Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite
Das 9. H. Von der Wollust

36. Nun wird es wohl Zeit seyn/ die ge-
lahrte Wohllust
zu beleuchten. Solches wird
nicht fuglicher geschehen können/ als wann wir
zeigen/ was die Wohllust für einen Antheil
an den Menschlichen Verstande und dessen
Beschaffenheit habe.
Ein ieder Mensch/ er sey
so tumm als er wolle/ kan seinen Verstand durch
attentes Nachdencken helffen/ und gleichsam
auspoliren. Wann der Mensch eine starcke
Gemüths-Neigung zu etwas hat/ dem denckt er
eiffrig nach. Die Gedancken des Menschen ha-
ben entweder mit vergangenen Dingen/ oder mit
gegenwärtigen/ oder zukünfftigen zu thun. Die
vergangenen und abwesenden stellen die Ge-
dancken sich gemeiniglich für/ wie und in was für
Ordnung sie gewesen sind/ als sie gegenwärtig
waren. Dieses heisset Gedächtnüs. Die ge-
genwärtigen
halten die Gedancken mehren-
theils gegen einander/ und beobachten ihren ge-
nauen Unterscheid/ auch die Ursachen ihres Ur-
sprungs und Würckung. Dieses heisset die Ur-
theilungs-Krafft
oder Judicium. An die zu-
künfftigen
wird fürnehmlich gedacht/ wie sie ohn
gefehr mit einander verknüpfft seyn/ und wie im-
mer eines aus dem andern folgen werde/ da denn
an die Gleichförmigkeit der Dinge/ und wie sie
sich zusammen schicken/ gedacht wird. Dieses
beist Ingenium, und was man so denckt/ eine Er-
findung/ Gedichte
u. s. w.

37. Ein Wollüstiger denckt nicht viel an

ver-
Das 9. H. Von der Wolluſt

36. Nun wird es wohl Zeit ſeyn/ die ge-
lahrte Wohlluſt
zu beleuchten. Solches wird
nicht fuglicher geſchehen koͤnnen/ als wann wir
zeigen/ was die Wohlluſt fuͤr einen Antheil
an den Menſchlichen Verſtande und deſſen
Beſchaffenheit habe.
Ein ieder Menſch/ er ſey
ſo tumm als er wolle/ kan ſeinen Verſtand durch
attentes Nachdencken helffen/ und gleichſam
auspoliren. Wann der Menſch eine ſtarcke
Gemuͤths-Neigung zu etwas hat/ dem denckt er
eiffrig nach. Die Gedancken des Menſchen ha-
ben entweder mit vergangenen Dingen/ oder mit
gegenwaͤrtigen/ oder zukuͤnfftigen zu thun. Die
vergangenen und abweſenden ſtellen die Ge-
dancken ſich gemeiniglich fuͤr/ wie und in was fuͤr
Ordnung ſie geweſen ſind/ als ſie gegenwaͤrtig
waren. Dieſes heiſſet Gedaͤchtnuͤs. Die ge-
genwaͤrtigen
halten die Gedancken mehren-
theils gegen einander/ und beobachten ihren ge-
nauen Unterſcheid/ auch die Urſachen ihres Ur-
ſprungs und Wuͤrckung. Dieſes heiſſet die Ur-
theilungs-Krafft
oder Judicium. An die zu-
kuͤnfftigen
wird fuͤrnehmlich gedacht/ wie ſie ohn
gefehr mit einander verknuͤpfft ſeyn/ und wie im-
mer eines aus dem andern folgen werde/ da denn
an die Gleichfoͤrmigkeit der Dinge/ und wie ſie
ſich zuſammen ſchicken/ gedacht wird. Dieſes
beiſt Ingenium, und was man ſo denckt/ eine Er-
findung/ Gedichte
u. ſ. w.

37. Ein Wolluͤſtiger denckt nicht viel an

ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0216" n="204"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das 9. H. Von der Wollu&#x017F;t</hi> </fw><lb/>
        <p>36. Nun wird es wohl Zeit &#x017F;eyn/ <hi rendition="#fr">die ge-<lb/>
lahrte Wohllu&#x017F;t</hi> zu beleuchten. Solches wird<lb/>
nicht fuglicher ge&#x017F;chehen ko&#x0364;nnen/ als wann wir<lb/>
zeigen/ <hi rendition="#fr">was die Wohllu&#x017F;t fu&#x0364;r einen Antheil<lb/>
an den Men&#x017F;chlichen Ver&#x017F;tande und de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Be&#x017F;chaffenheit habe.</hi> Ein ieder Men&#x017F;ch/ er &#x017F;ey<lb/>
&#x017F;o tumm als er wolle/ kan &#x017F;einen Ver&#x017F;tand durch<lb/><hi rendition="#aq">attent</hi>es Nachdencken helffen/ und gleich&#x017F;am<lb/>
aus<hi rendition="#aq">poli</hi>ren. Wann der Men&#x017F;ch eine &#x017F;tarcke<lb/>
Gemu&#x0364;ths-Neigung zu etwas hat/ dem denckt er<lb/>
eiffrig nach. Die Gedancken des Men&#x017F;chen ha-<lb/>
ben entweder mit vergangenen Dingen/ oder mit<lb/>
gegenwa&#x0364;rtigen/ oder zuku&#x0364;nfftigen zu thun. Die<lb/><hi rendition="#fr">vergangenen</hi> und <hi rendition="#fr">abwe&#x017F;enden</hi> &#x017F;tellen die Ge-<lb/>
dancken &#x017F;ich gemeiniglich fu&#x0364;r/ wie und in was fu&#x0364;r<lb/>
Ordnung &#x017F;ie gewe&#x017F;en &#x017F;ind/ als &#x017F;ie gegenwa&#x0364;rtig<lb/>
waren. Die&#x017F;es hei&#x017F;&#x017F;et <hi rendition="#fr">Geda&#x0364;chtnu&#x0364;s.</hi> Die <hi rendition="#fr">ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtigen</hi> halten die Gedancken mehren-<lb/>
theils gegen einander/ und beobachten ihren ge-<lb/>
nauen Unter&#x017F;cheid/ auch die Ur&#x017F;achen ihres Ur-<lb/>
&#x017F;prungs und Wu&#x0364;rckung. Die&#x017F;es hei&#x017F;&#x017F;et <hi rendition="#fr">die Ur-<lb/>
theilungs-Krafft</hi> oder <hi rendition="#aq">Judicium.</hi> An die <hi rendition="#fr">zu-<lb/>
ku&#x0364;nfftigen</hi> wird fu&#x0364;rnehmlich gedacht/ wie &#x017F;ie ohn<lb/>
gefehr mit einander verknu&#x0364;pfft &#x017F;eyn/ und wie im-<lb/>
mer eines aus dem andern folgen werde/ da denn<lb/>
an die Gleichfo&#x0364;rmigkeit der Dinge/ und wie &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich zu&#x017F;ammen &#x017F;chicken/ gedacht wird. Die&#x017F;es<lb/>
bei&#x017F;t <hi rendition="#aq">Ingenium,</hi> und was man &#x017F;o denckt/ eine <hi rendition="#fr">Er-<lb/>
findung/ Gedichte</hi> u. &#x017F;. w.</p><lb/>
        <p>37. Ein <hi rendition="#fr">Wollu&#x0364;&#x017F;tiger</hi> denckt nicht viel an<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">ver-</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0216] Das 9. H. Von der Wolluſt 36. Nun wird es wohl Zeit ſeyn/ die ge- lahrte Wohlluſt zu beleuchten. Solches wird nicht fuglicher geſchehen koͤnnen/ als wann wir zeigen/ was die Wohlluſt fuͤr einen Antheil an den Menſchlichen Verſtande und deſſen Beſchaffenheit habe. Ein ieder Menſch/ er ſey ſo tumm als er wolle/ kan ſeinen Verſtand durch attentes Nachdencken helffen/ und gleichſam auspoliren. Wann der Menſch eine ſtarcke Gemuͤths-Neigung zu etwas hat/ dem denckt er eiffrig nach. Die Gedancken des Menſchen ha- ben entweder mit vergangenen Dingen/ oder mit gegenwaͤrtigen/ oder zukuͤnfftigen zu thun. Die vergangenen und abweſenden ſtellen die Ge- dancken ſich gemeiniglich fuͤr/ wie und in was fuͤr Ordnung ſie geweſen ſind/ als ſie gegenwaͤrtig waren. Dieſes heiſſet Gedaͤchtnuͤs. Die ge- genwaͤrtigen halten die Gedancken mehren- theils gegen einander/ und beobachten ihren ge- nauen Unterſcheid/ auch die Urſachen ihres Ur- ſprungs und Wuͤrckung. Dieſes heiſſet die Ur- theilungs-Krafft oder Judicium. An die zu- kuͤnfftigen wird fuͤrnehmlich gedacht/ wie ſie ohn gefehr mit einander verknuͤpfft ſeyn/ und wie im- mer eines aus dem andern folgen werde/ da denn an die Gleichfoͤrmigkeit der Dinge/ und wie ſie ſich zuſammen ſchicken/ gedacht wird. Dieſes beiſt Ingenium, und was man ſo denckt/ eine Er- findung/ Gedichte u. ſ. w. 37. Ein Wolluͤſtiger denckt nicht viel an ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/216
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/216>, abgerufen am 29.03.2024.