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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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des allgemeinen Unglücks.

25. Zwar werden wir nicht gäntzlich irren/
wenn wir den Ursprung dieses Ubels auff gewis-
se Maße in dem verderbten Verstande des
Menschen und in denen Vorurtheilen der
Uebereylung und Menschlicher Autorität (von
denen wir zu Ende des Ersten Theils der Ver-
nunfft-Lehre ausführlich gehandelt) suchen wol-
len. Denn gleichwie aus diesen beyden Brun-
qvellen der Thorheit alle Jrrthümer entstehen;
also verfehlen wir auch durch dieselben der War-
heit in der Erkäntnüs des guten und bösen. Und
ob wohl das gute und böse mehr zu dem Willen
als zu dem Verstande des Menschen gehöret;
so ist doch der Verstand und der Wille allezeit
mit einander verknüpfft/ und der Wille verlanget
wohl nach gemeiner Lehre das gute/ aber der
Verstand beurtheilet dasselbige/ und der Wille
begehret dasjenige niemahls/ wovon der Ver-
stand gar nicht weiß. Woraus abermahl zu-
fließen scheinet/ daß der ursprüngliche Anfang
alles Elendes daher komme/ daß der Verstand
des Menschen durch die Vorurtheile verleitet/
in Erkäntnüs des guten und bösen irre/ und indem
Er das böse für gut/ und das gute für böse aus-
giebet/ den unschuldigen Willen verleite/ jenen
nachzutrachten/ und dieses von sich zustoßen.

26. Jedoch wenn wir die Natur des Men-
schen ein wenig genauer betrachten/ und den Un-
terscheid/ den wir zwischen dem wahren und fal-
schen an einem/ und dem guten und bösen am

an-
des allgemeinen Ungluͤcks.

25. Zwar werden wir nicht gaͤntzlich irren/
wenn wir den Urſprung dieſes Ubels auff gewiſ-
ſe Maße in dem verderbten Verſtande des
Menſchen und in denen Vorurtheilen der
Uebereylung und Menſchlicher Autoritaͤt (von
denen wir zu Ende des Erſten Theils der Ver-
nunfft-Lehre ausfuͤhrlich gehandelt) ſuchen wol-
len. Denn gleichwie aus dieſen beyden Brun-
qvellen der Thorheit alle Jrrthuͤmer entſtehen;
alſo verfehlen wir auch durch dieſelben der War-
heit in der Erkaͤntnuͤs des guten und boͤſen. Und
ob wohl das gute und boͤſe mehr zu dem Willen
als zu dem Verſtande des Menſchen gehoͤret;
ſo iſt doch der Verſtand und der Wille allezeit
mit einander verknuͤpfft/ und der Wille verlanget
wohl nach gemeiner Lehre das gute/ aber der
Verſtand beurtheilet daſſelbige/ und der Wille
begehret dasjenige niemahls/ wovon der Ver-
ſtand gar nicht weiß. Woraus abermahl zu-
fließen ſcheinet/ daß der urſpruͤngliche Anfang
alles Elendes daher komme/ daß der Verſtand
des Menſchen durch die Vorurtheile verleitet/
in Erkaͤntnuͤs des guten und boͤſen irre/ und indem
Er das boͤſe fuͤr gut/ und das gute fuͤr boͤſe aus-
giebet/ den unſchuldigen Willen verleite/ jenen
nachzutrachten/ und dieſes von ſich zuſtoßen.

26. Jedoch wenn wir die Natur des Men-
ſchen ein wenig genauer betrachten/ und den Un-
terſcheid/ den wir zwiſchen dem wahren und fal-
ſchen an einem/ und dem guten und boͤſen am

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[15/0027] des allgemeinen Ungluͤcks. 25. Zwar werden wir nicht gaͤntzlich irren/ wenn wir den Urſprung dieſes Ubels auff gewiſ- ſe Maße in dem verderbten Verſtande des Menſchen und in denen Vorurtheilen der Uebereylung und Menſchlicher Autoritaͤt (von denen wir zu Ende des Erſten Theils der Ver- nunfft-Lehre ausfuͤhrlich gehandelt) ſuchen wol- len. Denn gleichwie aus dieſen beyden Brun- qvellen der Thorheit alle Jrrthuͤmer entſtehen; alſo verfehlen wir auch durch dieſelben der War- heit in der Erkaͤntnuͤs des guten und boͤſen. Und ob wohl das gute und boͤſe mehr zu dem Willen als zu dem Verſtande des Menſchen gehoͤret; ſo iſt doch der Verſtand und der Wille allezeit mit einander verknuͤpfft/ und der Wille verlanget wohl nach gemeiner Lehre das gute/ aber der Verſtand beurtheilet daſſelbige/ und der Wille begehret dasjenige niemahls/ wovon der Ver- ſtand gar nicht weiß. Woraus abermahl zu- fließen ſcheinet/ daß der urſpruͤngliche Anfang alles Elendes daher komme/ daß der Verſtand des Menſchen durch die Vorurtheile verleitet/ in Erkaͤntnuͤs des guten und boͤſen irre/ und indem Er das boͤſe fuͤr gut/ und das gute fuͤr boͤſe aus- giebet/ den unſchuldigen Willen verleite/ jenen nachzutrachten/ und dieſes von ſich zuſtoßen. 26. Jedoch wenn wir die Natur des Men- ſchen ein wenig genauer betrachten/ und den Un- terſcheid/ den wir zwiſchen dem wahren und fal- ſchen an einem/ und dem guten und boͤſen am an-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/27>, abgerufen am 25.04.2024.