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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 11. H. von dem Geld-Geitz/
ches die Tugend denen Tugendhafften und die
Ehrgierde dem Ehrgeitzigen giebet. Ein
Geldgeitziger aber findet keine Liebe bey sich
die ihn zur Verschwiegenheit der Geheim-
nüsse anderer Menschen antriebe oder Kräffte
gäbe. Sein Geld und seine Sachen ver-
schweiget er/ und wenn er anderer Leute Din-
ge schweigen soll muß man ihm die Verschwie-
genheit mit Geld abkauffen. Wer nun mehr
bietet oder giebt/ dem vertrauet er solche Ge-
heimnisse/ und wird zum Verräther. Man
kan also auff seine Treue nicht bauen/ weil
er keine hat. Ein Tugendhaffter ist offenher-
tzig aus Liebe/ ein Wollüstiger aus Unbedacht-
samkeit und Unverstand/ ein Ehrgeitziger wird
durch seinen Ehrgeitz gehindert nicht offenher-
tzig zu seyn/ weil er diese Tugend für eine
Schwachheit hält/ also dissimuliret er und
kann die Warheit verhalten. Ein Geldgeitzi-
ger
aber/ in dem er glaubet/ daß ihm die
Offenhertzigkeit Schaden bringe/ und ihn
seines Geldes und Guts beraube/ oder an des-
sen Erwerbung hindere/ geht er noch weiter
als ein Ehrgeitziger/ (und ist also auch der
Tugend und Wollust in diesen Stück noch
mehr entgegen gesetzt) weil er über die dissi-
mulation
auch noch simuliret und über die
Verschweigung der Warheit noch der Lügen
sich ergiebet/ welches ein Ehrgeitziger für unge-
ziemend und schändlich hält.

31. Ein

Das 11. H. von dem Geld-Geitz/
ches die Tugend denen Tugendhafften und die
Ehrgierde dem Ehrgeitzigen giebet. Ein
Geldgeitziger aber findet keine Liebe bey ſich
die ihn zur Verſchwiegenheit der Geheim-
nuͤſſe anderer Menſchen antriebe oder Kraͤffte
gaͤbe. Sein Geld und ſeine Sachen ver-
ſchweiget er/ und wenn er anderer Leute Din-
ge ſchweigen ſoll muß man ihm die Verſchwie-
genheit mit Geld abkauffen. Wer nun mehr
bietet oder giebt/ dem vertrauet er ſolche Ge-
heimniſſe/ und wird zum Verraͤther. Man
kan alſo auff ſeine Treue nicht bauen/ weil
er keine hat. Ein Tugendhaffter iſt offenher-
tzig aus Liebe/ ein Wolluͤſtiger aus Unbedacht-
ſamkeit und Unverſtand/ ein Ehrgeitziger wird
durch ſeinen Ehrgeitz gehindert nicht offenher-
tzig zu ſeyn/ weil er dieſe Tugend fuͤr eine
Schwachheit haͤlt/ alſo diſſimuliret er und
kann die Warheit verhalten. Ein Geldgeitzi-
ger
aber/ in dem er glaubet/ daß ihm die
Offenhertzigkeit Schaden bringe/ und ihn
ſeines Geldes und Guts beraube/ oder an des-
ſen Erwerbung hindere/ geht er noch weiter
als ein Ehrgeitziger/ (und iſt alſo auch der
Tugend und Wolluſt in dieſen Stuͤck noch
mehr entgegen geſetzt) weil er uͤber die disſi-
mulation
auch noch ſimuliret und uͤber die
Verſchweigung der Warheit noch der Luͤgen
ſich ergiebet/ welches ein Ehrgeitziger fuͤr unge-
ziemend und ſchaͤndlich haͤlt.

31. Ein
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[290/0302] Das 11. H. von dem Geld-Geitz/ ches die Tugend denen Tugendhafften und die Ehrgierde dem Ehrgeitzigen giebet. Ein Geldgeitziger aber findet keine Liebe bey ſich die ihn zur Verſchwiegenheit der Geheim- nuͤſſe anderer Menſchen antriebe oder Kraͤffte gaͤbe. Sein Geld und ſeine Sachen ver- ſchweiget er/ und wenn er anderer Leute Din- ge ſchweigen ſoll muß man ihm die Verſchwie- genheit mit Geld abkauffen. Wer nun mehr bietet oder giebt/ dem vertrauet er ſolche Ge- heimniſſe/ und wird zum Verraͤther. Man kan alſo auff ſeine Treue nicht bauen/ weil er keine hat. Ein Tugendhaffter iſt offenher- tzig aus Liebe/ ein Wolluͤſtiger aus Unbedacht- ſamkeit und Unverſtand/ ein Ehrgeitziger wird durch ſeinen Ehrgeitz gehindert nicht offenher- tzig zu ſeyn/ weil er dieſe Tugend fuͤr eine Schwachheit haͤlt/ alſo diſſimuliret er und kann die Warheit verhalten. Ein Geldgeitzi- ger aber/ in dem er glaubet/ daß ihm die Offenhertzigkeit Schaden bringe/ und ihn ſeines Geldes und Guts beraube/ oder an des- ſen Erwerbung hindere/ geht er noch weiter als ein Ehrgeitziger/ (und iſt alſo auch der Tugend und Wolluſt in dieſen Stuͤck noch mehr entgegen geſetzt) weil er uͤber die disſi- mulation auch noch ſimuliret und uͤber die Verſchweigung der Warheit noch der Luͤgen ſich ergiebet/ welches ein Ehrgeitziger fuͤr unge- ziemend und ſchaͤndlich haͤlt. 31. Ein

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/302>, abgerufen am 19.04.2024.