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Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913.

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Die Anspruchslosigkeit, die den einzelnen Beduinen kennzeichnet,
finden wir auch bei den Fürsten. Sie leben heute noch nach der
einfachen Sitte uralter Zeit, sie satteln und zäumen ihre Pferde
selbst, holen eigenhändig ein Lamm von der Herde und schlachten
es. Die Fürstin besorgt die Küche, bäckt Brot und kocht Kaffee,
und ihre Töchter gehen zur Quelle, um in Krügen, die auf dem
Kopfe getragen werden, Wasser zu holen.

Der Araber darf vier rechtmäßige Frauen haben und soviel
Sklavinnen kaufen, als er ernähren kann; aber die meisten, selbst
die der höheren Stände, begnügen sich mit einer Frau. Die Hoch-
zeitsfeierlichkeiten sind einfacher Art, der Ehekontrakt wird vor
dem Kadi (Richter) unterzeichnet. Darin wird zugleich festgesetzt,
welche Brautsteuer der Bräutigam zu bezahlen und was er der
Braut zu entrichten hat, falls er sie verstoßen sollte. Die von den
Eltern erhaltene Aussteuer bleibt unantastbares Eigentum der Frau,
und da dieselbe bei reichen Leuten mitunter sehr bedeutend ist, so
ist nicht selten der Mann hinsichtlich des Vermögens von seiner
Frau abhängig. Die Ehen sind im allgemeinen friedlich und Ehe-
scheidungen äußerst selten. Diese zu beantragen steht auch der
Frau zu, wenn sie von ihrem Manne gemißhandelt wird. Ehebruch
wird am Weibe nicht vom eigenen Gatten, sondern von einem ihrer
Verwandten und sogar mit dem Tode bestraft. Die Kinder sind
in den ersten Jahren der Obhut der Mutter anvertraut; die weitere
Erziehung der Knaben ist Sache des Vaters. Im allgemeinen zeichnen
sich die Kinder durch Wohlerzogenheit und Gehorsam aus.

Der Beduine ist wie alle Morgenländer von Natur ernsthaft;
großer Hang zu Lustigkeit ist ihm fremd. Wenn er schon ein
Freund heiterer Geselligkeit ist, so ist ihm doch vieles Lachen zu-
wider, und Musik und Tanz gelten ihm als anstößige Vergnügen.
Dem Aberglauben sind die Beduinen wie alle Orientalen sehr er-
geben. Gefürchtet ist besonders der böse Blick; auch Geister und
Zauberei wittern sie überall, und der Glaube, sich durch Talismane
und Amulette ein Übel fernhalten zu können, ist allgemein ver-
breitet. Den Geistern der Heiligen und Ahnen bringt man Opfer,
um ihre Gunst und Hilfe zu erlangen. Geopfert wird nur das Blut
der Tiere, das Fleisch aber von den dabei Anwesenden verzehrt.
Der Beduine besitzt einen scharfen Verstand, der sich in schla-
genden Witzen und sinnreichen Sprüchen äußert. Die Dichtkunst
steht bei ihm in hohem Ansehen, aber sie ist weniger Sache des

Die Anspruchslosigkeit, die den einzelnen Beduinen kennzeichnet,
finden wir auch bei den Fürsten. Sie leben heute noch nach der
einfachen Sitte uralter Zeit, sie satteln und zäumen ihre Pferde
selbst, holen eigenhändig ein Lamm von der Herde und schlachten
es. Die Fürstin besorgt die Küche, bäckt Brot und kocht Kaffee,
und ihre Töchter gehen zur Quelle, um in Krügen, die auf dem
Kopfe getragen werden, Wasser zu holen.

Der Araber darf vier rechtmäßige Frauen haben und soviel
Sklavinnen kaufen, als er ernähren kann; aber die meisten, selbst
die der höheren Stände, begnügen sich mit einer Frau. Die Hoch-
zeitsfeierlichkeiten sind einfacher Art, der Ehekontrakt wird vor
dem Kadi (Richter) unterzeichnet. Darin wird zugleich festgesetzt,
welche Brautsteuer der Bräutigam zu bezahlen und was er der
Braut zu entrichten hat, falls er sie verstoßen sollte. Die von den
Eltern erhaltene Aussteuer bleibt unantastbares Eigentum der Frau,
und da dieselbe bei reichen Leuten mitunter sehr bedeutend ist, so
ist nicht selten der Mann hinsichtlich des Vermögens von seiner
Frau abhängig. Die Ehen sind im allgemeinen friedlich und Ehe-
scheidungen äußerst selten. Diese zu beantragen steht auch der
Frau zu, wenn sie von ihrem Manne gemißhandelt wird. Ehebruch
wird am Weibe nicht vom eigenen Gatten, sondern von einem ihrer
Verwandten und sogar mit dem Tode bestraft. Die Kinder sind
in den ersten Jahren der Obhut der Mutter anvertraut; die weitere
Erziehung der Knaben ist Sache des Vaters. Im allgemeinen zeichnen
sich die Kinder durch Wohlerzogenheit und Gehorsam aus.

Der Beduine ist wie alle Morgenländer von Natur ernsthaft;
großer Hang zu Lustigkeit ist ihm fremd. Wenn er schon ein
Freund heiterer Geselligkeit ist, so ist ihm doch vieles Lachen zu-
wider, und Musik und Tanz gelten ihm als anstößige Vergnügen.
Dem Aberglauben sind die Beduinen wie alle Orientalen sehr er-
geben. Gefürchtet ist besonders der böse Blick; auch Geister und
Zauberei wittern sie überall, und der Glaube, sich durch Talismane
und Amulette ein Übel fernhalten zu können, ist allgemein ver-
breitet. Den Geistern der Heiligen und Ahnen bringt man Opfer,
um ihre Gunst und Hilfe zu erlangen. Geopfert wird nur das Blut
der Tiere, das Fleisch aber von den dabei Anwesenden verzehrt.
Der Beduine besitzt einen scharfen Verstand, der sich in schla-
genden Witzen und sinnreichen Sprüchen äußert. Die Dichtkunst
steht bei ihm in hohem Ansehen, aber sie ist weniger Sache des

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[— 36 —/0040] Die Anspruchslosigkeit, die den einzelnen Beduinen kennzeichnet, finden wir auch bei den Fürsten. Sie leben heute noch nach der einfachen Sitte uralter Zeit, sie satteln und zäumen ihre Pferde selbst, holen eigenhändig ein Lamm von der Herde und schlachten es. Die Fürstin besorgt die Küche, bäckt Brot und kocht Kaffee, und ihre Töchter gehen zur Quelle, um in Krügen, die auf dem Kopfe getragen werden, Wasser zu holen. Der Araber darf vier rechtmäßige Frauen haben und soviel Sklavinnen kaufen, als er ernähren kann; aber die meisten, selbst die der höheren Stände, begnügen sich mit einer Frau. Die Hoch- zeitsfeierlichkeiten sind einfacher Art, der Ehekontrakt wird vor dem Kadi (Richter) unterzeichnet. Darin wird zugleich festgesetzt, welche Brautsteuer der Bräutigam zu bezahlen und was er der Braut zu entrichten hat, falls er sie verstoßen sollte. Die von den Eltern erhaltene Aussteuer bleibt unantastbares Eigentum der Frau, und da dieselbe bei reichen Leuten mitunter sehr bedeutend ist, so ist nicht selten der Mann hinsichtlich des Vermögens von seiner Frau abhängig. Die Ehen sind im allgemeinen friedlich und Ehe- scheidungen äußerst selten. Diese zu beantragen steht auch der Frau zu, wenn sie von ihrem Manne gemißhandelt wird. Ehebruch wird am Weibe nicht vom eigenen Gatten, sondern von einem ihrer Verwandten und sogar mit dem Tode bestraft. Die Kinder sind in den ersten Jahren der Obhut der Mutter anvertraut; die weitere Erziehung der Knaben ist Sache des Vaters. Im allgemeinen zeichnen sich die Kinder durch Wohlerzogenheit und Gehorsam aus. Der Beduine ist wie alle Morgenländer von Natur ernsthaft; großer Hang zu Lustigkeit ist ihm fremd. Wenn er schon ein Freund heiterer Geselligkeit ist, so ist ihm doch vieles Lachen zu- wider, und Musik und Tanz gelten ihm als anstößige Vergnügen. Dem Aberglauben sind die Beduinen wie alle Orientalen sehr er- geben. Gefürchtet ist besonders der böse Blick; auch Geister und Zauberei wittern sie überall, und der Glaube, sich durch Talismane und Amulette ein Übel fernhalten zu können, ist allgemein ver- breitet. Den Geistern der Heiligen und Ahnen bringt man Opfer, um ihre Gunst und Hilfe zu erlangen. Geopfert wird nur das Blut der Tiere, das Fleisch aber von den dabei Anwesenden verzehrt. Der Beduine besitzt einen scharfen Verstand, der sich in schla- genden Witzen und sinnreichen Sprüchen äußert. Die Dichtkunst steht bei ihm in hohem Ansehen, aber sie ist weniger Sache des

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Zitationshilfe: Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913, S. — 36 —. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tewes_menschenrassen_1913/40>, abgerufen am 28.03.2024.