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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809.

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Fähigkeiten des Subjekts.
Durch eine zu weite Ausdehnung dieser Lehren wird das Gemüth zu sehr zerstreut und
von dem Hauptziele abgelenkt, und die überwiegende Neigung, welche für ein oder
anderes Studium in diesen empfänglichen Jahren entsteht, kann dem thätigen Leben
Abbruch thun; oder aber, es entsteht eine gewisse Oberflächlichkeit, ein sogenanntes
encyklopädisches Wissen. Wird dagegen Alles mit Hinsicht auf den einen bezweckten
Gegenstand vorgetragen, so konzentrirt sich auf ihm alles Licht, und er erscheint dem
Jünglinge in desto reizenderer Gestalt. Deshalb hat der verbundene und in einander
greifende Vortrag der Haupt- und Hülfswissenschaften so große Vorzüge, und man-
cher, der die Hülfswissenschaften auf Universitäten gehört hatte, fing bei selbigen erst
an, den Bezug zu erkennen, den sie auf sein Studium haben könnten.

§. 42.

Lehrstühle der
Landwirth-
schaft auf Uni-
versitäten.
Daß man schon seit hundert Jahren die Möglichkeit und Nützlichkeit eines wis-
senschaftlichen Unterrichts in der Landwirthschaft ahnete, beweisen die Lehrstühle,
welche seitdem fast auf allen Universitäten dafür errichtet wurden. In sofern solche
dem künftigen Staatsbeamten, dem Rechtsgelehrten, selbst dem Theologen und
Arzte, eine klare Ansicht des landwirthschaftlichen Gewerbes geben sollen, erkenne ich
ihren Nutzen an, und wünschte nur, daß der Vortrag von demselben, diesem einzig
von ihnen erreichbaren Zwecke, angemessen wäre. Für den Unterricht suchenden
Landwirth scheinen sie mir durchaus nicht passend, indem die Universitätsverhältnisse,
die akademische Lebensweise und die ganze Ansicht der Dinge daselbst, etwas zu hete-
rogenes in seine Bildung bringt, welches ihm in Ansehung seiner künftigen Thä-
tigkeit und Lebensweise leicht nachtheilig werden möchte; man auch kaum erwar-
ten kann, daß ein praktisch-wissenschaftlicher Landwirth eine Lehrstelle auf Universitä-
ten annehmen werde, und ein anderer zu diesem Vortrage durchaus nicht fähig ist.

§. 43.

Köpfe, in denen die Wissenschaft der Landwirthschaft mehr oder minder ent-
wickelt bisher existirte, haben sich solche durch eigenes Nachdenken erschaffen müssen,
und konnten die ungeheure in diesem Fache geschriebene Masse von Büchern nur ge-
brauchen, um die darin zerstreuten guten Materialien herauszuheben. Mehrentheils
waren dies aber nur solche, die zu eigenem Gebrauch und für ihre besonderen Ver-
hältnisse sich ihre Systeme bildeten, oder auch Kameralisten und Statistiker, die wie-
derum einen vom landwirthschaftlichen verschiedenen Gesichtspunkt hatten, und Alles

Faͤhigkeiten des Subjekts.
Durch eine zu weite Ausdehnung dieſer Lehren wird das Gemuͤth zu ſehr zerſtreut und
von dem Hauptziele abgelenkt, und die uͤberwiegende Neigung, welche fuͤr ein oder
anderes Studium in dieſen empfaͤnglichen Jahren entſteht, kann dem thaͤtigen Leben
Abbruch thun; oder aber, es entſteht eine gewiſſe Oberflaͤchlichkeit, ein ſogenanntes
encyklopaͤdiſches Wiſſen. Wird dagegen Alles mit Hinſicht auf den einen bezweckten
Gegenſtand vorgetragen, ſo konzentrirt ſich auf ihm alles Licht, und er erſcheint dem
Juͤnglinge in deſto reizenderer Geſtalt. Deshalb hat der verbundene und in einander
greifende Vortrag der Haupt- und Huͤlfswiſſenſchaften ſo große Vorzuͤge, und man-
cher, der die Huͤlfswiſſenſchaften auf Univerſitaͤten gehoͤrt hatte, fing bei ſelbigen erſt
an, den Bezug zu erkennen, den ſie auf ſein Studium haben koͤnnten.

§. 42.

Lehrſtuͤhle der
Landwirth-
ſchaft auf Uni-
verſitaͤten.
Daß man ſchon ſeit hundert Jahren die Moͤglichkeit und Nuͤtzlichkeit eines wiſ-
ſenſchaftlichen Unterrichts in der Landwirthſchaft ahnete, beweiſen die Lehrſtuͤhle,
welche ſeitdem faſt auf allen Univerſitaͤten dafuͤr errichtet wurden. In ſofern ſolche
dem kuͤnftigen Staatsbeamten, dem Rechtsgelehrten, ſelbſt dem Theologen und
Arzte, eine klare Anſicht des landwirthſchaftlichen Gewerbes geben ſollen, erkenne ich
ihren Nutzen an, und wuͤnſchte nur, daß der Vortrag von demſelben, dieſem einzig
von ihnen erreichbaren Zwecke, angemeſſen waͤre. Fuͤr den Unterricht ſuchenden
Landwirth ſcheinen ſie mir durchaus nicht paſſend, indem die Univerſitaͤtsverhaͤltniſſe,
die akademiſche Lebensweiſe und die ganze Anſicht der Dinge daſelbſt, etwas zu hete-
rogenes in ſeine Bildung bringt, welches ihm in Anſehung ſeiner kuͤnftigen Thaͤ-
tigkeit und Lebensweiſe leicht nachtheilig werden moͤchte; man auch kaum erwar-
ten kann, daß ein praktiſch-wiſſenſchaftlicher Landwirth eine Lehrſtelle auf Univerſitaͤ-
ten annehmen werde, und ein anderer zu dieſem Vortrage durchaus nicht faͤhig iſt.

§. 43.

Koͤpfe, in denen die Wiſſenſchaft der Landwirthſchaft mehr oder minder ent-
wickelt bisher exiſtirte, haben ſich ſolche durch eigenes Nachdenken erſchaffen muͤſſen,
und konnten die ungeheure in dieſem Fache geſchriebene Maſſe von Buͤchern nur ge-
brauchen, um die darin zerſtreuten guten Materialien herauszuheben. Mehrentheils
waren dies aber nur ſolche, die zu eigenem Gebrauch und fuͤr ihre beſonderen Ver-
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derum einen vom landwirthſchaftlichen verſchiedenen Geſichtspunkt hatten, und Alles

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[18/0048] Faͤhigkeiten des Subjekts. Durch eine zu weite Ausdehnung dieſer Lehren wird das Gemuͤth zu ſehr zerſtreut und von dem Hauptziele abgelenkt, und die uͤberwiegende Neigung, welche fuͤr ein oder anderes Studium in dieſen empfaͤnglichen Jahren entſteht, kann dem thaͤtigen Leben Abbruch thun; oder aber, es entſteht eine gewiſſe Oberflaͤchlichkeit, ein ſogenanntes encyklopaͤdiſches Wiſſen. Wird dagegen Alles mit Hinſicht auf den einen bezweckten Gegenſtand vorgetragen, ſo konzentrirt ſich auf ihm alles Licht, und er erſcheint dem Juͤnglinge in deſto reizenderer Geſtalt. Deshalb hat der verbundene und in einander greifende Vortrag der Haupt- und Huͤlfswiſſenſchaften ſo große Vorzuͤge, und man- cher, der die Huͤlfswiſſenſchaften auf Univerſitaͤten gehoͤrt hatte, fing bei ſelbigen erſt an, den Bezug zu erkennen, den ſie auf ſein Studium haben koͤnnten. §. 42. Daß man ſchon ſeit hundert Jahren die Moͤglichkeit und Nuͤtzlichkeit eines wiſ- ſenſchaftlichen Unterrichts in der Landwirthſchaft ahnete, beweiſen die Lehrſtuͤhle, welche ſeitdem faſt auf allen Univerſitaͤten dafuͤr errichtet wurden. In ſofern ſolche dem kuͤnftigen Staatsbeamten, dem Rechtsgelehrten, ſelbſt dem Theologen und Arzte, eine klare Anſicht des landwirthſchaftlichen Gewerbes geben ſollen, erkenne ich ihren Nutzen an, und wuͤnſchte nur, daß der Vortrag von demſelben, dieſem einzig von ihnen erreichbaren Zwecke, angemeſſen waͤre. Fuͤr den Unterricht ſuchenden Landwirth ſcheinen ſie mir durchaus nicht paſſend, indem die Univerſitaͤtsverhaͤltniſſe, die akademiſche Lebensweiſe und die ganze Anſicht der Dinge daſelbſt, etwas zu hete- rogenes in ſeine Bildung bringt, welches ihm in Anſehung ſeiner kuͤnftigen Thaͤ- tigkeit und Lebensweiſe leicht nachtheilig werden moͤchte; man auch kaum erwar- ten kann, daß ein praktiſch-wiſſenſchaftlicher Landwirth eine Lehrſtelle auf Univerſitaͤ- ten annehmen werde, und ein anderer zu dieſem Vortrage durchaus nicht faͤhig iſt. Lehrſtuͤhle der Landwirth- ſchaft auf Uni- verſitaͤten. §. 43. Koͤpfe, in denen die Wiſſenſchaft der Landwirthſchaft mehr oder minder ent- wickelt bisher exiſtirte, haben ſich ſolche durch eigenes Nachdenken erſchaffen muͤſſen, und konnten die ungeheure in dieſem Fache geſchriebene Maſſe von Buͤchern nur ge- brauchen, um die darin zerſtreuten guten Materialien herauszuheben. Mehrentheils waren dies aber nur ſolche, die zu eigenem Gebrauch und fuͤr ihre beſonderen Ver- haͤltniſſe ſich ihre Syſteme bildeten, oder auch Kameraliſten und Statiſtiker, die wie- derum einen vom landwirthſchaftlichen verſchiedenen Geſichtspunkt hatten, und Alles

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft01_1809/48>, abgerufen am 29.03.2024.