Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

etwas Gutes oder Böses sey?
Mensche/ das von einem geilen Betrieger wohl
mit Versprechung der Ehe/ ist geschwängert wor-
deg/ die jenige aber/ die ihre geilen Lüste/ nach de-
nen Regeln der Huren-Kunst/ meisterlich zu ver-
bergen weiß/ heißt die Politische Welt eine ehr-
liche Dame.
Ein Philosophus aber judiciret gantz
anders von solchen Dingen.

25. Die andere Regul ist: Ein ieder Af-
fect,
der mit einer so empfindlichen Beweg-
ung vergesellschafftet ist/ daß davon entwe-
der der Leib an seinen Kräfften auch nur einen
Augenblick mercklich geschwächt wird/ oder
der Wille seine Freyheit verlieret/ oder mit
grosser Mühe zurücke gehalten wird/ ist bö-
se. Wo aber die ausserordentliche Beweg-
ung solche schädliche Würckungen nicht hat/
ist die Bewegung wo nicht gut/ doch nicht so
böse.

26. Also ist der Eyffer auch über das Un-
recht/ das dem andern geschiehet; Also ist die
allzuhitzige Begierde
einem andern Tugend-
hafften zu dienen/ böse. Hingegen ist der ge-
mäßigte Zorn
eines Ehrgeitzigen nicht so böse/ als
die grausame Wuth eines Tyrannen.

27. Jedoch ist diese Regul nicht von der
ersten
abzusondern/ sondern derselben nachzu-
ordnen. Denn aus dem Ziel wird das vor-
nehmste
Absehen genommen/ die Affecten zu
unterscheiden/ weil auch ein mäßiger Affect böse
ist/ wenn er auffs böse geneigt ist/ und ein hitziger

Affect
K 5

etwas Gutes oder Boͤſes ſey?
Menſche/ das von einem geilen Betrieger wohl
mit Verſprechung der Ehe/ iſt geſchwaͤngert wor-
deg/ die jenige aber/ die ihre geilen Luͤſte/ nach de-
nen Regeln der Huren-Kunſt/ meiſterlich zu ver-
bergen weiß/ heißt die Politiſche Welt eine ehr-
liche Dame.
Ein Philoſophus aber judiciret gantz
anders von ſolchen Dingen.

25. Die andere Regul iſt: Ein ieder Af-
fect,
der mit einer ſo empfindlichen Beweg-
ung vergeſellſchafftet iſt/ daß davon entwe-
der der Leib an ſeinen Kraͤfften auch nur einẽ
Augenblick mercklich geſchwaͤcht wird/ oder
der Wille ſeine Freyheit verlieret/ oder mit
groſſer Muͤhe zuruͤcke gehalten wird/ iſt boͤ-
ſe. Wo aber die auſſerordentliche Beweg-
ung ſolche ſchaͤdliche Wuͤrckungen nicht hat/
iſt die Bewegung wo nicht gut/ doch nicht ſo
boͤſe.

26. Alſo iſt der Eyffer auch uͤber das Un-
recht/ das dem andern geſchiehet; Alſo iſt die
allzuhitzige Begierde
einem andern Tugend-
hafften zu dienen/ boͤſe. Hingegen iſt der ge-
maͤßigte Zorn
eines Ehrgeitzigen nicht ſo boͤſe/ als
die grauſame Wuth eines Tyrannen.

27. Jedoch iſt dieſe Regul nicht von der
erſten
abzuſondern/ ſondern derſelben nachzu-
ordnen. Denn aus dem Ziel wird das vor-
nehmſte
Abſehen genommen/ die Affecten zu
unterſcheiden/ weil auch ein maͤßiger Affect boͤſe
iſt/ wenn er auffs boͤſe geneigt iſt/ und ein hitziger

Affect
K 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0165" n="153"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">etwas Gutes oder Bo&#x0364;&#x017F;es &#x017F;ey?</hi></fw><lb/>
Men&#x017F;che/ das von einem geilen Betrieger wohl<lb/>
mit Ver&#x017F;prechung der Ehe/ i&#x017F;t ge&#x017F;chwa&#x0364;ngert wor-<lb/>
deg/ die jenige aber/ die ihre geilen Lu&#x0364;&#x017F;te/ nach de-<lb/>
nen Regeln der Huren-Kun&#x017F;t/ mei&#x017F;terlich zu ver-<lb/>
bergen weiß/ heißt die Politi&#x017F;che Welt eine <hi rendition="#fr">ehr-<lb/>
liche Dame.</hi> Ein <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophus</hi></hi> aber <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">judici</hi></hi>ret gantz<lb/>
anders von &#x017F;olchen Dingen.</p><lb/>
        <p>25. Die andere Regul i&#x017F;t: <hi rendition="#fr">Ein ieder</hi> <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Af-<lb/>
fect,</hi></hi> <hi rendition="#fr">der mit einer &#x017F;o empfindlichen Beweg-<lb/>
ung verge&#x017F;ell&#x017F;chafftet i&#x017F;t/ daß davon entwe-<lb/>
der der Leib an &#x017F;einen Kra&#x0364;fften auch nur eine&#x0303;<lb/>
Augenblick mercklich ge&#x017F;chwa&#x0364;cht wird/ oder<lb/>
der Wille &#x017F;eine Freyheit verlieret/ oder mit<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;er Mu&#x0364;he zuru&#x0364;cke gehalten wird/ i&#x017F;t bo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;e. Wo aber die au&#x017F;&#x017F;erordentliche Beweg-<lb/>
ung &#x017F;olche &#x017F;cha&#x0364;dliche Wu&#x0364;rckungen nicht hat/<lb/>
i&#x017F;t die Bewegung wo nicht gut/ doch nicht &#x017F;o<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;e.</hi></p><lb/>
        <p>26. Al&#x017F;o i&#x017F;t <hi rendition="#fr">der Eyffer</hi> auch u&#x0364;ber das Un-<lb/>
recht/ das dem andern ge&#x017F;chiehet; Al&#x017F;o i&#x017F;t <hi rendition="#fr">die<lb/>
allzuhitzige Begierde</hi> einem andern Tugend-<lb/>
hafften zu dienen/ bo&#x0364;&#x017F;e. Hingegen i&#x017F;t der <hi rendition="#fr">ge-<lb/>
ma&#x0364;ßigte Zorn</hi> eines Ehrgeitzigen nicht &#x017F;o bo&#x0364;&#x017F;e/ als<lb/>
die grau&#x017F;ame Wuth eines Tyrannen.</p><lb/>
        <p>27. Jedoch i&#x017F;t die&#x017F;e Regul nicht <hi rendition="#fr">von der<lb/>
er&#x017F;ten</hi> abzu&#x017F;ondern/ &#x017F;ondern der&#x017F;elben nachzu-<lb/>
ordnen. Denn aus dem <hi rendition="#fr">Ziel</hi> wird das <hi rendition="#fr">vor-<lb/>
nehm&#x017F;te</hi> Ab&#x017F;ehen genommen/ die <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Affect</hi></hi>en zu<lb/>
unter&#x017F;cheiden/ weil auch ein ma&#x0364;ßiger <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Affect</hi></hi> bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
i&#x017F;t/ wenn er auffs bo&#x0364;&#x017F;e geneigt i&#x017F;t/ und ein hitziger<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 5</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Affect</hi></hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0165] etwas Gutes oder Boͤſes ſey? Menſche/ das von einem geilen Betrieger wohl mit Verſprechung der Ehe/ iſt geſchwaͤngert wor- deg/ die jenige aber/ die ihre geilen Luͤſte/ nach de- nen Regeln der Huren-Kunſt/ meiſterlich zu ver- bergen weiß/ heißt die Politiſche Welt eine ehr- liche Dame. Ein Philoſophus aber judiciret gantz anders von ſolchen Dingen. 25. Die andere Regul iſt: Ein ieder Af- fect, der mit einer ſo empfindlichen Beweg- ung vergeſellſchafftet iſt/ daß davon entwe- der der Leib an ſeinen Kraͤfften auch nur einẽ Augenblick mercklich geſchwaͤcht wird/ oder der Wille ſeine Freyheit verlieret/ oder mit groſſer Muͤhe zuruͤcke gehalten wird/ iſt boͤ- ſe. Wo aber die auſſerordentliche Beweg- ung ſolche ſchaͤdliche Wuͤrckungen nicht hat/ iſt die Bewegung wo nicht gut/ doch nicht ſo boͤſe. 26. Alſo iſt der Eyffer auch uͤber das Un- recht/ das dem andern geſchiehet; Alſo iſt die allzuhitzige Begierde einem andern Tugend- hafften zu dienen/ boͤſe. Hingegen iſt der ge- maͤßigte Zorn eines Ehrgeitzigen nicht ſo boͤſe/ als die grauſame Wuth eines Tyrannen. 27. Jedoch iſt dieſe Regul nicht von der erſten abzuſondern/ ſondern derſelben nachzu- ordnen. Denn aus dem Ziel wird das vor- nehmſte Abſehen genommen/ die Affecten zu unterſcheiden/ weil auch ein maͤßiger Affect boͤſe iſt/ wenn er auffs boͤſe geneigt iſt/ und ein hitziger Affect K 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/165
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/165>, abgerufen am 23.04.2024.