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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XII. Versuch. Ueber die Selbstthätigkeit.
schon vorher ein Bestreben war, und nichts mehr be-
durfte, um sich in Bewegung zu setzen, als daß ein äus-
seres Hinderniß, welches ihr Bestreben zurückhielt, aus
dem Wege geräumet würde. Die bewegende Aktion
erfolgte aus einem innern Princip. Da ist also Spon-
taneität.
Aber auch Selbstmacht über sich? Jst
auch in der Feder, indem sie sich ausdehnet, ein inneres
Vermögen vorhanden, sich aufzuhalten, oder sich in sich
zurückzuziehen? Jst in dem herausspringenden Was-
ser eine Kraft, sich in der Oeffnung festzuhalten? Hier
sind bloß physische Kräfte, einseitige Vermögen, so und
in der Richtung zu wirken, wie sie bestimmt sind. Woll-
te man auch den Druck, der sich in jedem Wassertro-
pfen nach allen Seiten hin äußert, so lange sie noch in
dem Gefäße verschlossen sind, etwan als ein vielseitiges
Selbstvermögen ansehen, sich nach einer jeden Richtung
hin zu bewegen, so höret doch dieser Trieb nach andern
Richtungen hin in ihnen auf, so bald sie zur Oeffnung
herausgehen; oder ist zum wenigsten kein solches Ver-
mögen, welches stark genug wäre, um sie von dem We-
ge, auf dem sie fortgetrieben werden, abzulenken, noch
weniger sie mitten in dem Herausspringen zum Still-
stand zu bringen.

2.

Da das Vermögen, anders zu handeln, als man
handelt, nur bloß Vermögen ist, das aber nicht an-
gewendet wird, und seinen Effekt hervorbringet, weil
die Handlung ihren Weg gehet, und nicht wirklich ge-
hindert oder verändert wird; woher kann man sich denn
sicher überzeugen, daß ein solches Vermögen in uns vor-
handen sey? Der Reuter, der das Pferd in seiner Ge-
walt hat, glaubet doch mit Ueberzeugung, er könne es
von dem Pfade ablenken, auf welchem er es gehen läßt,
und daß es nur darauf ankomme, daß er die Kraft in
seiner Hand dazu wirklich anwende, wenn es geschehen

solle;

XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit.
ſchon vorher ein Beſtreben war, und nichts mehr be-
durfte, um ſich in Bewegung zu ſetzen, als daß ein aͤuſ-
ſeres Hinderniß, welches ihr Beſtreben zuruͤckhielt, aus
dem Wege geraͤumet wuͤrde. Die bewegende Aktion
erfolgte aus einem innern Princip. Da iſt alſo Spon-
taneitaͤt.
Aber auch Selbſtmacht uͤber ſich? Jſt
auch in der Feder, indem ſie ſich ausdehnet, ein inneres
Vermoͤgen vorhanden, ſich aufzuhalten, oder ſich in ſich
zuruͤckzuziehen? Jſt in dem herausſpringenden Waſ-
ſer eine Kraft, ſich in der Oeffnung feſtzuhalten? Hier
ſind bloß phyſiſche Kraͤfte, einſeitige Vermoͤgen, ſo und
in der Richtung zu wirken, wie ſie beſtimmt ſind. Woll-
te man auch den Druck, der ſich in jedem Waſſertro-
pfen nach allen Seiten hin aͤußert, ſo lange ſie noch in
dem Gefaͤße verſchloſſen ſind, etwan als ein vielſeitiges
Selbſtvermoͤgen anſehen, ſich nach einer jeden Richtung
hin zu bewegen, ſo hoͤret doch dieſer Trieb nach andern
Richtungen hin in ihnen auf, ſo bald ſie zur Oeffnung
herausgehen; oder iſt zum wenigſten kein ſolches Ver-
moͤgen, welches ſtark genug waͤre, um ſie von dem We-
ge, auf dem ſie fortgetrieben werden, abzulenken, noch
weniger ſie mitten in dem Herausſpringen zum Still-
ſtand zu bringen.

2.

Da das Vermoͤgen, anders zu handeln, als man
handelt, nur bloß Vermoͤgen iſt, das aber nicht an-
gewendet wird, und ſeinen Effekt hervorbringet, weil
die Handlung ihren Weg gehet, und nicht wirklich ge-
hindert oder veraͤndert wird; woher kann man ſich denn
ſicher uͤberzeugen, daß ein ſolches Vermoͤgen in uns vor-
handen ſey? Der Reuter, der das Pferd in ſeiner Ge-
walt hat, glaubet doch mit Ueberzeugung, er koͤnne es
von dem Pfade ablenken, auf welchem er es gehen laͤßt,
und daß es nur darauf ankomme, daß er die Kraft in
ſeiner Hand dazu wirklich anwende, wenn es geſchehen

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[8/0038] XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit. ſchon vorher ein Beſtreben war, und nichts mehr be- durfte, um ſich in Bewegung zu ſetzen, als daß ein aͤuſ- ſeres Hinderniß, welches ihr Beſtreben zuruͤckhielt, aus dem Wege geraͤumet wuͤrde. Die bewegende Aktion erfolgte aus einem innern Princip. Da iſt alſo Spon- taneitaͤt. Aber auch Selbſtmacht uͤber ſich? Jſt auch in der Feder, indem ſie ſich ausdehnet, ein inneres Vermoͤgen vorhanden, ſich aufzuhalten, oder ſich in ſich zuruͤckzuziehen? Jſt in dem herausſpringenden Waſ- ſer eine Kraft, ſich in der Oeffnung feſtzuhalten? Hier ſind bloß phyſiſche Kraͤfte, einſeitige Vermoͤgen, ſo und in der Richtung zu wirken, wie ſie beſtimmt ſind. Woll- te man auch den Druck, der ſich in jedem Waſſertro- pfen nach allen Seiten hin aͤußert, ſo lange ſie noch in dem Gefaͤße verſchloſſen ſind, etwan als ein vielſeitiges Selbſtvermoͤgen anſehen, ſich nach einer jeden Richtung hin zu bewegen, ſo hoͤret doch dieſer Trieb nach andern Richtungen hin in ihnen auf, ſo bald ſie zur Oeffnung herausgehen; oder iſt zum wenigſten kein ſolches Ver- moͤgen, welches ſtark genug waͤre, um ſie von dem We- ge, auf dem ſie fortgetrieben werden, abzulenken, noch weniger ſie mitten in dem Herausſpringen zum Still- ſtand zu bringen. 2. Da das Vermoͤgen, anders zu handeln, als man handelt, nur bloß Vermoͤgen iſt, das aber nicht an- gewendet wird, und ſeinen Effekt hervorbringet, weil die Handlung ihren Weg gehet, und nicht wirklich ge- hindert oder veraͤndert wird; woher kann man ſich denn ſicher uͤberzeugen, daß ein ſolches Vermoͤgen in uns vor- handen ſey? Der Reuter, der das Pferd in ſeiner Ge- walt hat, glaubet doch mit Ueberzeugung, er koͤnne es von dem Pfade ablenken, auf welchem er es gehen laͤßt, und daß es nur darauf ankomme, daß er die Kraft in ſeiner Hand dazu wirklich anwende, wenn es geſchehen ſolle;

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/38>, abgerufen am 24.04.2024.