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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 4. H. wie vielerley die Gem. N.
oder verachten/ woraus die Leidenschafften
und folglich die Gewohnheiten
(Habitus) der
Großmüthigkeit oder des Stoltzes/ und der
Demuth oder der Niederträchtigkeit entste-
hen.
So viel Zeilen so viel Jrrthümer.

35. Erstlich ist es nicht allgemein/ daß die
Verwunderung mit der Verachtung oder
Hochachtung vergesellschafftet sey.
Denn ich
kan mich über etwas verwundern/ das ich
weder hoch achte noch verachte.
z. e. Wenn ich
einen Charlatan sehe aus dem Sack Eyer machen/
und weiß nicht wie es zugehet. Wiederum kan ich
etwas hochachten oder verachten/ das ich
nicht verwundere/
z. e. Ein Versoffener und
Nüchterner ein Glaß Wein/ ein Ehrgeitziger und
Tugendhaffter den freundlichen Blick und ge-
schmückte Worte eines Mächtigen/ ein Geitziger
und Freygebiger einen Thaler etc.

36. So ist auch falsch/ daß die Hochach-
tung und Verachtung daraus entstehe/ nach-
dem
(prout) wir die grösse oder kleine eines
Dinges verwundern.
Denn dieses: nachdem
(prout) wil so viel sagen/ daß die Hochachtung
aus der Verwunderung über die grösse eines
Dinges/ und die Verachtung aus der Verwun-
derung über die Kleinheit desselben entstehe.
Aber was ist gewöhnlicher/ als daß man z. e. ein
klein Uhrwerck mehr aestimiret als ein grosses/ und
einen grossen Bengel verächtlicher hält/ als einen
kleinen Kerl.

37. Die

Das 4. H. wie vielerley die Gem. N.
oder verachten/ woraus die Leidenſchafften
und folglich die Gewohnheiten
(Habitus) der
Großmuͤthigkeit oder des Stoltzes/ und der
Demuth oder der Niedertraͤchtigkeit entſte-
hen.
So viel Zeilen ſo viel Jrrthuͤmer.

35. Erſtlich iſt es nicht allgemein/ daß die
Verwunderung mit der Verachtung oder
Hochachtung vergeſellſchafftet ſey.
Denn ich
kan mich uͤber etwas verwundern/ das ich
weder hoch achte noch verachte.
z. e. Wenn ich
einen Charlatan ſehe aus dem Sack Eyer machen/
und weiß nicht wie es zugehet. Wiederum kan ich
etwas hochachten oder verachten/ das ich
nicht verwundere/
z. e. Ein Verſoffener und
Nuͤchterner ein Glaß Wein/ ein Ehrgeitziger und
Tugendhaffter den freundlichen Blick und ge-
ſchmuͤckte Worte eines Maͤchtigen/ ein Geitziger
und Freygebiger einen Thaler ꝛc.

36. So iſt auch falſch/ daß die Hochach-
tung und Verachtung daraus entſtehe/ nach-
dem
(prout) wir die groͤſſe oder kleine eines
Dinges verwundern.
Denn dieſes: nachdem
(prout) wil ſo viel ſagen/ daß die Hochachtung
aus der Verwunderung uͤber die groͤſſe eines
Dinges/ und die Verachtung aus der Verwun-
derung uͤber die Kleinheit deſſelben entſtehe.
Aber was iſt gewoͤhnlicher/ als daß man z. e. ein
klein Uhrwerck mehr æſtimiret als ein groſſes/ und
einen groſſen Bengel veraͤchtlicher haͤlt/ als einen
kleinen Kerl.

37. Die
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[120/0132] Das 4. H. wie vielerley die Gem. N. oder verachten/ woraus die Leidenſchafften und folglich die Gewohnheiten (Habitus) der Großmuͤthigkeit oder des Stoltzes/ und der Demuth oder der Niedertraͤchtigkeit entſte- hen. So viel Zeilen ſo viel Jrrthuͤmer. 35. Erſtlich iſt es nicht allgemein/ daß die Verwunderung mit der Verachtung oder Hochachtung vergeſellſchafftet ſey. Denn ich kan mich uͤber etwas verwundern/ das ich weder hoch achte noch verachte. z. e. Wenn ich einen Charlatan ſehe aus dem Sack Eyer machen/ und weiß nicht wie es zugehet. Wiederum kan ich etwas hochachten oder verachten/ das ich nicht verwundere/ z. e. Ein Verſoffener und Nuͤchterner ein Glaß Wein/ ein Ehrgeitziger und Tugendhaffter den freundlichen Blick und ge- ſchmuͤckte Worte eines Maͤchtigen/ ein Geitziger und Freygebiger einen Thaler ꝛc. 36. So iſt auch falſch/ daß die Hochach- tung und Verachtung daraus entſtehe/ nach- dem (prout) wir die groͤſſe oder kleine eines Dinges verwundern. Denn dieſes: nachdem (prout) wil ſo viel ſagen/ daß die Hochachtung aus der Verwunderung uͤber die groͤſſe eines Dinges/ und die Verachtung aus der Verwun- derung uͤber die Kleinheit deſſelben entſtehe. Aber was iſt gewoͤhnlicher/ als daß man z. e. ein klein Uhrwerck mehr æſtimiret als ein groſſes/ und einen groſſen Bengel veraͤchtlicher haͤlt/ als einen kleinen Kerl. 37. Die

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/132>, abgerufen am 28.03.2024.