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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 5. H. Daß alle andere Gem. Neig.
tige Liebe gantz keine Gedult hat/ sondern unge-
dultig ist/ also fliesset aus dieser Ungedult Zorn/
oder ein Verlangen nach Rache wieder das jeni-
ge das wir uns einbilden/ daß es uns beleidiget ha-
be. Dieser Zorn hat zwey Arten. Die eine ist
Rachgier/ welche ein Affect ist/ der der Sanfft-
muth
entgegen gesetzt ist/ der andere Grausam-
keit/
die der Großmüthigkeit zu wider ist.

23. Der Barmhertzigkeit sind vier Affe-
ct
en hauptsächlich entgegen. So ferne sie eine
Betrübnüs ist über eines andern Ubel/ werden
ihr der Schadenfroh/ das ist/ Freude über eines
andern Unglück; und Neid/ das ist Betrübnüs
über eines andern Wohlseyn entgegen gesetzt.
So ferne sie aber begierig ist/ dem Leidenden zu
helffen/ giebt es zwey ihr widerwärtige Gemüths-
Neigungen; Unbarmhertzigkeit/ welche nicht
anders/ als ein Mangel der Begierde ist/ nothlei-
denden zu helffen/ und der höchste Grad der Grau-
samkeit/
welche in einer Begierde bestehet/ an-
dern/ die mir nichts gethan/ absonderlich aber/ die
schon von andern Noth leiden/ Schaden zu thun
und ihre Noth zu vermehren. Beyde können
füglich mit dem Nahmen der Unmenschlichkeit
beleget werden/ zumahln dieses Wort bey uns ei-
ne härtere Bedeutung hat/ als der Lateiner ihre
inhumanitas.

24. Es werden aber die Haupt-Laster durch
ihre Neben-Affecten nicht alleine von der ver-
nünfftigen Liebe/
sondern auch von sich selbst

ent-

Das 5. H. Daß alle andere Gem. Neig.
tige Liebe gantz keine Gedult hat/ ſondern unge-
dultig iſt/ alſo flieſſet aus dieſer Ungedult Zorn/
oder ein Verlangen nach Rache wieder das jeni-
ge das wir uns einbilden/ daß es uns beleidiget ha-
be. Dieſer Zorn hat zwey Arten. Die eine iſt
Rachgier/ welche ein Affect iſt/ der der Sanfft-
muth
entgegen geſetzt iſt/ der andere Grauſam-
keit/
die der Großmuͤthigkeit zu wider iſt.

23. Der Barmhertzigkeit ſind vier Affe-
ct
en hauptſaͤchlich entgegen. So ferne ſie eine
Betruͤbnuͤs iſt uͤber eines andern Ubel/ werden
ihr der Schadenfroh/ das iſt/ Freude uͤber eines
andern Ungluͤck; und Neid/ das iſt Betruͤbnuͤs
uͤber eines andern Wohlſeyn entgegen geſetzt.
So ferne ſie aber begierig iſt/ dem Leidenden zu
helffen/ giebt es zwey ihr widerwaͤrtige Gemuͤths-
Neigungen; Unbarmhertzigkeit/ welche nicht
anders/ als ein Mangel der Begierde iſt/ nothlei-
denden zu helffen/ uñ der hoͤchſte Grad der Grau-
ſamkeit/
welche in einer Begierde beſtehet/ an-
dern/ die mir nichts gethan/ abſonderlich aber/ die
ſchon von andern Noth leiden/ Schaden zu thun
und ihre Noth zu vermehren. Beyde koͤnnen
fuͤglich mit dem Nahmen der Unmenſchlichkeit
beleget werden/ zumahln dieſes Wort bey uns ei-
ne haͤrtere Bedeutung hat/ als der Lateiner ihre
inhumanitas.

24. Es werden aber die Haupt-Laſter duꝛch
ihre Neben-Affecten nicht alleine von der ver-
nuͤnfftigen Liebe/
ſondern auch von ſich ſelbſt

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[140/0152] Das 5. H. Daß alle andere Gem. Neig. tige Liebe gantz keine Gedult hat/ ſondern unge- dultig iſt/ alſo flieſſet aus dieſer Ungedult Zorn/ oder ein Verlangen nach Rache wieder das jeni- ge das wir uns einbilden/ daß es uns beleidiget ha- be. Dieſer Zorn hat zwey Arten. Die eine iſt Rachgier/ welche ein Affect iſt/ der der Sanfft- muth entgegen geſetzt iſt/ der andere Grauſam- keit/ die der Großmuͤthigkeit zu wider iſt. 23. Der Barmhertzigkeit ſind vier Affe- cten hauptſaͤchlich entgegen. So ferne ſie eine Betruͤbnuͤs iſt uͤber eines andern Ubel/ werden ihr der Schadenfroh/ das iſt/ Freude uͤber eines andern Ungluͤck; und Neid/ das iſt Betruͤbnuͤs uͤber eines andern Wohlſeyn entgegen geſetzt. So ferne ſie aber begierig iſt/ dem Leidenden zu helffen/ giebt es zwey ihr widerwaͤrtige Gemuͤths- Neigungen; Unbarmhertzigkeit/ welche nicht anders/ als ein Mangel der Begierde iſt/ nothlei- denden zu helffen/ uñ der hoͤchſte Grad der Grau- ſamkeit/ welche in einer Begierde beſtehet/ an- dern/ die mir nichts gethan/ abſonderlich aber/ die ſchon von andern Noth leiden/ Schaden zu thun und ihre Noth zu vermehren. Beyde koͤnnen fuͤglich mit dem Nahmen der Unmenſchlichkeit beleget werden/ zumahln dieſes Wort bey uns ei- ne haͤrtere Bedeutung hat/ als der Lateiner ihre inhumanitas. 24. Es werden aber die Haupt-Laſter duꝛch ihre Neben-Affecten nicht alleine von der ver- nuͤnfftigen Liebe/ ſondern auch von ſich ſelbſt ent-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/152>, abgerufen am 25.04.2024.