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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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der drey Haupt-Laster.
lust und dem Geldgeitz gemein/ und macht/ daß
sie vermischet werden können.

36. Aus diesen allen ist nun offenbar/ daß
alle Menschen alle vier Gemüths-Neigun-
gen bey sich haben.
Von der vernünfftigen
Liebe haben wir nur kurtz vorher solches erwiesen.
Von denen drey lasterhafften Haupt-affecten
beruffen wir uns auf eines jeden seine eigene
Erfahrung/
wenn er sich nur nicht muthwillig
selbst betriegen wil. Ein Ehrgeitziger und Geld-
geitziger habe noch so wenig Wollust als er wol-
le: Getrauet er sich wohl eine Stunde unter na-
ckenden Weibes-Personen ohne Empfin-
dung fleischlicher Begierden auszuhalten? Oder
eine Stunde lächerliche Narrenpossen anzuhö-
ren/ ohne nicht mit zu lachen? Ein Wollüstiger
und Geldgeitziger habe noch so wenig Ehrgeitz
als er wolle/ er wird doch gerne sehen/ wenn er
gelobet wird; Und wenn er höret/ daß alle Leute/
wegen seines Geitzes/ Ubels von ihm reden/ wird
er/ wie man zu reden pflegt/ seiner Seelen ein-
mahl einen Stoß geben/ und durch eine affectirte
Freygebigkeit/ sie komme nun so lächerlich heraus/
als sie wolle/ Ehre einzulegen trachten. Ein Ehr-
geitziger und Wollüftiger mag noch so wenig
Geldgeitz haben als er wil/ so wird er doch bey
sich befinden/ daß er/ um grosses Geld zu gewin-
nen/ wohl ein wenig Ehre hazardiren solte.

37. Wenn nun alle Menschen vernünfftige
und unvernünfftige Liebe haben/ und gleichwohl

diese

der drey Haupt-Laſter.
luſt und dem Geldgeitz gemein/ und macht/ daß
ſie vermiſchet werden koͤnnen.

36. Aus dieſen allen iſt nun offenbar/ daß
alle Menſchen alle vier Gemuͤths-Neigun-
gen bey ſich haben.
Von der vernuͤnfftigen
Liebe haben wir nur kurtz vorher ſolches erwieſen.
Von denen drey laſterhafften Haupt-affecten
beruffen wir uns auf eines jeden ſeine eigene
Erfahrung/
wenn er ſich nur nicht muthwillig
ſelbſt betriegen wil. Ein Ehrgeitziger und Geld-
geitziger habe noch ſo wenig Wolluſt als er wol-
le: Getrauet er ſich wohl eine Stunde unter na-
ckenden Weibes-Perſonen ohne Empfin-
dung fleiſchlicher Begierden auszuhalten? Oder
eine Stunde laͤcherliche Narrenpoſſen anzuhoͤ-
ren/ ohne nicht mit zu lachen? Ein Wolluͤſtiger
und Geldgeitziger habe noch ſo wenig Ehrgeitz
als er wolle/ er wird doch gerne ſehen/ wenn er
gelobet wird; Und wenn er hoͤret/ daß alle Leute/
wegen ſeines Geitzes/ Ubels von ihm reden/ wird
er/ wie man zu reden pflegt/ ſeiner Seelen ein-
mahl einen Stoß geben/ und durch eine affectirte
Fꝛeygebigkeit/ ſie komme nun ſo laͤcherlich heraus/
als ſie wolle/ Ehre einzulegen trachten. Ein Ehr-
geitziger und Wolluͤftiger mag noch ſo wenig
Geldgeitz haben als er wil/ ſo wird er doch bey
ſich befinden/ daß er/ um groſſes Geld zu gewin-
nen/ wohl ein wenig Ehre hazardiren ſolte.

37. Wenn nun alle Menſchen vernuͤnfftige
und unvernuͤnfftige Liebe haben/ und gleichwohl

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[349/0361] der drey Haupt-Laſter. luſt und dem Geldgeitz gemein/ und macht/ daß ſie vermiſchet werden koͤnnen. 36. Aus dieſen allen iſt nun offenbar/ daß alle Menſchen alle vier Gemuͤths-Neigun- gen bey ſich haben. Von der vernuͤnfftigen Liebe haben wir nur kurtz vorher ſolches erwieſen. Von denen drey laſterhafften Haupt-affecten beruffen wir uns auf eines jeden ſeine eigene Erfahrung/ wenn er ſich nur nicht muthwillig ſelbſt betriegen wil. Ein Ehrgeitziger und Geld- geitziger habe noch ſo wenig Wolluſt als er wol- le: Getrauet er ſich wohl eine Stunde unter na- ckenden Weibes-Perſonen ohne Empfin- dung fleiſchlicher Begierden auszuhalten? Oder eine Stunde laͤcherliche Narrenpoſſen anzuhoͤ- ren/ ohne nicht mit zu lachen? Ein Wolluͤſtiger und Geldgeitziger habe noch ſo wenig Ehrgeitz als er wolle/ er wird doch gerne ſehen/ wenn er gelobet wird; Und wenn er hoͤret/ daß alle Leute/ wegen ſeines Geitzes/ Ubels von ihm reden/ wird er/ wie man zu reden pflegt/ ſeiner Seelen ein- mahl einen Stoß geben/ und durch eine affectirte Fꝛeygebigkeit/ ſie komme nun ſo laͤcherlich heraus/ als ſie wolle/ Ehre einzulegen trachten. Ein Ehr- geitziger und Wolluͤftiger mag noch ſo wenig Geldgeitz haben als er wil/ ſo wird er doch bey ſich befinden/ daß er/ um groſſes Geld zu gewin- nen/ wohl ein wenig Ehre hazardiren ſolte. 37. Wenn nun alle Menſchen vernuͤnfftige und unvernuͤnfftige Liebe haben/ und gleichwohl dieſe

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/361>, abgerufen am 19.04.2024.