. ſ. w. Was ich gerne haͤtte/ das
betrachte ich ſchon nicht allemahl ſo bedachtſam/

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[397/0409] der Menſchlichen Gemuͤths-Neigungen. bald gefaſſet werden? Alſo welcher Gelehrter will ſich unterſtehen das unterſchiedene Waſſer und Feuer der Edelgeſteine/ dadurch man ſel- bige unterſcheidet/ auch in der ſubtileſten diſſer- tation deutlicher zubeſchreiben/ als ein Jubilirer ſelbige in einer kurtzen Zeit an denen Edelgeſtet- nen ſelbſt zeigen kan. 4. Wilſt du aber andre Leute kennen lernen/ muſtu ein gut Auge haben. Denn dieſes kan dir dein Lehrmeiſter ſo wenig geben als ein Jubilirer dem/ ſo Edelgeſteine will ken- nen lernen. Dieſes gute Auge beſtehet darin- nen/ daß du deinen Verſtand von Vorurthei- len geſaubert habeſt/ und dich ſelbſten zu vor- hero kennen lernen. Denn ſonſt wirſtu in der Erkaͤntniß anderer Menſchen dich oͤffter betrie- gen/ als wohl urtheilen/ zum wenigſten nie etwas gegruͤndetes in dieſer Wiſſenſchafft præſtiren. Jch habe es ſchon offte erfahren/ daß viele die Kunſt andere Menſchen zu kennen/ gerne lernen wollen/ wenn ſie aber vernommen/ daß ſie durch dieſen Weg eingehen muͤſten/ habe ich ihrer noch wenig gefunden/ die nicht mit Verdruß oder Betruͤbniß wieder zuruͤcke gangen waͤren. 5. Bringſtu aber auch gleich ein gut Auge mit/ ſo bemuͤhe dich doch/ daß du in dem Urtheil von andern Menſchen al- le Affecten beyſeite legeſt/ ſo wohl Haß als Liebe u. ſ. w. Was ich gerne haͤtte/ das betrachte ich ſchon nicht allemahl ſo bedachtſam/ als

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/409>, abgerufen am 29.03.2024.