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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 9. H. Von der Wollust
Und zwar so viel dieses letzte betrifft/ ist wohl kein
grosser Zweiffel/ daß dadurch nicht solten Ehr-
und Geld-Geitz von Wollust entschieden wer-
den; Aber das scheinet etwas harte/ oder doch
zum wenigsten ungewöhnlich geredet zu seyn/ daß
man die Belustigung des Verstandes durch
studiren und
meditiren zur Wollust rechnet/
da doch selbige vielmehr scheinet zur vernünfftigen
Liebe/ oder doch zum Ehrgeitze viel füglicher ge-
bracht werden zu können. Derohalben ist es nö-
thig/ daß wir das eigene Wesen der Wohllust
ein wenig genauer betrachten. Wir wollen a-
ber nach den Regeln guter Ordnung von dem
leichtesten anfangen.

15. Jedermann nennet die Leute/ die mit
Essen und Trincken und Weibesvolck sich lu-
stig machen/ wohllüstig/
und bestehet hierin-
nen wohl das fürnehmste Stück des Wesens
der Wohllust/
welches die andern Theile dersel-
ben nach sich ziehet. Bey beyden fället der
Mensch auff eine Kützelung der Sinnligkeiten des
Geschmacks und Gefühles/ und henget das Hertz
daran/ ob schon sein Verstand ihm deutlich saget/
daß alles das jenige/ was die Sinnen kitzelt/
nicht gut/
sondern schädlich sey/ weil es von einer
gar zu empfindlichen Bewegung herrühret.

16. Die unschmackhafftesten Speisen
und Tranck
sind wohl die gesündesten/ und ver-
ursachen weder Eckel/ noch Anreitzung zu über-
flüßigen Gebrauch. Aber der Mensch verach-

tet

Das 9. H. Von der Wolluſt
Und zwar ſo viel dieſes letzte betrifft/ iſt wohl kein
groſſer Zweiffel/ daß dadurch nicht ſolten Ehr-
und Geld-Geitz von Wolluſt entſchieden wer-
den; Aber das ſcheinet etwas harte/ oder doch
zum wenigſten ungewoͤhnlich geredet zu ſeyn/ daß
man die Beluſtigung des Verſtandes durch
ſtudiren und
meditiren zur Wolluſt rechnet/
da doch ſelbige vielmehr ſcheinet zur veꝛnuͤnfftigen
Liebe/ oder doch zum Ehrgeitze viel fuͤglicher ge-
bracht werden zu koͤnnen. Derohalben iſt es noͤ-
thig/ daß wir das eigene Weſen der Wohlluſt
ein wenig genauer betrachten. Wir wollen a-
ber nach den Regeln guter Ordnung von dem
leichteſten anfangen.

15. Jedermann nennet die Leute/ die mit
Eſſen und Trincken und Weibesvolck ſich lu-
ſtig machen/ wohlluͤſtig/
und beſtehet hierin-
nen wohl das fuͤrnehmſte Stuͤck des Weſens
der Wohlluſt/
welches die andern Theile derſel-
ben nach ſich ziehet. Bey beyden faͤllet der
Menſch auff eine Kuͤtzelung der Sinnligkeiten des
Geſchmacks und Gefuͤhles/ und henget das Hertz
daran/ ob ſchon ſein Verſtand ihm deutlich ſaget/
daß alles das jenige/ was die Sinnen kitzelt/
nicht gut/
ſondern ſchaͤdlich ſey/ weil es von einer
gar zu empfindlichen Bewegung herruͤhret.

16. Die unſchmackhaffteſten Speiſen
und Tranck
ſind wohl die geſuͤndeſten/ und ver-
urſachen weder Eckel/ noch Anreitzung zu uͤber-
fluͤßigen Gebrauch. Aber der Menſch verach-

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[192/0204] Das 9. H. Von der Wolluſt Und zwar ſo viel dieſes letzte betrifft/ iſt wohl kein groſſer Zweiffel/ daß dadurch nicht ſolten Ehr- und Geld-Geitz von Wolluſt entſchieden wer- den; Aber das ſcheinet etwas harte/ oder doch zum wenigſten ungewoͤhnlich geredet zu ſeyn/ daß man die Beluſtigung des Verſtandes durch ſtudiren und meditiren zur Wolluſt rechnet/ da doch ſelbige vielmehr ſcheinet zur veꝛnuͤnfftigen Liebe/ oder doch zum Ehrgeitze viel fuͤglicher ge- bracht werden zu koͤnnen. Derohalben iſt es noͤ- thig/ daß wir das eigene Weſen der Wohlluſt ein wenig genauer betrachten. Wir wollen a- ber nach den Regeln guter Ordnung von dem leichteſten anfangen. 15. Jedermann nennet die Leute/ die mit Eſſen und Trincken und Weibesvolck ſich lu- ſtig machen/ wohlluͤſtig/ und beſtehet hierin- nen wohl das fuͤrnehmſte Stuͤck des Weſens der Wohlluſt/ welches die andern Theile derſel- ben nach ſich ziehet. Bey beyden faͤllet der Menſch auff eine Kuͤtzelung der Sinnligkeiten des Geſchmacks und Gefuͤhles/ und henget das Hertz daran/ ob ſchon ſein Verſtand ihm deutlich ſaget/ daß alles das jenige/ was die Sinnen kitzelt/ nicht gut/ ſondern ſchaͤdlich ſey/ weil es von einer gar zu empfindlichen Bewegung herruͤhret. 16. Die unſchmackhaffteſten Speiſen und Tranck ſind wohl die geſuͤndeſten/ und ver- urſachen weder Eckel/ noch Anreitzung zu uͤber- fluͤßigen Gebrauch. Aber der Menſch verach- tet

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/204>, abgerufen am 29.03.2024.