Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 12. H. von der Vermischung
nahe an die beyde dominirenden Begierden
der Wollust und des Ehrgeitzes/ aut vice versa,
so kriegt die scheinbare verschwiegene Offen-
hertzigkeit
eine ziemliche tinctur von dem falsi-
loquio
oder Unwarheit und dissimulation des
Geitzes/ welches aber die Welt bald mit der
Larve einer verständigen Klugheit und cir-
cumspection
zu bedecken suchet: Die schein-
bare gutthätige Freygebigkeit wechselt zuweilen
mit etwas Unbarmhertzigkeit und Knickerey/
und die scheinbare Sparsamkeit mit einer ziem-
lichen dosi der Lauserey ab/ welches die Poli-
tische Welt/ sorgfältige Haußhältigkeit nen-
net: Die scheinbare gleichmühtige Freundligkeit/
ist in Glück ziemlich intonirt, und in Unglück
etwas sclavisch/ welches der Menschlichen
Natur
so dann zugeschrieben wird. Die schein-
bare geduldige Hertzhafftigkeit hat etwas von
der couleur der hämischen Grausamkeit/ und die
scheinbare geduldige Großmuth etwas von ver-
beissender Nachtragung angenommen/ welches
man eine generose Verschlagenheit nennet. Die
scheinbare nüchterne u. mäßige Keuschheit krieget
noch einen scheinbarern Anstrich durch die stren-
ge Nüchternheit und Haß weibliches Ge-
schlechts.
Die scheinbare geschäfftige Mun-
terkeit bekommet mehr Arbeitsamkeit/ aber die
scheinbare freudige Dienstfertigkeit verlieret
ein ziemliches von ihren falschen lustre durch den

An-

Das 12. H. von der Vermiſchung
nahe an die beyde dominirenden Begierden
der Wolluſt und des Ehrgeitzes/ aut vice versâ,
ſo kriegt die ſcheinbare verſchwiegene Offen-
hertzigkeit
eine ziemliche tinctur von dem falſi-
loquio
oder Unwarheit und diſſimulation des
Geitzes/ welches aber die Welt bald mit der
Larve einer verſtaͤndigen Klugheit und cir-
cumſpection
zu bedecken ſuchet: Die ſchein-
bare gutthaͤtige Freygebigkeit wechſelt zuweilen
mit etwas Unbarmhertzigkeit und Knickerey/
und die ſcheinbare Sparſamkeit mit einer ziem-
lichen doſi der Lauſerey ab/ welches die Poli-
tiſche Welt/ ſorgfaͤltige Haußhaͤltigkeit nen-
net: Die ſcheinbare gleichmuͤhtige Freundligkeit/
iſt in Gluͤck ziemlich intonirt, und in Ungluͤck
etwas ſclaviſch/ welches der Menſchlichen
Natur
ſo dann zugeſchrieben wird. Die ſchein-
bare geduldige Hertzhafftigkeit hat etwas von
der couleur der haͤmiſchen Grauſamkeit/ und die
ſcheinbare geduldige Großmuth etwas von ver-
beiſſender Nachtragung angenommen/ welches
man eine generoſe Verſchlagenheit nennet. Die
ſcheinbare nuͤchterne u. maͤßige Keuſchheit krieget
noch einen ſcheinbarern Anſtrich durch die ſtren-
ge Nuͤchternheit und Haß weibliches Ge-
ſchlechts.
Die ſcheinbare geſchaͤfftige Mun-
terkeit bekommet mehr Arbeitſamkeit/ aber die
ſcheinbare freudige Dienſtfertigkeit verlieret
ein ziemliches von ihren falſchen luſtre durch den

An-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0326" n="314"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 12. H. von der Vermi&#x017F;chung</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">nahe</hi> an die beyde <hi rendition="#aq">domini</hi>renden Begierden<lb/>
der Wollu&#x017F;t und des Ehrgeitzes/ <hi rendition="#aq">aut vice versâ,</hi><lb/>
&#x017F;o kriegt die &#x017F;cheinbare ver&#x017F;chwiegene <hi rendition="#fr">Offen-<lb/>
hertzigkeit</hi> eine ziemliche <hi rendition="#aq">tinctur</hi> von dem <hi rendition="#aq">fal&#x017F;i-<lb/>
loquio</hi> oder <hi rendition="#fr">Unwarheit</hi> und <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">di&#x017F;&#x017F;imulation</hi></hi> des<lb/>
Geitzes/ welches aber die Welt bald mit der<lb/>
Larve einer <hi rendition="#fr">ver&#x017F;ta&#x0364;ndigen Klugheit</hi> und <hi rendition="#aq">cir-<lb/>
cum&#x017F;pection</hi> zu bedecken &#x017F;uchet: Die &#x017F;chein-<lb/>
bare guttha&#x0364;tige Freygebigkeit wech&#x017F;elt zuweilen<lb/>
mit etwas Unbarmhertzigkeit und Knickerey/<lb/>
und die &#x017F;cheinbare Spar&#x017F;amkeit mit einer ziem-<lb/>
lichen <hi rendition="#aq">do&#x017F;i</hi> der Lau&#x017F;erey ab/ welches die Poli-<lb/>
ti&#x017F;che Welt/ <hi rendition="#fr">&#x017F;orgfa&#x0364;ltige Haußha&#x0364;ltigkeit</hi> nen-<lb/>
net: Die &#x017F;cheinbare gleichmu&#x0364;htige Freundligkeit/<lb/>
i&#x017F;t in Glu&#x0364;ck ziemlich <hi rendition="#aq">intonirt,</hi> und in Unglu&#x0364;ck<lb/>
etwas &#x017F;clavi&#x017F;ch/ welches <hi rendition="#fr">der Men&#x017F;chlichen<lb/>
Natur</hi> &#x017F;o dann zuge&#x017F;chrieben wird. Die &#x017F;chein-<lb/>
bare geduldige Hertzhafftigkeit hat etwas von<lb/>
der <hi rendition="#aq">couleur</hi> der ha&#x0364;mi&#x017F;chen Grau&#x017F;amkeit/ und die<lb/>
&#x017F;cheinbare geduldige Großmuth etwas von ver-<lb/>
bei&#x017F;&#x017F;ender Nachtragung angenommen/ welches<lb/>
man eine <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">genero&#x017F;e</hi></hi> <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;chlagenheit</hi> nennet. Die<lb/>
&#x017F;cheinbare nu&#x0364;chterne u. ma&#x0364;ßige Keu&#x017F;chheit krieget<lb/>
noch einen &#x017F;cheinbarern An&#x017F;trich durch die <hi rendition="#fr">&#x017F;tren-<lb/>
ge Nu&#x0364;chternheit und Haß weibliches Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts.</hi> Die &#x017F;cheinbare ge&#x017F;cha&#x0364;fftige Mun-<lb/>
terkeit bekommet <hi rendition="#fr">mehr Arbeit&#x017F;amkeit/</hi> aber die<lb/>
&#x017F;cheinbare freudige <hi rendition="#fr">Dien&#x017F;tfertigkeit verlieret</hi><lb/>
ein ziemliches von ihren fal&#x017F;chen <hi rendition="#aq">lu&#x017F;tre</hi> durch den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">An-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0326] Das 12. H. von der Vermiſchung nahe an die beyde dominirenden Begierden der Wolluſt und des Ehrgeitzes/ aut vice versâ, ſo kriegt die ſcheinbare verſchwiegene Offen- hertzigkeit eine ziemliche tinctur von dem falſi- loquio oder Unwarheit und diſſimulation des Geitzes/ welches aber die Welt bald mit der Larve einer verſtaͤndigen Klugheit und cir- cumſpection zu bedecken ſuchet: Die ſchein- bare gutthaͤtige Freygebigkeit wechſelt zuweilen mit etwas Unbarmhertzigkeit und Knickerey/ und die ſcheinbare Sparſamkeit mit einer ziem- lichen doſi der Lauſerey ab/ welches die Poli- tiſche Welt/ ſorgfaͤltige Haußhaͤltigkeit nen- net: Die ſcheinbare gleichmuͤhtige Freundligkeit/ iſt in Gluͤck ziemlich intonirt, und in Ungluͤck etwas ſclaviſch/ welches der Menſchlichen Natur ſo dann zugeſchrieben wird. Die ſchein- bare geduldige Hertzhafftigkeit hat etwas von der couleur der haͤmiſchen Grauſamkeit/ und die ſcheinbare geduldige Großmuth etwas von ver- beiſſender Nachtragung angenommen/ welches man eine generoſe Verſchlagenheit nennet. Die ſcheinbare nuͤchterne u. maͤßige Keuſchheit krieget noch einen ſcheinbarern Anſtrich durch die ſtren- ge Nuͤchternheit und Haß weibliches Ge- ſchlechts. Die ſcheinbare geſchaͤfftige Mun- terkeit bekommet mehr Arbeitſamkeit/ aber die ſcheinbare freudige Dienſtfertigkeit verlieret ein ziemliches von ihren falſchen luſtre durch den An-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/326
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/326>, abgerufen am 25.04.2024.