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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812.

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Einleitung.
des Thiers muß da seyn. Der Produzent wie der Fabrikant muß es aufsuchen,
und jener wie dieser es mehrentheils herbeischaffen und oftmals künstlich vor-
bereiten. Nur aus den schon vorhandenen Stoffen kann Produktion wie Fa-
brikation, indem sie solche zersetzt und zu neuen Formen umbildet, ihre Pro-
dukte erzeugen.

Diese Umbildung aber, sagt man, geschehe bei der Produktion durch die
Kraft der Natur, bei der Fabrikation nur durch die Kraft und Kunst der
Menschen. Aber auch bei der Fabrikation wirkt der Mensch nur durch den
Gebrauch der Naturkräfte, und würde ohne sie wenige Fabrikate hervorbrin-
gen. Bei einigen leitet er sie zwar mehr und wendet sie ganz nach seiner
Willkür an, bei andern muß er die Natur ganz nach ihren eigenen Gesetzen
wirken lassen; bei allen denen, nämlich wo ein chemischer Prozeß erforderlich
ist, z. B. bei der Färberei, der Wein-, Bier-, Branntwein- u. s. f. Erzeu-
gung, wo er diese Naturwirkung nur ordnen und moderiren kann.

Aber, wird man sagen, die Natur hat doch an der Produktion einen
weit größern Antheil wie an der Fabrikation? Freilich, wenn die Natur
nur für beschränkte Zwecke und Bedürfnisse produziren soll! -- Auf einen
menschenleeren Boden kann die Natur so viel produziren, daß die Sammlung
der Früchte und die Erlegung des Wildes zureicht, um einzelne umherstreifende
Horden zu ernähren; aber fast nur in jenen günstigen Klimaten, wo der Mensch
ursprünglich heimisch zu seyn scheint. So wie er das Paradies verließ und
sich mehr über die Erde verbreitete, mußte er mit Dornen und Disteln käm-
pfen, und sein Brod im Schweiße seines Angesichts essen, d. h. Arbeit und
Kunst auf die Produktion seiner Bedürfnisse verwenden. Aus jenen günstigen
Klimaten mußte er die nahrhafteren Kornarten so wie seine Hausthiere mit-
nehmen, und mit Sorgfalt und Kunst sie an die neue Heimath gewöhnen,
wo er sich selbst ansiedelte. Und so wie seine Bedürfnisse mit seiner Vermeh-
rung und seiner Kultur stiegen, ward immer mehrere Kunst und Arbeit nöthig,
so daß gegenwärtig bei den kultivirteren Nationen der Antheil der letzteren an
der erzeugten Produktenmasse gegen den Antheil der Natur gewiß nicht geringer
ist, wie bei den meisten Fabrikaten. Und so mit fällt auch jene Behauptung
vom größeren Antheile der Kunst bei der Fabrikation von selbst weg. Und

Einleitung.
des Thiers muß da ſeyn. Der Produzent wie der Fabrikant muß es aufſuchen,
und jener wie dieſer es mehrentheils herbeiſchaffen und oftmals kuͤnſtlich vor-
bereiten. Nur aus den ſchon vorhandenen Stoffen kann Produktion wie Fa-
brikation, indem ſie ſolche zerſetzt und zu neuen Formen umbildet, ihre Pro-
dukte erzeugen.

Dieſe Umbildung aber, ſagt man, geſchehe bei der Produktion durch die
Kraft der Natur, bei der Fabrikation nur durch die Kraft und Kunſt der
Menſchen. Aber auch bei der Fabrikation wirkt der Menſch nur durch den
Gebrauch der Naturkraͤfte, und wuͤrde ohne ſie wenige Fabrikate hervorbrin-
gen. Bei einigen leitet er ſie zwar mehr und wendet ſie ganz nach ſeiner
Willkuͤr an, bei andern muß er die Natur ganz nach ihren eigenen Geſetzen
wirken laſſen; bei allen denen, naͤmlich wo ein chemiſcher Prozeß erforderlich
iſt, z. B. bei der Faͤrberei, der Wein-, Bier-, Branntwein- u. ſ. f. Erzeu-
gung, wo er dieſe Naturwirkung nur ordnen und moderiren kann.

Aber, wird man ſagen, die Natur hat doch an der Produktion einen
weit groͤßern Antheil wie an der Fabrikation? Freilich, wenn die Natur
nur fuͤr beſchraͤnkte Zwecke und Beduͤrfniſſe produziren ſoll! — Auf einen
menſchenleeren Boden kann die Natur ſo viel produziren, daß die Sammlung
der Fruͤchte und die Erlegung des Wildes zureicht, um einzelne umherſtreifende
Horden zu ernaͤhren; aber faſt nur in jenen guͤnſtigen Klimaten, wo der Menſch
urſpruͤnglich heimiſch zu ſeyn ſcheint. So wie er das Paradies verließ und
ſich mehr uͤber die Erde verbreitete, mußte er mit Dornen und Diſteln kaͤm-
pfen, und ſein Brod im Schweiße ſeines Angeſichts eſſen, d. h. Arbeit und
Kunſt auf die Produktion ſeiner Beduͤrfniſſe verwenden. Aus jenen guͤnſtigen
Klimaten mußte er die nahrhafteren Kornarten ſo wie ſeine Hausthiere mit-
nehmen, und mit Sorgfalt und Kunſt ſie an die neue Heimath gewoͤhnen,
wo er ſich ſelbſt anſiedelte. Und ſo wie ſeine Beduͤrfniſſe mit ſeiner Vermeh-
rung und ſeiner Kultur ſtiegen, ward immer mehrere Kunſt und Arbeit noͤthig,
ſo daß gegenwaͤrtig bei den kultivirteren Nationen der Antheil der letzteren an
der erzeugten Produktenmaſſe gegen den Antheil der Natur gewiß nicht geringer
iſt, wie bei den meiſten Fabrikaten. Und ſo mit faͤllt auch jene Behauptung
vom groͤßeren Antheile der Kunſt bei der Fabrikation von ſelbſt weg. Und

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[4/0028] Einleitung. des Thiers muß da ſeyn. Der Produzent wie der Fabrikant muß es aufſuchen, und jener wie dieſer es mehrentheils herbeiſchaffen und oftmals kuͤnſtlich vor- bereiten. Nur aus den ſchon vorhandenen Stoffen kann Produktion wie Fa- brikation, indem ſie ſolche zerſetzt und zu neuen Formen umbildet, ihre Pro- dukte erzeugen. Dieſe Umbildung aber, ſagt man, geſchehe bei der Produktion durch die Kraft der Natur, bei der Fabrikation nur durch die Kraft und Kunſt der Menſchen. Aber auch bei der Fabrikation wirkt der Menſch nur durch den Gebrauch der Naturkraͤfte, und wuͤrde ohne ſie wenige Fabrikate hervorbrin- gen. Bei einigen leitet er ſie zwar mehr und wendet ſie ganz nach ſeiner Willkuͤr an, bei andern muß er die Natur ganz nach ihren eigenen Geſetzen wirken laſſen; bei allen denen, naͤmlich wo ein chemiſcher Prozeß erforderlich iſt, z. B. bei der Faͤrberei, der Wein-, Bier-, Branntwein- u. ſ. f. Erzeu- gung, wo er dieſe Naturwirkung nur ordnen und moderiren kann. Aber, wird man ſagen, die Natur hat doch an der Produktion einen weit groͤßern Antheil wie an der Fabrikation? Freilich, wenn die Natur nur fuͤr beſchraͤnkte Zwecke und Beduͤrfniſſe produziren ſoll! — Auf einen menſchenleeren Boden kann die Natur ſo viel produziren, daß die Sammlung der Fruͤchte und die Erlegung des Wildes zureicht, um einzelne umherſtreifende Horden zu ernaͤhren; aber faſt nur in jenen guͤnſtigen Klimaten, wo der Menſch urſpruͤnglich heimiſch zu ſeyn ſcheint. So wie er das Paradies verließ und ſich mehr uͤber die Erde verbreitete, mußte er mit Dornen und Diſteln kaͤm- pfen, und ſein Brod im Schweiße ſeines Angeſichts eſſen, d. h. Arbeit und Kunſt auf die Produktion ſeiner Beduͤrfniſſe verwenden. Aus jenen guͤnſtigen Klimaten mußte er die nahrhafteren Kornarten ſo wie ſeine Hausthiere mit- nehmen, und mit Sorgfalt und Kunſt ſie an die neue Heimath gewoͤhnen, wo er ſich ſelbſt anſiedelte. Und ſo wie ſeine Beduͤrfniſſe mit ſeiner Vermeh- rung und ſeiner Kultur ſtiegen, ward immer mehrere Kunſt und Arbeit noͤthig, ſo daß gegenwaͤrtig bei den kultivirteren Nationen der Antheil der letzteren an der erzeugten Produktenmaſſe gegen den Antheil der Natur gewiß nicht geringer iſt, wie bei den meiſten Fabrikaten. Und ſo mit faͤllt auch jene Behauptung vom groͤßeren Antheile der Kunſt bei der Fabrikation von ſelbſt weg. Und

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/28>, abgerufen am 19.04.2024.